Umweltfolgenstudie der dem brasilianischen Bergbau- und Energieministerium direkt unterstellten Staatsfirma für Energieforschung EPE (Empresa de Pesquisa Energética) für das Wasserkraftwerk Bem Querer im brasilianischen Bundesstaat Roraima erfolgt ohne die vorgeschriebene Analyse der Folgenabschätzung für betroffene indigene Völker wie die Yanomami.
Von Christian Russau
Die dem brasilianischen Bergbau- und Energieministerium direkt unterstellte Staatsfirma für Energieforschung EPE (Empresa de Pesquisa Energética) stellte ihre Umweltfolgenstudie für den Bau des Wasserkraftwerks Bem Querer am Fluss Rio Branco im nordbrasilianischen Bundesstaat Roraima vor, obwohl im direkten Einflussgebiets dieses geplanten Staudamms sich das indigene Territorium der Yanomami befindet. Die vorgestellte Umweltfolgenstudie ist Medienberichten zufolge unvollständig, da sie kein Kapitel über die Folgen des Staudammbaus für die indigenen Völker der Region beinhalte. Das staatliche Unternehmen hat die Umweltverträglichkeitsstudie und den Umweltbericht (beide zusammen stellen das in Brasilien vorgeschriebene EIA-RIMA dar) für das Wasserkraftwerk Bem Querer fertig gestellt und am 25. Mai dieses Jahres bei der Bundesumweltbehörde Ibama, um die vorläufige Genehmigung zu erhalten. Dies berichten brasilianische Medien wie die Folha de SP und Jornal de Brasília übereinstimmend.
Die Indigenenbehörde FUNAI habe die Verantwortlichen bei EPE und dem Bergbau- und Energieministerium bereits darauf hingewiesen, dass die sog. „indigene Komponente“ der Umweltverträglichkeitsprüfung unerlässlich sei und dass dies Dokument in den Unterlagen fehlt, obwohl dies laut Gesetz nicht geschehen dürfe. „Die Veröffentlichung des Bescheids über die Genehmigung der Umweltverträglichkeitsprüfung wird vom Abschluss der Analysephase abhängen, in der alle rechtlichen Anforderungen für diese Phase geprüft werden“, zitieren die Medien die FUNAI. EPE hat laut den Medienberichten auf Anfrage nicht reagiert.
Laut Medienbericht hätte es Vor-Ort-Analysen in Bezug auf die sog. „Indigene Komponente“ der EIA-RIMA geben müssen. Im Februar 2023, wenige Tage nach der Ausrufung des Gesundheitsnotstandes auf dem Land der Yanomami aufgrund der humanitären Krise der indigenen Bevölkerung, schickte die FUNAI einen Brief an das Bergbau- und Energieministerium, in dem die FUNAI erklärte, dass es gegenwärtig und unter diesen Umständen nicht möglich sei, Treffen zur Vorbereitung der Umweltstudie mit den „potenziell betroffenen indigenen Gemeinschaften im Yanomami-Gebiet“ abzuhalten. Die FUNAI erklärte dem Bericht zufolge aber auch, dass es nicht ginge, „die Studien nur auf der Grundlage von Sekundärdaten durchzuführen“.
Das Bem Querer-Wasserkraftwerk soll mit 650 MW Kapazität am Branco-Fluss im nordbrasilianischen Bundesstaat Roraima betrieben werden, wobei ein 640 km2 großer Stausee auf dem Gebiet von sechs Gemeinden entstehen soll. Zum Vergleich: der Stausee von Belo Monte am Xingu-Fluss umfasst 516 Quadratkilometer, bei einer propagierten Höchstnominalkapazität von 11 GW, die jedoch im Jahresdurchschnitt deutlich unterboten werden.
Die Energie von Bem Querer (GegenStrömung hatte bereits ausführlich berichtet) würde nicht nur für Roraima, sondern auch für die Landeshauptstadt des Bundesstaates Amazonas, Manaus, sein; denn dort musste unlängst zur Stabilisierung der Stromversorgung ein 700-MW-Gaskraftwerk in Betrieb gesetzt werden. Doch bereits im Juni dieses Jahres hatte das Netzwerk Fórum de Energias Renováveis de Roraima eine umfassende Studie vorgelegt, die belegen soll, dass der geplante Staudamm Bem Querer am Rio Branco in Roraima „eines der ineffektivsten“ Wasserkraftwerke überhaupt wäre. Das Netzwerk aus Umweltaktivist*innen und Wissenschaftler*innen, die sich 2019 zu dem Netzwerk zusammenschlossen, sieht enorme Risiken und Unwägbarkeiten des Projekts, wie z. B. die Risiken im Zusammenhang mit dem Ausmaß des Hochwassers und dem Anstieg des Grundwasserspiegels. So weisen die Autor*innen der Studie des Netzwerk Fórum de Energias Renováveis de Roraima darauf hin, dass durch den Bau des Stauwerks Bem Querer weite Gebiete überschwemmt werden würden, darunter Wälder, städtische und ländliche Gebiete, landwirtschaftliche Betriebe und indigene Gebiete. Der Bau des Staudamms samt Stausee würde einen Anstieg des Grundwasserspiegels vor Ort bewirken und damit die Gefahr damit einhergehender Zunahme der Überschwemmungen, insbesondere in der Landeshauptstadt Boa Vista, erhöhen.
