Von Christian Russau
Am 24. Januar wurden die Anwohner:innen der Großen Flussschleife am Xingu-Fluss – der Volta Grande do Xingu – von steigendem Wasserpegel zunächst angenehm überrascht. Diesmal aber nicht wegen zuvoriger Regenfälle, sondern weil die brasilianische Umweltbundesbehörde IBAMA im Oktober 2024 angeordnet hatte, dass ab Januar 2025 die Staudammbetreiberin Norte Energia den Wasserfluss zur Abzweigung hin zum Staudamm Belo Monte reduzieren müsse, damit es eben in der Volta Grande endlich wieder für die anwohnenden Menschen – Indigene, Kleinbäuerinnen und -bauern sowie allgemein Fluss anwohnende Ribeirinhos – ausreichend Wasser gäbe, damit die grundlegenden lebensweltlichen Bedingungen für die Menschen – Transport, Fischfang, Wasser zum alltäglichen Bedarf – endlich wieder gesichert werden, und dass die Volta Grande nicht mehr wie seit dem Bau von Belo Monte so oft gesehen: eine Brühe stehender Wasserreste ist, in denen Malariamücken ihr Paradies finden. So entschied also IBAMA, dass Norte Energia bei der ersten Staustufe vpn Pimental weniger Flusswasser gen Staudamm Belo Monte abzweige und dergestalt die Flusspegel auf der 130 Kilometer langen Strecke der Volta Grande wieder ansteigen konnten: Der Durchfluss der Wassermenge wurde von rund 1.800 Kubikmetern pro Sekunde (m3/s) auf mehr als 5-000 m³/s erhöht.
Das Investigativportal Agência Pública berichtete dazu: Diese Erhöhung des Wasserzuflusses „reichte aus, damit das Wasser zum ersten Mal seit Monaten in eine der Inseln der Volta Grande do Xingu eindrang und einen kleinen Bach auf dem Waldboden bildete. Das war das Signal, auf das die Fische gewartet hatten: die Chance, ihre Eier an einem sicheren Ort im Wasser abzulegen. Am nächsten Tag ließ die Strömung jedoch nach und das wenige Wasser, das auf die Insel gelangt war, zog sich zurück. Da fand Jainy Kuruya de Almeida, 42 Jahre alt, ein schreckliches Bild vor: Die Tausende von Fischogen, die gerade abgelegt worden waren, waren alle auf dem Trockenen gelandet. Ein Todesurteil, denn sie brauchen Wasser, um zu überleben. „Man konnte die ‚kleinen Fische‘ darin springen sehen. Sehr traurig“, so der Bericht bei Agência Pública.
Dies zeigt, es muss darauf geachtet werden, dass der Zufluss nicht zu großen Schwankungen ausgesetzt werden darf, um die Fischpopulationen nicht zu gefährden. Unvergessen auch die Episode aus dem Jahr 2016, als infolge mutmaßlich überraschend starke Regenfälle weit flussaufwärts das Staureservoir von Belo Monte und der ersten Staustufe Pimental überzulaufen drohten und die Staudammbetreiberin Norte Energia ohne als ersthaft und bemüht zu verstehende Kommunikationsversuche gegenüber den flussabwärts lebenden indigenen Arara die Überlaufschleusen öffnete und Teile der Uferzonen der Volta Grande in kürzester Zeit geflutet wurden, und die überraschten Anwohner:innen in Panik ihr Hab und Gut und ihr Leben zu retten suchten (GegenStrömung berichtete)
So besteht (oder bestand) nach der IBAMA-Entscheidung von Oktober die Hoffnung in der Volta Grande, dass es mehr verfügbares Wasser für die Volta Grande gäbe und dass dieser Wasserpegel harmonischer mit den bekannten jahreszeitlichen Wechsel weniger abrupt gesteuert werde, dies alles eben dank der Entscheidung der IBAMA. Doch, wie so oft in Brasilien, machte dem die Justiz einen Strich durch die Rechnung: Ein Bundesgericht von Pará hat eine einstweilige Verfügung erlassen, mit der die Entscheidung der Behörde IBAMA zu mehr Wasserdurchlass für die Volta Grande wieder aufgehoben wurde. Organisationen des Elektrizitätssektors hatten zuvor vor den Betriebsrisiken und Kosten der Entscheidung der IBAMA gewarnt.
