Proteste – GegenStrömung https://www.gegenstroemung.org/web Thu, 15 Apr 2021 06:27:44 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 Massiv bedrohte Fischpopulationen: Snake-River zum gefährdetsten Fluss der USA erklärt https://www.gegenstroemung.org/web/blog/massiv-bedrohte-fischpopulationen-snake-river-zum-gefaehrdetsten-fluss-der-usa-erklaert/ Thu, 15 Apr 2021 06:27:42 +0000 https://www.gegenstroemung.org/web/?p=2197 Nichtregierungsorganisation American Rivers stellt ihren neuen Jahres-Bericht der zehn gefährdetsten Flüsse der USA vor. Am schlimmsten sieht die Situation beim Snake-River aus.

Von Christian Russau

American Rivers: America’s Most Endangered Rivers of 2021:
01: Snake River
02: Lower Missouri River
03: Boundary Waters
04: South River
05: Pecos River
06: Tar Creek
07: McCloud River
08: Ipswich River
09: Raccoon River
10: Turkey Creek

Beim Snake-River im Nordwesten der USA identifizierte die Umweltschutzorganisation American Rivers als zentrales Problem den Rückgang und die Gefährdung der Lachsbestände durch Staudämme, was den Lebensunterhalt und die kulturellen Rechte der dortigen indigenen Völker bedrohe. Derzeit gibt es eine heftige in Politik und Medien und auch vor Gericht ausgetragene Kontroverse um den eigentlich bereits gerichtlich mehrfach beschlossenen Rückbau der vier Staudämme am Snake River endlich umzusetzen, aber mächtige Lobbygruppen und Politiker:innen setzen sich nach wie vor mit allen Tricks dagegen zur Wehr.

Der Snake-River liegt in den US-Bundesstaaten Wyoming, Idaho, Oregon und Washington und ist ein Nebenfluss des Columbia River. Im Columbia-Snake-Wassereinzugsgebiet sind es insgesamt acht Staudämme, die der Stein des Anstosses sind und über die eine breite Koalition aus Umweltaktivist:innen, Indigenen und lokalen Anwohner:innen fordern, dass sie zurückgebaut werden.

Im Flusseinzugsgebiet der drei US-amerikanischen Bundesstaaten Washington, Oregon und Idaho prallen die unterschiedlichen Interessen von Indigenen, Umweltschützer:innen auf der einen Seite und Weizenfarmer:innen und Transportschifferei auf der anderen Seite aufeinander. Während in Seattle und Portland Umweltschützer:innen auf Demonstrationen für den Schutz der Orcas demonstrieren und die traditionell am Snake River lebenden Indigenen wegen des seit Jahrzehnten mehr und mehr ausbleibenden Lachses protestieren, mobilisieren in Idaho die Weizenfarmer:innen und Transportschiffer:innen seit Jahren die Politik für ihre Interessen. Der Stein des Anstoßes: die insgesamt acht Energie produzierenden Staudämme am unteren Columbia-River und an dem Zufluss des Columbia-Rivers, dem Unteren Snake Fluss. Denn die seit 1975 bestehenden Dämme produzieren zwar nur fünf Prozent des Stroms der im weiteren Einzugsgebiet liegenden Städte, dienen aber gleichzeitig wegen der Schleusen an den Dämmen der Verschiffung des Weizens aus der agrarwirtschaftlich geprägten Region Idahos, hin zu größeren Binnenhäfen und von dort weiter, hin zum Weltmarkt. Und die Dämme bilden Reservoirs, aus denen die Farmer:innen regelmässig Wasser entnehmen, um damit ihre Landwirtschaft zu bewässern.

