Brasiliens Umweltamt Ibama hat die Staudammbetreiberin Norte Energia angewiesen, Test und Betrieb neuer Turbinen unverzüglich einzustellen, da durch die Rotordrehung zu viele Fische sterben.
Von Christian Russau
Das Instituto Brasileiro do Meio Ambiente e dos Recursos Naturais Renováveis (IBAMA) hat die Betreiberfirma des weltweit drittgrößten Staudamms, Belo Monte, angewiesen, unverzüglich das Testen und Betreiben der neuen Turbinen auszusetzen. Mitarbeiter des Ibama hatten in der Woche zwischen dem 16. und 24. Februar dieses Jahres vor Ort 936 tote Fische, die einem Gesamtgewicht von 395 Kilo entsprachen, im Ausflussbecken der stromerzeugenden Turbinen aufgefunden. In der Woche zwischen 25. Februar und 5. März fanden die Beamten 1.092 Fisch mit einem rechnerischen Gesamtgewicht von 508 Kilo. Dies berichtet die Tageszeitung O Estado de S. Paulo auf ihrer Webseite. Die 611-MW-Leitungs produzierenden Turbinen saugen die Fische regelrecht an und geraten in Kontakt mit den Rotorblätter. Laut dem Zeitungsbericht geschieht dies vor allem beim Anlaufen der Turbinen, aber auch im normalen Testbetrieb der Turbinen. Vor allem sind Wanderfische gefährdet, da diese zur Laichzeit den Betonriegel im Xingu-Fluss durchqueren müssen.
Nach dem durch Ibama ausgesprochenen Embargo, versuchte die Betreiberfirma zunächt durch Lufteinpumpung nahe an den Turbinen, um dergestalt mittels Luftblasen die Fische im Vorfeld abzuschrecken. Dies fruchtete laut dem Zeitungsbericht aber ebensowenig wie der Versuch, Taucher herunterzuschicken, die die Fische nahe der Rotorblätter und der Ansaugstellen zu verjagen versuchten. Norte Energia teilte mit, sie wollen nun weitere technische Möglichkeiten anwenden, um dem Problem Herr zu werden. Die bis zu 18 Turbinen stammen zum Teil auch aus der Fertigung von VoithHydro, einem Joint-Venture der Firmen Voith und Siemens.
Bereits kurz nach der testweise Inbetriebnahme der ersten Turbinen im April 2016 wiesen die Anwohner auf massenhaftes Fischsterben hin. Die Umweltbehörde Ibama konstatierte damals 16,2 Tonnen toter Fische und verhängte eine Millionenstrafe gegen Norte Energia. Doch das Problem war bereits früher bekannt, vor allem den Flussanwohnern und Fischern, die entlang des Xingus seit Generationen fischen.
„Wir lebten vom Fischfang, nun ist da nichts mehr“, berichteten die Flussanwohner bereits 2011, da sich im Fluss wegen der Bauarbeiten für den Kofferdamm die Fischbestände bereits verringerten. Im gleichen Jahr hatte ein Bundesgericht die Bauarbeiten wegen der Bedrohung der Zierfischerei vor Ort zwischenzeitig gestoppt. Der Fisch im Xingu ist nicht nur Nahrungsquelle für die lokalen Flussanwohner, das Fangen und der Export von Zierfischen nach Übersee schafften Arbeit und Einkommen für Hunderte von Familien vor Ort und sicherten deren Überleben. Im Jahr 2012 hatten 800 Fischer dann die Baustelle mehrtägig besetzt, um auf den starken Rückgang der Fischbestände hinzuweisen.
All dies hatte die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), die im Auftrag der Bauherrin Norte Energia erstellt wurde, so nicht vorausgesehen. Die bedrohten Schildkrötenarten fanden Eingang in die UVP, medienwirksam wurden Schildkröteneier umgesetzt, leider zeichneten die Fernsehkameras auch das unsachgemäße Verbringen der Eier, in ungeschützten Kübeln gestapelt, auf. Die UVP sah einige lokale Fischpopulationen temporär durch die Bauarbeiten beeinträchtigt, aber nicht vom Aussterben bedroht. Dabei hatte selbst die Ibama in einer Stellungnahme im November 2009 sich darüber beschwert, dass politischer Druck ausgeübt werde und dass unklar bliebe, was mit dem Fischbestand geschehen wird auf den 100 Kilometern Flusslauf des Xingu, die zu 80 Prozent trocken gelegt werden durch den Staudammbau. Nur: diese Stellungnahme wurde leider als nicht öffentlich einsehbar deklariert.
Selbst der wissenschaftlichen Fachexpertise von Wissenschaftlern wollte niemand in der Politik so recht zuhören. Der seit Jahrzehnten in Amazonien lebende und forschende US-amerikanische Wissenschaftler Philip Fearnside wies explizit auf die Bedrohung der Fische durch die Staudammbauten hin. Denn der Staudammbau behindere massiv die Migrationsbewegungen der Fische – und die lokalen Auswirkungen in der Großen Flussschleife, die bei dann nur noch 20 Prozent Wasserfluss nicht mehr dem lokalen Habitat der Fische entspräche, trügen auch ihren Teil zur Auslöschung der Populationen bei. Hinzu kämen grundsätzlich Bedrohungen bei Veränderungen von Fließ- zu Staugewässern mit vermindertem Sauerstoffgehalt in tieferen Wasserschichten. Ähnliche Schlussfolgerungen hatte im Jahr 2009 ein 40-köpfiges Team aus Wissenschaftlern von Universitäten über Belo Monte gezogen. Die Wissenschaftler kritisierten die unvollständigen und mit heißer Nadel gestrickten Umweltstudien scharf, wiesen auf die Widersprüche der Studien hin und mahnten, dass die sozialen Folgen und Konsequenzen für die Umwelt durch das Staudammprojekt Belo Monte schwerwiegend sein würden. Laut ihrer Analyse sind durch Belo Monte schätzungsweise 100 Fischarten bedroht. Bislang sind 26 Fischarten bekannt, die nur am Xingu vorkommen. Würden aber alle im Amazonasgebiet geplanten Dämme gebaut werden, so die Wissenschaftler, würde dies sogar die Vernichtung von bis zu 1.000 Fischarten bedeuten.
Über das tatsächliche Ausmaß des Artenverlustes gibt es allerdings kaum verlässliche Angaben, denn die Artenvielfalt vor Ort ist noch immer viel zu wenig erforscht, um abschätzen zu können, welche Verluste durch Großprojekte verursacht werden. Die offizielle Liste Brasilien der bedrohten Fischarten zählt 133 auf, unabhängige Wissenschaftler sprechen einer neueren Studie zufolge von 819 bedrohten Fischarten in Brasilien.