Rückbau der vier Staudämme am Snake River schien beschlossen, selbst ein einflussreicher republikanischer Bundes-Abgeordneter aus Idaho hatte Anfang des Jahres einen 33,5 Milliarden US-Dollar schweren Dammrückbauplan vorgestellt, die vom Lachsrückgang im Snake River betroffenen Indigenen und die Umweltschützer:innen waren zufrieden, doch nun schießen demokratische Politiker:innen – ein Gouverneur und Senator:innen – quer. Indigene Gruppen protestieren.
Von Christian Russau
Es schien endlich klar zu sein, allen schien die extreme Situation am Snake River klar geworden zu sein. Die seit Jahrzehnten am Snake River im Nordosten der USA befindlichen Staudämme müssen weg, da das biologische Gleichgewicht und vor allem das der Lachspopulationen kollabiert ist. Bereits mehrmals war ein solcher Rückbau gerichtlich angeordnet worden, letztlich, nach jahrzehntelangem Kampf schienen sich Indigene, Umweltschützer:innen, Anrainer:innen, die Wirtschaft und auch die Politik einig, den bisher vorläufigen Höhepunkt setzte ein republikanischer Abgeordneter aus Idaho, der Anfang des Jahres einen 33,5 Milliarden US-Dollar schweren Dammrückbauplan vorgestellt hatte. Alles paletti?
Nein, denn nun schiessen der demokratische Gouverneur vom Staate Washington, Gov. Jay Inslee, und die ebenfalls demokratische Senatorin für Washington, U.S. Sen. Patty Murray, D-Wash., quer. „Während wir die Bemühungen vom Mitglied des Repräsentantenhauses [Mike] Simpson [aus Idaho] und die Gespräche, die wir bisher mit Stämmen und Interessenvertretern geführt haben, schätzen, ist es klar, dass mehr Arbeit innerhalb des pazifischen Nordwestens notwendig ist, um eine dauerhafte, umfassende Lösung zu schaffen, und wir glauben nicht, dass der Vorschlag von Simpson in das vorgeschlagene Bundesinfrastrukturpaket aufgenommen werden kann“, sagten US-Senatorin Patty Murray und Gouverneur Jay Inslee in einer gemeinsamen Erklärung, die der Seattle Times vorliegt.
Dies bringt die indigenen Gruppen, die seit Jahrzehnten für den Rückbau der Staudämme am Snake River kämpfen, in Rage. „Nach einem Tag, an dem Repräsentant Simpson zusammen mit Repräsentant Blumenauer (D-OR) auf einer regionalen Konferenz, die sich dem Thema widmete, das Aussterben der Lachse im Snake River zu verhindern und dazu in Infrastruktur, Technologie zu investieren und wirtschaftliche Anreize im Nordwesten [der USA] zu schaffen, somit einen brauchbaren Rahmen und eine gesetzgeberische Möglichkeit diskutiert hat, haben Governeur Inslee und die Senatoren Murray und Cantwell erklärt, wogegen sie sind, und keine Substanz in Bezug auf das geliefert, wofür sie denn nun eigentlich sind“, sagte Samuel N. Penney, Vorsitzender der Nez Perce-Indigenen.
„Wir sind uns einig, dass wir zur Lösung dieser Krise eine regionale Lösung brauchen, wir müssen uns bemühen, alle Gemeinden, die auf die Flüsse Columbia und Snake angewiesen sind, ganz zu erhalten, und wir sollten der Wissenschaft folgen. Dies sind genau die Elemente, die Repräsentant. Simpsons Vorschlag vor drei Monaten dargelegt hat, und warum der Nez Perce Tribe seinen Vorschlag unterstützt“, ergänzte Penny. Zudem zeige die „eigene biologische Analyse, die letzte Woche veröffentlicht wurde, dass die Lachspopulationen auf das Aussterben hinzusteuern. Wir werden nicht tatenlos zusehen, wie die Bestände aussterben. Unser Klima verändert sich, und der beste und kühlste verbleibende Lebensraum für die Sommer-Steelheadlachse und Frühlings-Kleinlachse des Columbia liegt im Snake River-Becken. Wir müssen den sichersten Weg zu und von diesem Lebensraum bieten, den wir können. Gleichzeitig haben wir einen einzigartigen gesetzgeberischen Moment – einen, der wahrscheinlich zu unseren Lebzeiten nicht mehr kommen wird – um diese biologische Krise anzugehen und den jahrzehntelangen Lachskrieg im Becken zu lösen. Wir haben die richtige Regierung, die richtige Führung im Senat und die Unterstützung des Abgeordneten Mike Simpson. Dies ist ein Moment zum Handeln, nicht für weitere Prozesse.“
Der Streit geht also weiter, und dies einen Monat, nachdem die US-amerikanische Nichtregierungsorganisation American Rivers den Snake-River zum gefährdetsten Fluss der USA gekürt hatte.