Doch die Dämme behindern die natürliche Wanderung der dort angestammten Chinook-Lachse. Beherbergten der Columbia- und der Snake-River dereinst die mit 16 Millionen Lachsen größte Population, sind es heute nur noch 1,1 Millionen Fische. Das hat Folgen für das Ökosystem. Zwar gelangen durch neu angepasste Turbinen mehr Fische als früher flussabwärts, so belegen aber neuere Studien der vergangenen Jahre, dass die Fische dennoch nahezu bei jedem Turbinengang mindestens einen Schlag erhalten. Dennoch überleben mittlerweile die meisten Lachse den Weg durch die Turbinen dank neuerer, angepassterer Technik flussabwärts, aber flussaufwärts sieht das anders aus. Denn die Barrieren der Dämme sind zu hoch, auch Fischtreppen helfen oftmals nicht weiter, so dass bereits 2016 zum fünften Mal die Staudammbetreiber richterlich dazu verurteilt wurden, mittels Hebekähnen die die Flüsse kurz vor der Laichzeit hochziehenden Lachspopulationen manuell über die Dämme hinwegzuheben, – dies gelingt aber nach wie vor nur in weniger als zwei Prozent der Fälle und verursacht – sehr zum Leidwesen der Staudammbetreiberfirma – Millionenkosten. Wären es zumindest zwei Prozent der Lachse, die es dergestalt über die Staudammbarrieren schafften, dann gelte dies unter Wissenschaftler:innen als die zu erreichende absolute Mindestzahl, um die vor Ort existierende Population des Chinook-Lachs zumindest vor dem Aussterben zu retten. Diese Zielzahl – zwei Prozent – wird aber nicht erreicht.

Um die Population der Chinook-Lachse aber hingegen gar dauerhaft zu sichern und einen Anstieg der Population zu erreichen, müsste das – regelmäßig in der Praxis unterschrittene – Zweiprozentziel deutlich übertroffen werden. Hinzu kommt: Das Reservoir in dem durch die Staudämme regulierten Flusslauf ist ein meist stehendes, wärmeres Gewässer – und kein lebendig fließendes und daher deutlich kühleres Gewässer. Dadurch breiten sich dort vermehrt natürliche Fressfeinde des Chinook-Lachses aus, was die Population weiter reduziert. 2018 wurde zudem bei den infolge des Klimawandels erhöhten Wassertemperaturen der stehenden Reservoirgewässer eine weitere deutliche Bedrohung des Chinook-Bestandes festgestellt. Wissenschaftler:innen fordern seit Langem, dass mehr Wasser durch die Überlaufkanäle der Dämme abgeleitet werden solle, um so die Gefahr für die Chinook durch Turbinenrotorschlag zu vermindern und um das Wasser der Flüsse wilder und damit auch kühler zu machen. Doch noch mehr Wasser über die Überlaufkanäle, das ist den Staudammbetreibern ein Dorn im Auge, wollen sie doch möglichst viel Wasser zur Stromproduktion durch ihre Turbinen jagen.

Niedrigwasser ist auch bei der Transportschifferei und den Weizenfarmer:innen nicht sonderlich beliebt. Der deutliche Rückgang des Chinook hat zudem aber auch flussabwärts, in einem ganz anderen Habitat, dramatische Folgen. Und zwar für die Meeresfauna im Pazifik. Dies wurde im Sommer 2018 auch den letzten die Medien verfolgenden Bürger:innen klar, als über mehrere Tage Livebilder in regionalen Fernsehen und international in sozialen Medien gezeigt wurden, auf denen eine Orca-Walmutter über mehrere Tage ihr junges, aber bereits totes Kalb im Wasser bewachte. Das Kalb war infolge des Fressmangels der Mutter verhungert. Denn eine der Hauptnahrungsquellen der Orcas vor der Mündung des Columbia-Rivers sind die Chinook-Lachse, denen die Orcas zu dieser Jahreszeit, kurz vor dem Flussaufwärtsschwarm der Lachse, folgen. Je weniger Chinook, desto weniger haben die Orcas in der Region eine Überlebenschance. Daher gibt es die deutliche Forderung von Indigenen und von Umweltschützer:innen, die Dämme zurückzubauen und den Columbia- und den Snake-River wieder zu einem frei fließenden Flusssystem zu machen. Damit sind aber die Weizenfarmer:innen und Transportschiffer:innen nicht einverstanden, wollen sie doch ungehindert aus dem als Seehafen geeigneten Verladenhafen Lewiston im Bundesstaat Idaho, 465 Meilen, also 748 Kilometer vom Pazifik entfernt, weiterhin ihren Weizen in alle Welt exportieren. Und die Staudammbetreiberfirma BPA will auch lieber weiterhin ihren Strom verkaufen. Dabei liefern mittlerweile neuesten Erhebungen zufolge Solaranlagen in Kalifornien, die gekoppelt sind mit Speicherbatterien, billigeren Strom als die Wasserkraft vom Columbia- und Snake-River. Doch die Energiefirma BPA kann derzeit ihren Strom an die Großabnehmer noch teurer verkaufen, weil die Alt-Verträge noch höhere Preise garantieren als die neuen billigeren Solaranlagen. Doch diese Alt-Verträge enden 2028. So kämpft seit Jahren im Dreiländereck eine neue Allianz aus Umweltschützer:innen, Wissenschaftler:innen, Indigenen und kritischer Öffentlichkeit, die fordern, jetzt endlich mit dem Plan für den Rückbau der Dämme zu beginnen. Die Wissenschaftlerinnen wiesen in Bezug auf die Besorgnisse der Weizenfarmer:innen auf den ohnehin massiven Anstieg des Weizentransports per Bahn hin und die Bewässerung für die Farmer:innen reiche auch an einer weiter oben gelegeneren Stelle des Snake-Rivers.

