Die brasilianische Bundesjustiz hat in einem Urteil festgestellt, dass Frauen im Rahmen der Entschädigung für Schäden, die durch den im November 2015 bei Mariana erfolgten Dammbruch des Samarco-Tailings verursacht wurden, durch den Dutzende Gemeinden im Einzugsgebiet des Rio Doce bis hin zur Mündung bei Regência betroffen waren, systematisch benachteiligt wurden. In der Entscheidung wurde eine Anpassung der Registrierungsmodalitäten verlangt, und die von Vale und BHP als Eigentümer der Samarco eingesetzten Renova-Stiftung, die für die Verwaltung des Wiedergutmachungsprozesses zuständig ist, muss nun die wesentlichen Informationen überprüfen, korrigieren und aktualisieren, damit die betroffenen Frauen Zugang zu den Finanzhilfe- und Entschädigungsprogrammen beantragen können.
Von Christian Russau
Die Beschlüsse wurden von Richter Vinicius Cobucci vom Bundesregionalgericht der 6. Region (TRF-6) unterzeichnet. Dies berichtet die staatliche Agência Brasil. Der Richter folgte den Argumenten, die in einer öffentlichen Zivilklage von sechs Justizbehörden vorgebracht wurden: der Bundesstaatsanwaltschaft MPF, der Staatsanwaltschaft von Minas Gerais MPMG, der Staatsanwaltschaft von Espírito Santo MPES, der Bundesanwaltschaft DPU sowie öffentlicher Pflichtverteidiger:innen der beiden Bundesstaaten Minas Gerais und Espírito Santo.
Die Staatsanwaltschaften legten in dem vorherigen Prozess dar, dass es während des von Samarco und seinen Mutterfirmen – Vale und BHP Billiton – eingeleiteten und von der Renova-Stiftung durchgeführten Wiedergutmachungsprozesses eine unterschiedliche Behandlung je nach Geschlecht gegeben habe. Sowohl in der Phase der Registrierung als auch bei der Umsetzung der Maßnahmen soll es zu Verstößen gekommen sein. Die sechs Justizbehörden fordern zudem eine angemessene Entschädigung.
Richter Vinicius Cobucci vertrat die Auffassung, dass die Renova-Stiftung bei der Registrierung eine bürokratische, ausgrenzende und vorurteilsbelastete Methode anwandte, die der Komplexität der Familienbeziehungen nicht Rechnung trug. Dies führte, so der Richter, dass die Frauen gegenüber den Männern in eine untergeordnete Position gerieten. Seiner Ansicht nach handelt es sich um ein patriarchalisches Modell, bei dem die Informationen auf die Figur des vermeintlichen „Familienoberhaupts“ konzentriert wurden. Auf diese Weise wurde der wirtschaftliche und soziale Beitrag der Frauen unsichtbar gemacht und ihnen so der Zugang zu entsprechenden Wiedergutmachungsprogrammen verwehrt.
Nach fast neun Jahren sind vor den brasilianischen Gerichten immer noch mehr als 85.000 Klagen wegen der Tragödie anhängig, berichtet Agência Brasil. Die Verhandlungen zur Neuverhandlung des Abkommens auf der Suche nach einer Lösung für diese gerichtliche Haftung laufen seit mehr als zwei Jahren, aber die von den Bergbauunternehmen angebotenen Beträge haben die Erwartungen der Regierungen noch immer nicht erfüllt. In der öffentlichen Zivilklage, die auf die Rechtsverletzungen der Frauen hinweist, führen die sechs Justizbehörden verschiedene Probleme an. Obwohl die Zahl der Männer und Frauen im Register der Betroffenen ähnlich hoch sei, hätten die weiblichen Opfer an den von der Stiftung Renova durchgeführten Anhörungen zur Erhebung der Primärdaten nur in geringem Maße teilgenommen: Sie machten bei diesen Erhebungen zufolge nur 39 Prozent aller Betroffenen aus. Außerdem waren nur 34 Prozent der Frauen als wirtschaftlich Verantwortliche für den Haushalt aufgeführt. Die Staatsanwaltschaften erklärten, dass das Register die Bedingung der Möglichkeit zu Teilhabe an Entschädigungsprogrammen überhaupt sei, so dass die geringe Beteiligung an der Datenerhebung systematisch ausgrenzend wirke und die Realität der weiblichen Opfer verschleiert werde. Die Staatsanwaltschaften argumentierten darüber hinaus, dass die Renova-Stiftung das Konzept der patriarchalischen Familie übernommen hat, als sei dies die einzige Möglichkeit zur Bildung von Familien. Infolgedessen mussten viele Frauen die Zustimmung ihrer Ehemänner einholen, um Zugang zu den Daten zu erhalten und diese zu ändern. In der Klage wird auch darauf hingewiesen, dass der Wiedergutmachungsprozess keine geschlechtsspezifischen Maßnahmen vorsieht, wodurch die fehlende Gleichstellung der Geschlechter noch verstärkt werde.
Am 5. November 2015 war der Damm des Rückhaltebeckens Fundão nahe der Kleinstadt Mariana im Bundesstaat Minas Gerais in Brasilien gebrochen. Millionen Kubikmeter an Bergwerksschlamm aus der Eisenerz-Mine der Firma Samarco und ein Tsunami aus Schlamm zerstörte mehrere Dörfer, 349 Häuser, Schulen und Kirchen. Die Flüsse Rio Gualaxo do Norte, Rio do Carmo und Rio Doce wurden auf Hunderten von Kilometern verseucht, Tausende Kleinfischer:innen entlang der betroffenen Flussläufe waren jahrelanglang (und sind es teilweise noch heute) in Mitleidenschaft gezogen, lange war auch die Trinkwasserversorgung von zigtausenden Menschen im Einzugsgebiet des Rio Doce betroffen. Direkt durch den Dammbruch starben 19 Menschen. Unbekannt ist die Zahl der potentiellen Opfer, die durch Langfristschäden durch Schwermetall- und Staubbelastung der Eisenerzrückstände krak wurden oder ggf. daran sogar gestorben sein könnten. Samarco ist eine Aktiengesellschaft, die zu gleichen Teilen im Besitz der australisch-britischen BHP Billiton Brasil Ltda. und der brasilianischen Vale S.A. ist.