Von Christian Russau
Mehr als 270 Organisationen, Expert:innen und Umweltschützer:innen haben ein Dokument (die Erklärung gibt es auch hier bei International Rivers auf Englisch) unterzeichnet, das einen Stopp neuer Wasserkraftwerke im Amazonasgebiet fordert: „Das Beharren auf der Rolle von Wasserkraftwerken als Quelle nachhaltiger und sauberer Energie bedeutet, das historische Erbe der ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Katastrophen zu ignorieren, die die im Amazonasgebiet gebauten Staudämme hinterlassen haben.“ So heißt es in dem von mehr als 270 Organisationen der Zivilgesellschaft, Umweltschützer:innen und Expert:innen unterzeichneten Manifest, in dem ein Moratorium, d.h. die sofortige Aussetzung neuer Wasserkraftwerke im Amazonasgebiet, gefordert wird, bis die nationalen Energiepläne und die nationalen Programme zum Klimawandel und zur Energiewende überarbeitet sind.
Das Schreiben ist gerichtet an den brasilianischen Präsidenten, Luiz Inácio Lula da Silva, an die Umweltministerin, Marina Silva, an den Bergbau- und Energieminister, Alexandre Silveira, sowie an die Gouverneur:innen der im Amazonas-Gebiet liegenden Bundesstaaten. Das Dokument hebt die sozialen und ökologischen Auswirkungen früherer Wasserkraftprojekte hervor und verweist auf konkrete Beispiele für die große Umwelt-, Biodiversitätsschäden und auf die sozialen Folgen für die Lokalbevölkerung in der Region hin. Zur Begründung werden die negativen Folgen von Staudämmen, die in der Vergangenheit gebaut wurden, herangezogen, so z.B. der Bau des Wasserkraftwerks Balbina, des ersten großen Wasserkraftwerks im Amazonasgebiet, sowie der Staudämme von Tucuruí, Santo Antonio, Jirau, Teles Pires bis hin zum Wasserkraftwerk Belo Monte, dem letzten, das gebaut wurde.
Darüber hinaus werden in dem Dokument auch die zerstörerischen Auswirkungen von Kleinwasserkraftwerken auf die Region dargelegt. Der Erklärung zufolge kann eine Gruppe von sogenannten kleineren Wasserkraftwerke im selben Einzugsgebiet bis zu viermal größere Auswirkungen, da auch durch diese der Zusammenhang der natürlichen Flussläufe unterbrochen wird. „Es wird erwartet, dass sich dieser Verlust an Vernetzung durch kleine Wasserkraftwerke in Zukunft um 21 Prozent verschlimmern wird, wenn alle geplanten Vorhaben gebaut werden, was sich auf Flüsse auswirken wird, in denen mehr als 120 Arten von Wanderfischen leben – 14 von ihnen sind vom Aussterben bedroht und 20 von ihnen sind von großer Bedeutung für die kommerzielle Fischerei und die Freizeitfischerei“, so das Manifest.
Das Dokument zeigt auch die Notwendigkeit auf, nachhaltige Praktiken in der Region einzuführen und das brasilianische Energiepotenzial für einen sauberen Übergang mit weniger Auswirkungen auf die Regionen zu berücksichtigen. „Angesichts der sich verschärfenden Klimakrise, die sich direkt auf die starken Schwankungen des hydrologischen Flusses und die Wasserknappheit auswirkt, müssen die Entscheidungen der Vergangenheit, die Brasilien zu einer fast vollständigen Abhängigkeit von der Energieerzeugung aus Wasserkraftwerken geführt haben, überprüft werden, und in sein Transitionsprogramm für den Übergang zur Energiematrix Anreize und Initiativen aufnehmen, die auf Energieeffizienz, das Repowering bestehender Wasserkraftwerke, den Ausbau von Wind-, Solar- und Biomassequellen und die Einführung dezentraler Mini- und Mikroerzeugung erneuerbarer Energien abzielen, wobei einkommensschwachen Gruppen und den am stärksten isolierten Gemeinden im Amazonasgebiet Vorrang eingeräumt wird“, so die Schlussfolgerung der Unterzeichnenden.