Obwohl der Rückbau der Dämme wegen der offensichtlichen Chinook-Lachs-Gefährdung bereits ein halbes Dutzend Mal gerichtlich angeordnet wurde (siehe wiederholte Berichterstattung von GegenStrömung), entscheidet die zuständige Bundespolitik noch anders und will die Dämme noch halten. Dagegen laufen die Indigenen, Umweltschützer:innen und Teil der Anwohner:innen Sturm und ziehen vor Gericht. Derweil aber bewegt sich auch in der Politik etwas: der Abgeordnete Mike Simpson, ein republikanischer Bundes-Abgeordneter aus Idaho hat Anfang des Jahres einen 33,5 Milliarden US-Dollar schweren Dammrückbauplan vorgestellt.

Die Nichtregierungsorganisation American Rivers führt seit Jahren in ihrem Kampf um freifließende Flüsse in den USA auch ein Register, das den wachsenden Rückbau von Staudämmen in den USA dokumentiert. Neuesten Zahlen der Umweltschützer:innen von American Rivers zufolge wurden im Jahr 2020 in den USA insgesamt 69 Staudämme in 23 US-Bundesstaaten zurückgebaut. Somit wurden – laut American Rivers – in den USA seit 1912 insgesamt 1797 Staudämme zurückgebaut. Die bei diesen Vorhaben erfolgreichsten US-Bundesstaaten im Jahr 2020 waren Ohio mit 11 Rückbauten, Massachusetts mit 6 und der Bundesstaat New York ebenfalls mit 6 Rückbauten.

Insgesamt befinden sich in den USA mehr als 90.000 Staudämme. Dabei sind viele der Dämme zwischen 1930 und 1970 gebaut worden, so dass sie nun an das Ende ihrer projizierten Lebensdauer gelangen und von daher eine wachsende Gefahr darstellen. Dies wurde jüngst in einem Bericht einer UN-Organisation bestätigt – und zwar für 59.000 Dämme weltweit. Bis zum Jahr 2050 werde mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung flussabwärts von zehntausenden großen Staudämmen leben, die ihre vorgesehene Lebensdauer erreicht oder überschritten haben werden, so der UN-Bericht. Die meisten der weltweit fast 59.000 großen Staudämme wurden zwischen 1930 und 1970 gebaut und waren damals ausgelegt für eine Betriebsdauer von 50 bis 100 Jahren. Diese strukturellen Bruchgefahren stellten ein erhebliches Risiko für Milliarden von Menschen dar, so die Studie des UNU Institute for Water, Environment and Health (UNU-INWEH).

Umso wichtiger ist es, sich weiter für den Rückbau von Dämmen einzusetzen. Durch den bisher erreichten Rückbau entstanden tausende Kilometer frei fließender Flusslandschaften, mit allen Möglichkeiten von freiem Fischzug, Sedimentfracht und ungezügelter Biodiversität. So werden seit Jahren in den USA statistisch mehr Staudämme abgerissen als neue gebaut. American Rivers hat dazu auch eine interaktive Landkarte erstellt, die den Rückbau von Staudämmen in den USA dokumentiert: https://www.americanrivers.org/threats-solutions/restoring-damaged-rivers/dam-removal-map/

Der Rückbau vieler Dämme und somit die Schaffung freifließender Flüsse weltweit und der Erhalt der Fischpopulationen sind dringendste Aufgaben. Denn eine unlängst veröffentlichte Studie zeigte, wie seit 1970 die weltweiten Bestände der in Süßwasser migrierenden Fische um 76 Prozent zurückgingen.

