Aus den Klärschlammbecken der weltgrößten Aluminiumschmelze Alunorte ist toxisches Material ausgetreten. Zuerst wies die der norwegischen Norsk Hydro gehördende Alunorte den Vorwurf weit von sich, musste dann aber eingestehen, dass es vom Klärbecken eine Röhre gab, durch die der Rotschlamm entweichen konnte. Alunorte erklärte, sie habe von der Existenz dieser Röhre nichts gewußt.
Von Thomas Bauer und Christian Russau
Aus der weltgrößten Aluminiumschmelze Alunorte in Barcarena, im brasilianischen Bundesstaat Pará, traten in den vergangenen Tagen große Mengen an rotgefärbten Abwässern aus, diese erreichten einen kleinen Bach und verbreiteten sich von dort in den umliegenden Dörfern aus. Die AnwohnerInnen brachen in Panik aus, fürchteten, dass es sich dabei um giftige Abwässer des Rotschlammbeckens aus der Aluminiumproduktion handeln könnte. Die verantwortliche Firma verwies auf den Starkregen der letzten Tage, erklärte die rote Färbung mit dem dort natürlich vorkommenden rotgefärbten Erdboden und versicherte, die Aluminiumschmelze sei sicher und erfülle voll und ganz alle Umweltvorgaben. Dann fanden die AnwohnerInnen tote Fische in den Flüssen, den AnwohnerInnen starben ihre Hühner, und die Kinder, die in Kontakt mit dem Wasser geraten waren, bekamen Hautausschlag. Alles ganz ungefährlich? Leider nein.
Eine Vorort-Inspektion eines unabhängigen Forschungsinstituts brachte dann den Skandal in seiner ganzen Dimension zutage: In dem rotgefärbten Wasser fand sich Blei in hohen Konzentrationen, auch bei Natrium, Nitrat und Aluminium lagen die gemessenen Werte über den Grenzwerten, bei Aluminium lag der Wert 25 Mal höher, als es die gesetzlichen Grenzwerte erlauben. Das rotgefärbte Wasser wies den Untersuchungen zufolge auch deutlich erhöhte ph-Werte auf. Und: Vom dem Klärbecken des Rotschlamm-Tailings gab es eine Überlaufröhre, durch die die Klärschlämme in die Umgebung entwichen. Alles mit Absicht, um sich billig per illegaler Verklappung aufwändiger Aufbereitung- und Lagerungskosten zu entledigen, wie das Forschungsinstitut Evandro Chagas (IEC) mutmaßte? Oder hatte jemand in der Firma einfach vergessen, dass es dort diese Röhre gab?
Im Jahresbericht über die Sicherheit von Staudämmen, ein obligatorisches offizielles Dokument, das jährlich vom Staatlichen Umweltsekretariat der Nationalen Wasserbehörde und der Nationalen Bergbauagentur vorgelegt werden muss, gibt es übrigens keine Aufzeichnungen von der Existenz dieses Abwasserbecken, aus dem nun der Klärschlamm austrat. Operiert dann also dieses Klärbecken komplett ohne behördliche Genehmigung, wie die Staatsanwaltschaft den Fall sieht?
Sandra ist Mutter von fünf Kindern und wohnt in São João. Das kleine Dorf wurde 2016 von den Bundesbehörden als Quilombo offiziell anerkannt. Quilombolas sind die Nachfahren entflohener Sklaven. Sandra berichtet, dass sich das rotschlammfarbige Wasser des Flusses Muripi seit Tagen seinen Weg durch die Gemeinde bahnt. Sie ist erzürnt und erzählt mit bedrückter Stimme am Telephon: „Dies ist nur ein Unfall mehr, der hier passiert ist. Es gibt Studien, die belegen, dass sich seit der Inbetriebnahme des Bergbauwerkes bereits 35 solcher Unfälle ereignet haben. Das ist nun der 36igste.”
Der Widerstand der AnwohnerInnen aus Barcarena, entlang des Flusses Muripi und seinen Wasserquellen, gegen die Wasserverschmutzung durch den Bergbaukonzern Alunorte geht schon seit Jahren. Alunorte gehört der norwegischen Norsk Hydro, weltweit führender Aluminiumproduzent mit Sitz in Oslo, dessen Hauptaktionär ist mit einem Anteil von 43,8% der norwegische Staat. Nicht nur Brasilienkenner fragen sich, wie das zusammengeht, dass die norwegische Regierung einerseits den Amazonas Fonds Fundo Amazônia mit großzügigen finanziellen Mitteln unterstützt, um die immer noch dramatische Entwaldung in Amazonien zu bekämpfen sowie die Erhaltung und nachhaltige Nutzung des Amazonasgebietes zu fördern, und gleichzeitig aber bei Konzernen dividendenbringende Anteile an Konzernen hält, die mit ihrer Aluminiumproduktion dem Ökosystem und den AnwohnerInnen in der Region derart zusetzen. Schon im Jahr 2009 kam es zum Austritt von Rotschlamm, den giftigen Rückständen aus Ätznatron und Schwermetallen, die bei der Aluminiumproduktion anfallen. Damals lief der Rotschlamm aus, die umliegenden Gewässer, Brunnen und Bäche wurden vergiftet, doch bis heute wurde nichts Substantielles dagegen unternommen. Die damalige auferlegte Strafe des brasilianischen Umweltamtes von 17 Millionen Reais (heute umgerechnet 4,3 Millionen Euro) an Bußgeldern für die Verschmutzung der Flüsse der Region hat das Unternehmen bis heute nicht bezahlt. Die Situation ist verheerend, dies zeigt auch eine Studie der staatlichen Universtiät Pará – UFPA, die im Jahre 2015 feststellte, dass mehr als 90% des Wassers der Gemeinde kontaminiert war.