Dies sind die laut American River zehn am meisten gefährdeten Flüsse der USA:
American Rivers: America’s Most Endangered Rivers of 2021:
01: Snake River
02: Lower Missouri River
03: Boundary Waters
04: South River
05: Pecos River
06: Tar Creek
07: McCloud River
08: Ipswich River
09: Raccoon River
10: Turkey Creek
Beim Snake-River im Nordwesten der USA identifizierte die Umweltschutzorganisation American Rivers als zentrales Problem den Rückgang und die Gefährdung genau der erwähnten Lachsbestände durch Staudämme, was den Lebensunterhalt und die kulturellen Rechte der dortigen indigenen Völker bedrohe. Die seit Jahren heftige in Politik und Medien, aber auch vor Gericht ausgetragene Kontroverse, um den eigentlich bereits gerichtlich mehrfach beschlossenen Rückbau der vier Staudämme am Snake River endlich umzusetzen, aber mächtige Lobbygruppen und Politiker:innen setzen sich nach wie vor mit allen Tricks dagegen zur Wehr.
Der Snake-River liegt in den US-Bundesstaaten Wyoming, Idaho, Oregon und Washington und ist ein Nebenfluss des Columbia River. Im Columbia-Snake-Wassereinzugsgebiet sind es insgesamt acht Staudämme, am Snake River direkt geht es konkret um vier Dämme, die der Stein des Anstosses sind und über die eine breite Koalition aus Umweltaktivist:innen, Indigenen und lokalen Anwohner:innen fordern, dass sie zurückgebaut werden.
Im Flusseinzugsgebiet der drei US-amerikanischen Bundesstaaten Washington, Oregon und Idaho prallen die unterschiedlichen Interessen von Indigenen, Umweltschützer:innen auf der einen Seite und Weizenfarmer:innen und Transportschifferei auf der anderen Seite aufeinander. Während in Seattle und Portland Umweltschützer:innen auf Demonstrationen für den Schutz der Orcas demonstrieren und die traditionell am Snake River lebenden Indigenen wegen des seit Jahrzehnten mehr und mehr ausbleibenden Lachses protestieren, mobilisieren in Idaho die Weizenfarmer:innen und Transportschiffer:innen seit Jahren die Politik für ihre Interessen. Der Stein des Anstoßes: die insgesamt acht Energie produzierenden Staudämme am unteren Columbia-River und an dem Zufluss des Columbia-Rivers, dem Unteren Snake Fluss. Denn die seit 1975 bestehenden Dämme produzieren zwar nur fünf Prozent des Stroms der im weiteren Einzugsgebiet liegenden Städte, dienen aber gleichzeitig wegen der Schleusen an den Dämmen der Verschiffung des Weizens aus der agrarwirtschaftlich geprägten Region Idahos, hin zu größeren Binnenhäfen und von dort weiter, hin zum Weltmarkt. Und die Dämme bilden Reservoirs, aus denen die Farmer:innen regelmäßig Wasser entnehmen, um damit ihre Landwirtschaft zu bewässern.
Doch die Dämme behindern die natürliche Wanderung der dort angestammten Chinook-Lachse, auch Steelheadlachse sind hier urprünglich vorhanden. Beherbergten der Columbia- und der Snake-River dereinst die mit 16 Millionen Lachsen größte Population an Chinook, sind es heute nur noch 1,1 Millionen Fische. Das hat Folgen für das Ökosystem. Zwar gelangen durch neu angepasste Turbinen mehr Fische als früher flussabwärts, so belegten aber jüngere Studien der vergangenen Jahre, dass die Fische dennoch nahezu bei jedem Turbinengang mindestens einen Schlag erhalten. Dennoch überleben mittlerweile die meisten Lachse den Weg durch die Turbinen dank neuerer, angepassterer Technik flussabwärts, aber flussaufwärts sieht das anders aus. Denn die Barrieren der Dämme sind zu hoch, auch Fischtreppen helfen oftmals nicht weiter, so dass bereits 2016 zum fünften Mal die Staudammbetreiber richterlich dazu verurteilt wurden, mittels Hebekähnen die die Flüsse kurz vor der Laichzeit hochziehenden Lachspopulationen manuell über die Dämme hinwegzuheben, – dies gelingt aber nach wie vor nur in weniger als zwei Prozent der Fälle und verursacht – sehr zum Leidwesen der Staudammbetreiberfirma – Millionenkosten. Wären es zumindest zwei Prozent der Lachse, die es dergestalt über die Staudammbarrieren schafften, dann gelte dies unter Wissenschaftler:innen als die zu erreichende absolute Mindestzahl, um die vor Ort existierende Population des Chinook-Lachs zumindest vor dem Aussterben zu retten. Diese Zielzahl – zwei Prozent – wird aber nicht erreicht.