// christian russau

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Wie Vale sich entschädigen lässt für Ausfälle, für die sie selbst juristisch haftbar ist https://www.gegenstroemung.org/web/blog/wie-vale-sich-entschaedigen-laesst-fuer-ausfaelle-fuer-die-sie-selbst-juristisch-haftbar-ist/ Wed, 14 Apr 2021 12:16:11 +0000 https://www.gegenstroemung.org/web/?p=2195 Vales Wasserkraftwerk Risoleta Neves steht seit dem Dammbruch der Vale-Tochter Samarco im November 2015 still, erhält aber dennoch millionenschwere Kompensationszahlungen aus dem Ausgleichmechanismus MRE. Dagegen wird nun geklagt.

Oberster Justizgerichtshof entscheidet in Kürze über möglichen Ausschluss des Wasserkraftwerks Risoleta Neves, auch Candonga genannt, im Bundesstaat Minas Gerais, aus dem Energieumverteilungssystem MRE, dem alle Wasserkraftwerke Brasiliens zugehören und das dazu dienen soll, im Fall von verminderter Stromgeneration infolge von Dürre und Niedrigwasser dem notleidenden Kraftwerk einen virtuellen Anteil aller im Lande generierten Stromleistungen Dritter entsprechend seiner vorherigen prozentuellen Anteilsgröße zur Verfügung zu stellen. Das Kraftwerk Risoleta Neves hat aus diesem Kompensationsmechanismus in der Vergangenheit neuesten Daten der staatlichen Stromagentur Aneel zufolge 430 Millionen Reais erhalten. Der Grund: seit 2015 produziert Candonga keinen Strom. So argumentiert die Besitzerin, die Bergbaufirma Vale, da Candonga Teil des gemeinschaftlichen Kompensationsmechanismus ist, stehe ihr dieser Anteil zu.
Brisant ist aber: Candonga steht seit 2015 still, weil damals der Damm der Bergbaufirma Samarco gebrochen war und sich damals deutlich über eine Million Kubikmeter Erzschlamms im Reservoir vor der Staumauer von Risoleta Neves angesammelt hatte, so dass der Betrieb seit damals -zuerst aus Sicherheitsgründen, dann aus technischen Gründen, weil der Erzschlamm die Turbinen des Wasserkraftwerks bedroht und obendrein durch die Schlammsedimente die Wasserkraftleistung ohnehin geringer ausfalen würde – nicht mehr möglich war. Und verantwortlich für den Bruch war die Firma Samarco, eine 50%-Tochter der Bergbaufirma: Vale.

2017 dekretierte die Stromagentur Aneel die formale Schliessung Candongas und mithin den Ausschluss des Wasserkraftwerkes aus dem Kompensationsmechanismus MRE, wogegen die Staudammbesitzerin, Vale, aber Klage einreichte und erstmal die Zahlungen für den Ausfall, für den sie selbst als Miteigentümerin von Samarco juristisch haftbar wäre, weiter kassierte. Dagegen hat die Aneel Klage eingereicht und in den kommenden Tagen wird eine Entscheidung der Sonderkammer des Obersten Justizgerichtshof in der Sache erwartet.

Am 5. November 2015 war der Damm Fundão des Erzgrubentailings der Firma Samarco gebrochen und Schätzungen zufolge ergossen sich 62 Millionen Kubikmeter Klärschlamms ins Tal. Der Schlammtsunami zerstörte zunächst das Dorf Bento Rodrigues sowie die Dörfer Paracatu de Baixo und Barra Longa, bevor der Schlamm sich 680 Kilometer flussabwärts durch die Flüsse Rio Gualaxo do Norte, Rio Carmo und Rio Doce bis hin zur Mündung desselben in den Atlantischen Ozean bei Linhares und Regência im Bundesstaat Espírito Santo bewegte. 19 Menschen starben, tausende Fischerinnen und Fischer wurden arbeitslos und Berechnungen der Rückversicherungsgesellschaft Terra Brasis Resseguros zufolge wurden dadurch rund 3,5 Millionen Menschen in ihrer Trinkwasserversorgung beeinträchtigt. Viele der von dem Dammbruch Betroffenen wurden bis heute nicht entschädigt, die Umweltzerstörung am Rio Doce ist noch immer anhaltend und die Reparationsarbeiten und -leistungen, für die die von Samarco, Vale und BHP Billiton eingesetzte Stiftung Renova zuständig ist, werden von den Betroffenen noch immer als unzureichend, mißachtend, diskriminierend und als Greenwashing tituliert.