Von dem gegenwärtigen Austritt an mutmaßlichem Rotschlamm sind in den weiter umliegenden Dörfern und Stadtviertel insgesamt mehr als 400 Familien direkt von dieser Situation betroffen. Niemand weiß, inwieweit die AnrainerInnen im weiteren Umfeld der Aluminiumschmelze nicht auch betroffen sind.
Alunorte wich den unangenehmen Fragen und Klagen der AnwohnerInnen lange aus, wiegelte ab. Mit saloppen Worten wie „nichts ist ausgelaufen. Die Sturzbäche in den Dörfern wurden vom Starkregen hervorgerufen und die Rotfärbung kommt von dem dort natürlich vorkommenden rotgefärbten Erdboden”. Auch der Governeur Simão Jatene von der Partei PSDB erklärte während eines Interviews, der Starkregen sei Schuld und verteidigte den Bergbaukonzern. Dies ist allerdings kaum verwunderlich, wenn man sich daran erinnert, dass Jatene selbst nicht nur die Umsetzung des Abbauprojekts der Alunorte in Barcarena mit Worten unterstützte, sondern dem Unternehmen Steuervorteile in Höhe von Schätzungsweise 7,5 Mrd. R$ (heute umgerechnet 1,88 Mrd. Euro) über einen Zeitraum von 15 Jahren gewähren ließ.
Erst nach der Veröffentlichung der Studienergebnisse durch das Forschungsinstitut IEC gestehen die Verantwortlichen der Alunorte nun ein, dass es diese laut eigenen Angaben ihnen nicht bekannte Röhre gibt. Die Firma sagte zu, den Vorfall aufzuklären und die Röhre umgehend zu verschließen.
Insgesamt sind es mindestens vier Dörfer und Stadtviertel, die direkt vom Austritt der toxischen Rückstände betroffen sind. Die Rückhaltebecken der Alunorte sind durch erhöhte Deiche geschützt, deren Höhe bis zu 30 Meter beträgt. Die Dörfer der AnwohnerInnen liegen nur drei Meter hoch. Die kleinen Holzhäuser bieten nicht viel Schutz, sollte eines Tages einer der Dämme brechen. „Wir hier aus der Quilombola-Gemeinde leben nur 1.000 Meter weg von Alunorte und wir wären die ersten, die sterben, weil wenn da die Dämme brechen, dann wird die Geschwindigkeit der Flutwelle so schnell sein, dass es keine Zeit für eine Evakuierung geben wird”, fürchtete angesichts des zunehmenden Starkregens die Anwohnerin Socoroo bereits am 12. Februar gegenüber dem investigativen Blog Ver o fato.
Am 17. Februar gelangte dann für alle offensichtlich diese rote Farbe in das Flusswasser, dessen Pegel anstieg und die Gärten der AnwohnerInnen überflutete. Seit diesem Tag können die Betroffenen das Wasser nicht mehr nutzen. Erst seit dem 24. Februar, eine Woche später, und erst als alles Leugnen der Firma nicht mehr half und die stichhaltigen Beweisen der veröffentlichten Studie des IEC vorlagen, erst dann stellte der Bergbaukonzern den Familien sauberes Trinkwasser zur Verfügung. Doch das reicht nicht vorne und nicht hinten, betont Sandra: „Wir wohnen hier zu sechst, und sie haben uns für vier Tage drei Wasserkanister mit jeweils 20 Liter Wasser gebracht. Das ist das einzige saubere Wasser, das wir haben im ganzen Haushalt.” Schwer vorstellbar wie eine Person mit nur 10 Liter Wasser für vier Tage auszukommen hat. „Viel schlimmer“, so berichtet Sandra weiter, „trifft es die Familien, die nicht um ihre Rechte wissen, die haben noch viel weniger Wasser zu Verfügung, denn bei mir weiß der Bergbaukonzern, dass ich mir als Mitglied der Bewegung der Bergbaubetroffenen, kurz MAM, nicht alles gefallen lasse”.