Die Analyse der Umweltaktivist*innen geht zudem davon aus, dass es zu wirtschaftlichen Verlusten im Überschwemmungsgebiet mit Auswirkungen auf Landwirtschaft, Straßen, Tourismus, Fischerei, Freizeit kommen werde. Als schwerwiegend wird auch die Gefahr der Zerstörung der Stromschnellen im Fluss angesehen sowie die Bedrohung für die rund 130 Kilometern Stränden und Sandflächen am Fluss angesehen. Dabei bedeute der Staudamm Bem Querer – so die Umweltaktivist*innen – ein hohes hydrologisches Risiko, da in den zunehmenden Trockenphasen somit nur geringe bis hin zu gar keiner Energieerzeugung während der Trockenzeit drohe. Hinzu kämen die hohen Methangasemissionen aus dem Stausee der Anlage. Und nicht nur werde der Transport auf dem Rio Branco für die lokale Bevölkerung, die den Fluss als Lebensader nutzt, unterbrochen für Boote, sondern auch die Fischpopulationen gerieten durch den Bau in Gefahr, da ihnen die Flusswanderung zu ihren Laichgründen abgeschnitten werde.
Für die lokale Bevölkerung, die oft vom Fischfang lebt, hätte dies erhebliche sozioökonomische Auswirkungen wie eine Verschlechterung der Gesundheitssituation, der Sicherheitsfrage, der Bildung, Lebenshaltungskosten und anderen Indikatoren, so die Studienautor*innen. Hinzu komme, dass Staudämme Sedimente zurückhalten, deren Verbringung flussabwärts normalerweise für Nährstoffeintrag flussabwärts sorgt.
Aber die EPE und das Bergbau- und Energieministerium sehen das anders: „Die hydroelektrische Nutzung des Branco-Flusses, insbesondere des Abschnitts der Bem Querer-Stromschnellen, ist für den Bundesstaat Roraima und für Brasilien von großer Bedeutung, da die Nachfrage nach Strom auf dem Markt steigt und der Bundesstaat in das SIN (Nationales Verbundsystem) integriert werden soll“, heißt es in der von EPE vorgelegten Studie, so der Medienbericht der Folha de SP. Laut der der Ibama vorgelegten Umweltverträglichkeitsprüfung wäre der Stausee 24 Kilometer vom Land der Yanomami entfernt. Die Trasse einer möglichen Übertragungsleitung wäre laut dem Dokument 20 Kilometer von dem Gebiet entfernt, das der Trasse am nächsten liegt. In der Region der Gemeinden, die das so genannte Gebiet des indirekten Einflusses bilden, gibt es laut der Studie zehn indigene Gebiete und 38 ländliche Siedlungen.
Werden in Brasilien Großprojekte jedweder Art geplant, die direkte oder indirekte Folgen für indigene Völker haben könnte, so ist eine freie, vorherige und informierte Konsultation gesetzlich vorgeschrieben. Brasilien hat 2002 die ILO-Konvention Nr. 169 zum Schutze der Rechte indigener Völker ratifiziert. Bislang hat es seitens des Staates im Bezug auf den geplanten Bau von Bem Querer keine diesbezüglichen Versuche gegeben.
Eine weitere zu erwartende Folge des Baus eines solchen Vorhabens wäre sicherlich die Zunahme von Bergbau- und Holzunternehmen in der Region, die sich auf die billigere Energie aus dem Betrieb des Wasserkraftwerks Bem Querer stützen. Dies würde zu einer „verstärkten Beeinträchtigung der Wälder und Lagerstätten auf indigenem Land im Gebiet des indirekten Einflusses sowie zu einer verstärkten Verschmutzung der Bäche, die die Dörfer versorgen“ führen, zitiert der Medienbericht aus der vorgestellten Umweltverträglichkeitsprüfung. Laut der UVP werde auch die Fischerei durch traditionelle Gemeinschaften beeinflusst. „Einige indigene Völker sind oder waren dem Druck des illegalen Bergbaus ausgesetzt. Die Ansiedlung indigener Völker in den Gemeinden könnte diese auch einem möglichen Anstieg epidemiologischer Vorkommnisse oder gesundheitlicher Probleme aussetzen“, so zitiert der Medienbericht die UVP. Hinzu kommt, was selbst der Bericht in seiner Sekundäranalyse eingesteht, dass die „wirtschaftliche Aufregung“, die durch den Bau des Staudamms ausgelöst wird, den illegalen Bergbau auf dem Land der Yanomami und Konflikte zwischen Indigenen und Bergleuten weiter verstärken könnte, zitieren die Medien die Umweltverträglichkeitsstudie.