// christian russau

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Munduruku-Frauenzentrum Wakoborun in Jacareacanga von Goldsuchern angegriffen https://www.gegenstroemung.org/web/blog/munduruku-frauenzentrum-wakoborun-in-jacareacanga-von-goldsuchern-angegriffen/ Thu, 25 Mar 2021 18:11:20 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2192 Das Zentrum Wakoborun der Munduruku-Frauen in der Kleinstadt Jacareancanga im Südwesten des amazonischen Bundesstaates Pará wurde am heutigen Donnerstag von einer Menschenmenge angegriffen. Die indigene Frauenorganisation Wakoborun kämpft seit Jahren gegen Staudämme, illegalen Bergbau und für den natürlichen Erhalt der Flüsse und Wälder im Südwesten von Pará.

Das Zentrum Wakoborun der Munduruku-Frauen in der Kleinstadt Jacareancanga im Südwesten des amazonischen Bundesstaates Pará wurde am heutigen Donnerstag von einer Menschenmenge angegriffen. Es kam zu gewalttätigen Übergriffen auf vor Ort Anwesende. Die Angreifer gaben sich als indigene Munduruku, die als Goldsucher:innen im illegalen Goldbergbau in indigenen Gebieten arbeiten, zu erkennen, die gegen die Arbeit der Frauen des gemeinnützigen Frauenvereins Wakoborun vorgingen, das Zentrum angriffen, die Fassade des Gebäudes beschmierten und in das Haus illegal eindrangen und drinnen das Mobiliar des Gebäudes und Dokumente und andere Vereinsmaterialien in Brand steckten, so die Munduruku-Frauen, die den Vorfall bei der Bundesstaatsanwaltschaft MPF in Pará meldeten, die heute sofort eine Untersuchung des Falles einleitete, wie diese auf ihrer Internetseite bekannt gab.

Laut der Mitteilung der Bundesstaatsanwaltschaft steigt seit dem 14. März dieses Jahres die Spannungen in der Region durch das weitere Eindringen des illegalen Bergbaus mit der Ankunft einer großen Anzahl von Radladern und Schaufelbaggern in der Region des Flusslaufes Baunilha Igarapé (übersetzt: Vanille-Bächchen), in der Nähe der Gebiete, in denen Munduruku arbeiten. Ein Hubschrauber, der in der Gegend gefilmt wurde, steht im Verdacht, den Kriminellen Geleitschutz zu geben, und eine bewaffnete Gruppe hinderte die Einheimischen daran, sich in die entsprechende Gegend zu begeben, so die Bundesstaatsanwaltschaft.

Letzte Woche wiederholte die Bundesstaatsanwaltschaft ihre bereits im Jahr 2020 an den Bundesgerichtshof gerichtete Forderung nach einem dringenden Einsatz von Bundeskräften, um gewaltsame Übergriffe illegaler Bergleute auf die indigene Bevölkerung zu verhindern. Seit 2017 warnt die Bundesstaatsanwaltschaft die Behörden vor dem zunehmenden Eindringen von Goldsucher:innen in das Munduruku-Gebiet, aber bis jetzt gab es keine hinreichende Bekämpfung des Verbrechens seitens der zuständigen Behörden, so die Bundesstaatsanwaltschaft.

Im August 2020 wurde sogar eine Inspektion durch das brasilianische Umweltinstitut Ibama eingeleitet, die aber nach einem Besuch des Umweltministers Ricardo Salles und der Intervention des Verteidigungsministeriums abgebrochen wurde. Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro und sein ihm politisch gleichgesinnter Umweltminister Ricardo Salles hatten nie einen Hehl aus ihrer Sympathie für Goldschürferei jeder Art, ob legal oder illegal, gemacht und bereits im ersten Regierungsjahr mehrmals öffentlich das eigentlich gesetzeskonforme Vorgehen der Umweltbehörde Ibama gegen illegale Brandrodungen und Goldschürferei aufs Schärfste kritisiert. Bolsonaro und Salles erließen Anordnungen, damit das Privateigentum der (illegal und kriminell operierenden) Goldschürfer:innen nicht länger von den Beamte:innen des Ibama zerstört werden dürfe. Umweltminister Salles traf sich während seiner nun knapp anderthalb Jahre währenden Amtszeit zudem wiederholt mit erklärt illegal operierenden Goldschürfer:innen und illegal Tropenholz rodenden Akteur:innen, ließ sich bereitwillig händeschüttelnd und in die Kameras grinsend mit diesen ablichten und versprach ihnen eine „neue“ Umweltpolitik im Land. Im Visier der Goldsucher:innen stehen vor allem Indigene Territorien.