Um die Population der Chinook-Lachse aber hingegen gar dauerhaft zu sichern und einen Anstieg der Population zu erreichen, müsste das – regelmäßig in der Praxis unterschrittene – Zweiprozentziel deutlich übertroffen werden. Hinzu kommt: Das Reservoir in dem durch die Staudämme regulierten Flusslauf ist ein meist stehendes, wärmeres Gewässer – und kein lebendig fließendes und daher deutlich kühleres Gewässer. Dadurch breiten sich dort vermehrt natürliche Fressfeinde des Chinook-Lachses aus, was die Population weiter reduziert. 2018 wurde zudem bei den infolge des Klimawandels erhöhten Wassertemperaturen der stehenden Reservoirgewässer eine weitere deutliche Bedrohung des Chinook-Bestandes festgestellt. Wissenschaftler:innen fordern seit Langem, dass mehr Wasser durch die Überlaufkanäle der Dämme abgeleitet werden solle, um so die Gefahr für die Chinook durch Turbinenrotorschlag zu vermindern und um das Wasser der Flüsse wilder und damit auch kühler zu machen. Doch noch mehr Wasser über die Überlaufkanäle, das ist den Staudammbetreibern ein Dorn im Auge, wollen sie doch möglichst viel Wasser zur Stromproduktion durch ihre Turbinen jagen.
Niedrigwasser ist auch bei der Transportschifferei und den Weizenfarmer:innen nicht sonderlich beliebt. Der deutliche Rückgang des Chinook hat zudem aber auch flussabwärts, in einem ganz anderen Habitat, dramatische Folgen. Und zwar für die Meeresfauna im Pazifik. Dies wurde im Sommer 2018 auch den letzten die Medien verfolgenden Bürger:innen klar, als über mehrere Tage Livebilder in regionalen Fernsehen und international in sozialen Medien gezeigt wurden, auf denen eine Orca-Walmutter über mehrere Tage ihr junges, aber bereits totes Kalb im Wasser bewachte. Das Kalb war infolge des Fressmangels der Mutter verhungert. Denn eine der Hauptnahrungsquellen der Orcas vor der Mündung des Columbia-Rivers sind eben die Chinook-Lachse, denen die Orcas zu dieser Jahreszeit, kurz vor dem Flussaufwärtsschwarm der Lachse, folgen. Je weniger Chinook, desto weniger haben die Orcas in der Region eine Überlebenschance. Daher gibt es die deutliche Forderung von Indigenen und von Umweltschützer:innen, die Dämme zurückzubauen und den Columbia- und den Snake-River wieder zu einem frei fließenden Flusssystem zu machen. Damit sind aber die Weizenfarmer:innen und Transportschiffer:innen nicht einverstanden, wollen sie doch ungehindert aus dem als Seehafen geeigneten Verladenhafen Lewiston im Bundesstaat Idaho, 465 Meilen, also 748 Kilometer vom Pazifik entfernt, weiterhin ihren Weizen in alle Welt exportieren. Und die Staudammbetreiberfirma BPA will auch lieber weiterhin ihren Strom verkaufen. Dabei liefern mittlerweile neuesten Erhebungen zufolge Solaranlagen in Kalifornien, die gekoppelt sind mit Speicherbatterien, billigeren Strom als die Wasserkraft vom Columbia- und Snake-River. Doch die Energiefirma BPA kann derzeit ihren Strom an die Großabnehmer noch teurer verkaufen, weil die Alt-Verträge noch höhere Preise garantieren als die neuen billigeren Solaranlagen. Doch diese Alt-Verträge enden 2028. So kämpft seit Jahren im Dreiländereck eine neue Allianz aus Umweltschützer:innen, Wissenschaftler:innen, Indigenen und kritischer Öffentlichkeit, die fordern, jetzt endlich mit dem Plan für den Rückbau der Dämme zu beginnen. Die Wissenschaftler:innen wiesen in Bezug auf die Besorgnisse der Weizenfarmer:innen auf den ohnehin massiven Anstieg des Weizentransports per Bahn hin und die Bewässerung für die Farmer:innen reiche auch ein Abfluss in Richtung der agrarwirtschaftlich genutzten Zone an einer weiter oben gelegeneren Stelle des Snake-Rivers.