Nachdem die Minenverantwortlichen ihre Schuld eingestanden haben, haben nun auch der Governeur Simão Jatene und sein Regierungsteam Maßnahmen angekündigt, um die betroffenen BewohnerInnen zu schützen und den Schaden wiedergutzumachen. Wahrscheinlich nicht viel mehr wie leere Worte, denn es bleibt zu befürchten, dass es im Falle der Alunorte ähnlich ablaufen wird wie im Falle „Mariana“, wo im November 2015 das Rückhaltebecken des Bergbaukonzerns SAMARCO (deren Anteilseigner die brasilianische Firma Vale und die anglo-australische BHP Billiton je zur Hälfte sind) brach und das Rio Doce-Flusstal mit giftigem Schlamm flutete und bis heute niemand der Verantwortlichen dafür juristisch zur Verantwortung gezogen wurde.
Der Mutterkonzern der Alunorte, Norsk Hydro, extrahiert Bauxit in Paragominas und Trombetas, allein bei Mineração Rio do Norte (MRN) in Trombetas sind es 23 Tailings. Der Bruttoumsatz des Bergbaukonzerns Norsk Hydro lag im Jahr 2017 bei umgerechnet 11 Mrd Euro, der Gewinn nach Steuern lag bei umgerechnet 918 Millionen Euro. Alunorte produziert aus dem in den Hydro-eigenen Minen gewonnen Bauxit im Werk in Barcarena jedes Jahr 5,8 Millionen Tonnen Aluminium, das zu 86% ins Ausland (Naher Osten, Nordamerika und Europa) exportiert wird. Die Jahresmenge von 5,8 Millionen Tonnen raffinerierten Aluminiums allein bei Alunorte in Barcarena entspricht ganzen zehn Prozent der weltweiten Aluminiumproduktion.
Deutschland hat mit 31,6 kg pro Person und Jahr den höchsten Aluminiumverbrauch pro Kopf, gefolgt von den USA (30 kg/per annum) und Japan (26,4 kg/per annum). Dieser hohe Wert für Deutschland ergibt sich aus dem hohen Anteil der Automobilproduktion im Lande: 44 Prozent des Gesamtverbrauchs von Aluminium in Deutschland geht auf den Automobilbau zurück, gefolgt von 16 Prozent im Bausektor sowie 9 Prozent für Verpackungen. Deutschland importiert das meiste Aluminium aus Guinea.
Ob Guinea oder Brasilien: Grundsätzlich gilt, dass Aluminium nicht der saubere Stoff für Umwelt und Mensch ist, für den er gerne gehalten wird. Aus vier bis fünf Tonnen Bauxit entstehen zwei Tonnen Aluminiumoxid. Dessen Herstellung macht mehr als 2 Prozent des Weltstromverbrauchs aus, und pro Tonne hergestellten Aluminiums entstehen zwischen einer und sechs Tonnen des gefährlichen Abfallprodukts Rotschlamm.
Für Brasilien gilt: Es wird mehr und mehr ein Paradies für Bergbaukonzerne! Denn die Politik ist massiv an einer Ausweitung der Bergbauaktivitäten im Lande interessiert. Im brasilianischen Nationalkongress nimmt die Verabschiedung von Gesetzen und Dekreten zur “Flexibilisierung” des Umweltgenehmigungsverfahrens Fahrt auf. Dieser Prozess zur Aufweichung und Lockerung von Auflagen war bereits vor Jahren mit den sogenannten erleichterten Durchführungsbestimmungen, den ominösen TACs, in die Wege geleitet worden. Seit Jahren wurde zudem versucht, in den Kammern des Nationalkongresses einen neuen, ebenfalls auf Flexibilisierung abzielenden Bergbaukodex zu verabschieden. Da diese Gesetzesreform bislang noch keine Mehrheiten in den Kammern erzielen konnte, hat sich die Regierung für den einfacheren Weg über Gesetzesdurchführungsbestimmungen sowie der Schaffung einer nationalen Regulierungsbehörde für Bergbau (Agência Nacional Reguladora da Mineração) entschieden. Diese Bestrebungen zielen darauf ab, Kontrollen und Sicherheitsvorschriften abzubauen. All dies ist im Vorschlag für ein breites Allgemeines Lizenzierungsgesetz (Lei Geral de Licenciamento) enthalten und würde eine ganze Welle von „Lizenzierung light“ mit sich bringen. Mehr als 250 zivilgesellschaftliche Organisationen kritisieren diese Behördengenehmigungspolitik und befürchten die Gefahr von „vielen weiteren Dammbrüchen à la Mariana“ in der Zukunft.
Diese Gefahr ist nicht unbegründet. Die nationale Wasserbehörde ANA veröffentlichte bereits 2014 einen Bericht zur Sicherheit von Dämmen in Brasilien. Laut diesem Bericht wurden lediglich 15 % der Dämme klassifiziert und erfasst. Bei 14.966 existierenden Dämmen ist dies eine sehr niedrige Zahl. In den vergangenen vier Jahren wurde jeder Damm im Durchschnitt nur einmal durch Fachleute der Bundesbehörde inspiziert. Selbst Brasiliens Bundesrechnungshof TCU konstatierte dementsprechend, dass die Kontrolle der Dämme im Land „schwach und unzureichend“ sei. Seit der Jahrtausendwende gab es in Brasilien insgesamt 17 Dammbrüche. Es steht zu befürchten, dass „Mariana“ kein Einzelfall war und bleibt.