Die Folge zeigt sich nun in zunehmender Brutalität in Jacareancanga und im Gebiet der Munduruku.

// Christian Russau

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Nach erneuten Morddrohungen von Goldgräbern: Flucht von zwei Munduruku-Frauen https://www.gegenstroemung.org/web/blog/nach-erneuten-morddrohungen-von-goldgraebern-flucht-von-zwei-munduruku-frauen/ Sat, 06 Feb 2021 13:24:19 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2176 Bolsonaro-Regierung ermuntert illegale Goldgräber und schafft so ein Narrativ der Gewalt. Flüsse verseucht und Indigene erhalten Morddrohungen.

Die Morddrohung kam per Whatsapp-Nachricht und auch über die lokalen Radiowellensender, mit denen die Bewohner:innen der abgelegenen Region am Tapajós, in Amazonien, miteinander kommunizieren. Die Botschaft war dabei eindeutig: Die Geduld sei erschöpft und man werde diejenigen nicht länger tolerieren, die sich der Goldsucherei entgegenstellten. Man werde sie töten.

Die Empfängerin der Morddrohung: Kabaiwun Munduruku, 33 Jahre alt, früher bekannt unter dem Namen Leusa Munduruku, heute bekannt unter dem Namen Kabaiwun Munduruku, Mutter von fünf Kindern. Die Täter: Goldsucher, die illegal in der Terra Indigena Munduruku und der Terra Indígena Sai Cinza nach Gold suchen, mit schwerem Gerät, mit Quecksilber, zum Trennen des Goldes, was die Flüsse derart verschmutzt, dass es mittlerweile kaum noch Flussanwohnende Indigene gibt, deren Quecksilberwerte im Körper nicht alarmierend hohe Werte aufweisen würde, mit Millionenschwerer Ausrüstung, bezahlt durch die wohlhabenden Hintermänner in den Städten. Und die, die die Maschinen vor Ort bedienen, die Bäume illegal roden, den Boden aufwühlen, Boden und Gewässer vergiften und Mondlandschaften hinterlassen, stets mit Gewehr oder Pistole zur Hand, die die Morddrohungen aussprechen und von denen alle wissen, sie würden ebenfalls nicht zögern, ihre Waffen einzusetzen, die sind auch Indigene Munduruku. Die Taktik der Spaltung hat funktioniert.

Ähnlicher Bedrohungslage ist auch Alessandra Munduruku ausgesetzt. Alessandra war im September 2019 als Gast der ASW und des FDCL in Berlin, nahm an der Berliner Klimastreik-Demo von „Fridays for Future“ am 20.9.2019 Teil, sprach vor zigtausenden Schüler:innen am Brandenburger Tor. Nun musste auch sie, genauso wie Kabaiwun fliehen, mit Familie an geheimen Ort, denn die Morddrohungen haben überhand genommen, Autos mit verdunkelten Scheiben verfolgten sie, sie wurde ostentativ gefilmt, wie Partnerorganisationen berichten.

Es ist zu gefährlich für die beiden Frauen dort zu bleiben, wo sie leben. Nur in der indigenen Dorfgemeinschaft der Aldeia können sie nicht bleiben, denn der Weg raus und rein wäre zu gefährlich, in der Stadt zu bleiben ist auch kein Thema, ebenfalls zu gefährlich. So blieb für beide Frauen nur die Möglichkeit, mit Hilfe befreundeter Organisationen für eine Weile samt Familie in eine andere Gegend zu ziehen. An geheimen Ort vorrangig nur Eines: überleben.