Obwohl der Rückbau der Dämme wegen der offensichtlichen Chinook-Lachs-Gefährdung bereits ein halbes Dutzend Mal gerichtlich angeordnet wurde (siehe wiederholte Berichterstattung von GegenStrömung), entschied die zuständige Bundespolitik noch anders und will die Dämme noch halten. Dagegen laufen die Indigenen, Umweltschützer:innen und Teil der Anwohner:innen Sturm und zogen wiederholt vor Gericht. Derweil aber bewegte sich auch in der Politik etwas: der Abgeordnete Mike Simpson, ein republikanischer Bundes-Abgeordneter aus Idaho hat Anfang des Jahres einen 33,5 Milliarden US-Dollar schweren Dammrückbauplan vorgestellt.
Nun aber schießen demokratische Abgerodnete und Senator:innen quer, der Disput wird also weitergehen. Der Rückbau der Dämme am Snake River wird sich weiter verzögern. Dem Chinook-Lachs läuft die Zeit davon.
Die Nichtregierungsorganisation American Rivers führt seit Jahren in ihrem Kampf um freifließende Flüsse in den USA auch ein Register, das den wachsenden Rückbau von Staudämmen in den USA dokumentiert. Neuesten Zahlen der Umweltschützer:innen von American Rivers zufolge wurden im Jahr 2020 in den USA insgesamt 69 Staudämme in 23 US-Bundesstaaten zurückgebaut. Somit wurden – laut American Rivers – in den USA seit 1912 insgesamt 1797 Staudämme zurückgebaut. Die bei diesen Vorhaben erfolgreichsten US-Bundesstaaten im Jahr 2020 waren Ohio mit 11 Rückbauten, Massachusetts mit 6 und der Bundesstaat New York ebenfalls mit 6 Rückbauten.
Insgesamt befinden sich in den USA mehr als 90.000 Staudämme. Dabei sind viele der Dämme zwischen 1930 und 1970 gebaut worden, so dass sie nun an das Ende ihrer projizierten Lebensdauer gelangen und von daher eine wachsende Gefahr darstellen. Dies wurde jüngst in einem Bericht einer UN-Organisation bestätigt – und zwar für 59.000 Dämme weltweit. Bis zum Jahr 2050 werde mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung flussabwärts von zehntausenden großen Staudämmen leben, die ihre vorgesehene Lebensdauer erreicht oder überschritten haben werden, so der UN-Bericht. Die meisten der weltweit fast 59.000 großen Staudämme wurden zwischen 1930 und 1970 gebaut und waren damals ausgelegt für eine Betriebsdauer von 50 bis 100 Jahren. Diese strukturellen Bruchgefahren stellten ein erhebliches Risiko für Milliarden von Menschen dar, so die Studie des UNU Institute for Water, Environment and Health (UNU-INWEH).
Umso wichtiger ist es, sich weiter für den Rückbau von Dämmen einzusetzen. Durch den bisher erreichten Rückbau entstanden tausende Kilometer frei fließender Flusslandschaften, mit allen Möglichkeiten von freiem Fischzug, Sedimentfracht und ungezügelter Biodiversität. So werden seit Jahren in den USA statistisch mehr Staudämme abgerissen als neue gebaut. American Rivers hat dazu auch eine interaktive Landkarte erstellt, die den Rückbau von Staudämmen in den USA dokumentiert: https://www.americanrivers.org/threats-solutions/restoring-damaged-rivers/dam-removal-map/
Der Rückbau vieler Dämme und somit die Schaffung freifließender Flüsse weltweit und der Erhalt der Fischpopulationen sind dringendste Aufgaben. Denn eine unlängst veröffentlichte Studie zeigte, wie seit 1970 die weltweiten Bestände der in Süßwasser migrierenden Fische um 76 Prozent zurückgingen.