Und die Argumentation der Kraftwerksbetreiberin und der nationalen Stromnetzagentur ONS lief dabei wie folgt: Nach Angaben des ONS ist Belo Monte in den wasserreichsten Monaten, in der Regel von Dezember bis Juni, eines der landesweit größten und wichtigsten Kraftwerke, die für die Energieerzeugung und die Bereitstellung von Strom im Netz verantwortlich sind. Diese Erzeugung „trägt stark zur Deckung der Nachfrage bei“, so das ONS, und trage dazu bei, die anderen Stauseen zu füllen, insbesondere in den Becken im Südosten/Zentralwesten, damit sie in der Trockenzeit, hauptsächlich von September bis November, genutzt werden können. Der Präsident der Nationalen Stromagentur Aneel, Sandoval Feitosa, ließ zudem verlauten, dass die Verringerung der Stromerzeugung infolge des für Belo Monte verminderten Wasserzuflusses den Stromverbraucher:innen im ganzen Land Kosten zwischen 1,2 und 2,4 Milliarden R$ verursachen könnte. Es wurde also wieder einmal das nationale Notstandsargument und das Argument der normativen Kraft des Faktischen eingeführt: (paraphrasierend) Jetzt ist er also da der Damm (vor dessen Umwelt- und sozialen Folgen, die nun seit Jahren eintreten, die Kritiker:innen zuvor ausgiebig gewarnt hatten), also wäre es ja dumm, wenn wir nun nicht die Vorteile (mutmaßlich billigeren und viel mehr Strom) nutzen würden, eine Nichtnutzung wäre ein viel größerer nationaler Schaden (als der lokale Schaden der direkt betroffenen vor Ort). Der Kampf um die Wasserzuflussmenge für die Volta Grande vs Belo Monte dürfte also weitergehen.
Dennoch gibt es in Bezug auf den Staudamm Belo Monte und dessen Umwelt- und sozialen Folgen seit Kurzem eine neue Entwicklung, die so nicht erwartet worden war: Einer der Obersten Richter am STF, Richter Flávio Dino, entschied am 11. März 2025, dass die vom Bau des Belo Monte-Staudamms in Pará betroffenen indigenen Gemeinschaften an den Gewinnen des Kraftwerks beteiligt werden müssen. Laut der Verfügung sollen die Gemeinden 100 Prozent des Betrags erhalten, den die Konzessionärin – Norte Energia – an die Bundesregierung in Form von Royalties weiterleitet. Dino gab dem Kongress außerdem 24 Monate Zeit, um ein spezielles Gesetz zu verabschieden, das diese Frage regelt. Grund für die Entscheidung des Richters war eine Klage der indigenen Vereinigung Yudjá Miratu aus dem Volta Grande do Xingu. Die Organisation argumentierte vor dem STF, dass der Kongress es versäumt habe, ein Gesetz zu verabschieden, das die verfassungsrechtlichen Bestimmungen regelt, die eine Beteiligung der Gemeinschaften an den Ergebnissen der Ausbeutung von Wasserressourcen und Bodenschätzen auf indigenem Land garantieren. Die Gemeinschaften berichteten über die Probleme, mit denen sie seit dem Bau des Belo Monte-Staudamms auf dem Gebiet der indigenen Gemeinschaften Paquiçamba, Arara da Volta Grande do Xingu und Trincheira Bacajá konfrontiert sind.
Der Richter Flávio Dino vom Bundesgerichtshof STF entschied also, dass die vom Bau des Wasserkraftwerks Belo Monte in Pará betroffenen indigenen Gemeinschaften an den Gewinnen des Kraftwerks beteiligt werden müssen. Laut der Verfügung sollen die betroffenen indigenen Gemeinschaften 100 Prozent des Betrags erhalten, den die Konzessionärin an die Bundesregierung in Form von Royalties weiterleitet. Medienberichten zufolge ginge es dabei um einen Betrag in Höhe von 210 Millionen Reais je Jahr.
Dies ist ein Novum. Das juristische Argument der Indigenen der Yudjá Miratu (vormals Juruna) dabei ist klar: der Bau von Belo Monte ist erfolgt, der Betrieb läuft, es werden Royalties an den Staat gezahlt, aber wir Indigene vor Ort mit unseren angestammten und demarkierten Landrechten werden negativ durch den Staudamm Belo Monte betroffen, also steht uns eine Entschädigung zu. So weit, so klar. Beachtenswert ist bei der juristischen Argumentation der in den Medienberichte zitierte folgende Punkt: „dass der Kongress es versäumt habe, ein Gesetz zu verabschieden, das die verfassungsrechtlichen Bestimmungen regelt, die eine Beteiligung der Gemeinden an den Ergebnissen der Ausbeutung von Wasserressourcen und Bodenschätzen auf indigenem Land garantieren“ – denn ein solches Gesetz ist ja eigentlich das, was viele der indigenen Organisationen vehement bekämpfen, da es ihrer Ansicht nach den integralen Schutz indigener Territorien untergraben würde, indem diese für wirtschaftliche Exploration freigegeben würden. Verständlich, dass die von Belo Monte bereits schon seit Jahren betroffenen Indigenen nun sagen, dann wollen wir wenigstens eine Entschädigung haben, aber auch verständlich, dass viele anderen indigenen Gruppen, die sich künftig bedroht fühlen durch eine potentiell neue Gesetzgebung, die solche Entschädigungszahlungen vorsieht als Kompensation für die künftige wirtschaftliche Exploration der indigenen Territorien, sich gegen so etwas massiv zur Wehr setzen. Die neue Argumentation des Obersten Richters Flavio Dino ist somit als zweischneidig und ambivalent zu bewerten. Und es bleibt abzuwarten, wie dort das juristische Narrativ sich fortsetzen wird.