Beide Frauen befinden sich in akuter Lebensgefahr, wegen ihrer Rolle als Anführerinnen der Indigenen im Widerstand gegen die zahllosen Angriffe auf das Gebiet ihres Volkes. Der mächtige und gefährliche Gegner: Garimpo, die Goldgräberei. Die Munduruku sind eine der größten ethnischen Gruppen des Landes, mit Territorien entlang des Tapajós, dem Becken, das den Amazonaswald mit dem Cerrado verbindet. Das Großgebiet umfasst drei Bundesstaaten, Pará, Amazonas und Mato Grosso. Die Region leidet nicht nur unter illegaler Holzgewinnung und großen Regierungsprojekten wie Staudämmen, Soja, Monokulturen jeder Art und den damit zusammenhängenden Pestiziden, sondern ist heute auch eines der Hauptziele der Goldgewinnung im Land. Kabaiwuns und Alessandras in Medien und vor Gericht und Parlament vorgebrachten Klagen zur Verhinderung all dieser die Munduruku-Gemeinschaft in ihrer Existenz bedrohenden Projekte provozierten die Empörung einer Munduruku-Gruppe, die Garimpo auf indigenem Gebiet befürwortet. Es geht ums Geld, wie so oft.

„Jetzt zeigen diejenigen, die den Garimpo verteidigen, ihr wahres Gesicht“, erklärt Kabaiwun gestern gegenüber dem Hintergrundportal von Repórter Brasil. „Zuvor versteckten sie sich noch, um so zu tun, als würden sie dem Volk keinen Schaden zufügen. Nun aber haben sie keine Angst mehr“, klagt Kabaiwun. „Einige Angehörige sind bereits getäuscht worden, verseucht von der pariwat-[weißen]-Ideologie, dass man das Territorium zusammen mit ihnen ausbeuten muss, um einen Anteil zu bekommen.“ Für Kabaiwun jedoch ist klar, dass es sich um eine Minderheit handelt, die hauptsächlich von Männern gebildet wird: „Es ist eine kleine Gruppe von Indigenen, die von den Unternehmern angelockt werden, die unser Gebiet ausbeuten. Wir Frauen sind hier, um zu sagen, dass das nicht passieren darf, denn es ist das Leben unserer Kinder, das auf dem Spiel steht“. Und sie bekräftigt: „Ich denke, wenn die Frauen nicht im Kampf wären, würden alle Männer da sein und das Gebiet verscherbeln, leider“.

Obwohl sie als Minderheit betrachtet wird, hat die pro-garimpo indigene Gruppe offene Unterstützung von der Bundesregierung erhalten. Im August 2020 empfing Umweltminister Ricardo Salles in Brasilia eine Gruppe von sieben Munduruku-Bergleuten, die mit einem Flugzeug der brasilianischen Luftwaffe aus Jacareacanga (PA) in die Hauptstadt gebracht wurden. Nach einem Gespräch hinter verschlossenen Türen setzte das Verteidigungsministerium sogar Operationen zur Bekämpfung des illegalen Garimpo in der Region aus. Die Bundesstaatsanwaltschaft des Bundesstaates Pará (MPF/PA) leitete eine Untersuchung über den Einsatz der Militärflieger des FAB zum Transport der Gruppe ein, bisher ist niemand dafür zur Verantwortung gezogen worden. Von den Goldsuchern ganz zu schweigen. „Es war ihre Strategie, die Munduruku [nach Brasília] zu bringen, die über das Territorium verhandeln wollten. Sie sind wirklich gekommen, um unser Volk zu spalten“, sagt Kabaiwun.

Heute gehören diese beiden Frauen, Kabaiwun und Alessandra, zu den wichtigsten Wortführerinen bei der Verteidigung des Munduruku-Territoriums. Vor Jahren gründeten sie die Frauen-Widerstandsorganisation Wakoborun, die die Frauen organisiert, bildet und so enorme Empowermentprozesse unter den Frauen in Gang gebracht hat. Das schürt natürlich Hass, Hass bei einigen der Männer. Die internen Konflikte zwischen den mehr als 14.000 Indigenen Munduruku – aufgeteilt in mehr als hundert Dörfer – um das Garimpo im Gebiet sind alt. Die aktuelle politische Situation unter einer Bolsonaro-Regierung, der Umweltzerstörung egal ist und die den illegalen Bergbau in Amazonien voranbringen möchte, hat jedoch der Gruppe der Indigenen, die sich von der Goldgräberei Reibach erhoffen, Auftrieb gegeben. Während auf den Weltmärkten der Goldpreis historische Rekorde erreicht, treibt die Bolsonaro-Bundesregierung weiterhin den Bergbau auf indigenem Land voran. Im Februar letzten Jahres schickte Präsident Jair Bolsonaro den Gesetzentwurf 191/2020 in den Kongress, der diese Tätigkeit legalisieren soll.

