Ein aktueller Schritt von Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen bringt eines der umstrittensten Energieprojekte Zentralasiens erneut in den Fokus internationaler Aufmerksamkeit: Anfang April reichten zwei zivilgesellschaftliche Organisationen aus Tadschikistan eine formelle Beschwerde gegen die Weltbank beim sogenannten Inspection Panel ein. Die Beschwerde richtet sich gegen die Unterstützung der Weltbank für vorbereitende Maßnahmen zum Bau des Rogun-Staudamms – einem Megaprojekt, das seit Jahren wegen seiner ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Risiken in der Kritik steht.
Das Inspection Panel ist ein unabhängiges Gremium der Weltbank, das Beschwerden von Menschen prüft, die von Weltbank-finanzierten Projekten negativ betroffen sind. Die tadschikischen Organisationen werfen der Bank unter anderem vor, Umwelt- und Sozialstandards nicht eingehalten zu haben, unzureichend über die Risiken des Projekts informiert zu haben und betroffene Gemeinden nicht angemessen beteiligt zu haben.
Veraltete Studien und mangelnde Transparenz
Konkret kritisieren die Beschwerdeführer, dass sich die von der Weltbank finanzierten Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfungen (ESIA) auf veraltete und unvollständige Daten stützen. In den betroffenen Regionen wurden Umsiedlungen durchgeführt, ohne dass aktuelle Risikobewertungen oder angemessene Konsultationen stattfanden. Einige der verwendeten Gutachten stammen noch aus der Sowjetzeit – ein eklatanter Verstoß gegen die Anforderungen an evidenzbasierte, partizipative Entscheidungsprozesse.
Auch bei der Sprach- und Informationspolitik gibt es erhebliche Defizite: Die Studien lagen jahrelang nur auf Englisch vor, was die Beteiligung der lokal betroffenen Bevölkerung massiv erschwerte. Erst kürzlich wurden Übersetzungen ins Tadschikische nachgeliefert – ein Schritt, der viel zu spät kommt.
Zweifel an der Klimaverträglichkeit
Neben sozialen und prozeduralen Mängeln bemängeln die Organisationen auch die Klimapolitik der Weltbank: Obwohl der Rogun-Staudamm als Beitrag zur „grünen Energiewende“ präsentiert wird, erfüllt er laut internationalen Analysen nicht die Anforderungen an ein wirklich klimafreundliches Projekt. Mit geschätzten Emissionen von über 100 g CO₂e/kWh liegt das Projekt über den Schwellenwerten der EU-Taxonomie. Eine tatsächliche Dekarbonisierung des Energiesektors droht durch das Projekt sogar verzögert zu werden, da kostengünstigere Alternativen wie Solar- und Windkraft ins Hintertreffen geraten.
Was bedeutet die Beschwerde?
Die Einreichung einer Beschwerde beim Inspection Panel ist ein bedeutender Schritt – nicht nur für die betroffenen Menschen in Tadschikistan, sondern auch für die internationale Debatte über verantwortungsvolle Entwicklungsfinanzierung. Sollte das Panel die Vorwürfe für plausibel halten, könnte es eine Untersuchung einleiten. Das wäre ein wichtiger Präzedenzfall: Erstmals würde ein Wasserkraftprojekt im Kontext des Klimaschutzes unter die Lupe genommen – nicht nur in Bezug auf Umwelt- und Sozialfolgen, sondern auch hinsichtlich seiner tatsächlichen Klimabilanz.
Unsere Perspektive
Aus Sicht von Gegenströmung ist die Beschwerde ein notwendiger und mutiger Schritt der Zivilgesellschaft. Internationale Entwicklungsbanken dürfen nicht länger Großprojekte finanzieren, die unter dem Deckmantel der Klimapolitik Menschenrechte verletzen und ökologische Zerstörung vorantreiben. Wir fordern, dass das Inspection Panel die Beschwerde ernst nimmt – und dass die Weltbank endlich die Zeichen der Zeit erkennt: Für eine wirklich gerechte und nachhaltige Energiezukunft braucht es partizipative Prozesse, transparente Entscheidungen und die konsequente Einhaltung sozialer und ökologischer Standards.