Kabaiwun ist in Alto Tapajós geboren und aufgewachsen, wo sie das Fieber nach Gold bei einigen Männern aufflammen sah. „Junge Leute wollen heute nur noch Gold. Es ist sehr traurig, und es wird jeden Tag mehr.“ Sie sagt, dass die Gier immer mehr Menschen in den Gemeinden ergreift und sie bedauert, dass die Kultur ihres Volkes verloren geht. Deshalb widmet sie sich der Aufklärung über die Auswirkungen von Garimpo. Nun aber musste Kabaiwun Munduruku ebenso wie Alessandra Munduruku sich erstmal in Sicherheit bringen. Zu gefährlich wäre es für die zwei Frauen im Moment, vor Ort den Kampf fortzuführen, ohne hinreichend Schutz, für den der Staat eigentlich zuständig wäre.

// christian russau

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Staudamm Belo Monte vor ökonomischem Fiasko https://www.gegenstroemung.org/web/blog/staudamm-belo-monte-vor-oekonomischem-fiasko/ Mon, 01 Feb 2021 10:32:51 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2172 Staudammbetreiberin von Belo Monte warnt vor massiven ökonomischen Verlusten, wenn die von der Umweltbehörde Ibama unlängst beschlossene Reduzierung der Wasserableitung weg vom Staudammbereich hin zur Großen Flusschleife der Volta Grande zum Schutze der Interessen der kleinen lokalen Anwohner:innen umgesetzt werde. Firma will Ibama-Entscheidung rückgängig machen. Kritiker:innen hatten bereits vor Baubeginn vor Jahren auf den Konflikt „Profitabilität des Staudamms versus Interessen der lokalen Anwohner:innen“ gewarnt.

Staudamm Belo Monte. Foto: Christian Russau

Es war seit gut einem Jahrzehnt von vielen Kritiker:innen des Monster-Staudamms Belo Monte immer wieder darauf hingewiesen worden: Der Staudamm Belo Monte im amazonischen Bundesstaat Pará werde der Großen Flussschleife der Volta Grande zum profitablen Betrieb des 11-GW-Stauwerks so viel Wasser entziehen, dass Natur und Mensch vor Ort massiv in Mitleidenschaft gezogen werden, denn eine bis zu 80-prozentige Reduzierung der Wassermenge des fast 100 Kilometer langen Flusslaufs bedeutet dort vor Ort mehr stehendes Wasser, mit allen Konsequenzen wie Sauerstoffmangel, Fischsterben, vermehrte Mosquitobildung und massiv erschwerte Transportmöglichkeiten für die vor Ort lebenden Anwohner:innen (ganz zu schweigen vom direkten Zerhacken der Fische durch die Rotoren der Turbinen). Die Kritiker:innen hatten immer wieder darauf hingewiesen, dass es trotz Regenzeit eben auch immer Trockenzeiten gebe und dass deshalb der Konflikt zwischen Profitabilität des Stauwerks und Interessen der lokalen Anwohner:innen der Volta Grande unausweichlich sei. Nun droht der angekündigte Konflikt sich zuzuspitzen.

Nachdem im November vergangenen Jahres sich Anwohner:innen zum Protest zusammengeschlossen und die Transamazônica blockiert hatten und eine erhöhte Mindestmenge an freiem Wasserdurchlauf für die Volta Grande forderten, hatte die Umweltbehörde Ibama entschieden, dass bei der Kanalabzweigung vor dem erste Stauwerk Pimental maximal nur noch vorläufig 10.900 Kubikmeter je Sekunde in Richtung Stauwerk Belo Monte abgezweigt werden dürften, um dergestalt einen Minimaldurchfluss von 16.000 m3/s in der Volta Grande do Xingu zu garantieren, damit die Reproduktion von Fauna und Flora während der Piracema-Periode in der Volta Grande gewährleistet werden könne.

Nun aber hat die Belo-Monte-Betreiberfirma Norte Energia dieser Entscheidung in einer formalen Mitteilung an die Umweltbehörde widersprochen. Eine Reduzierung der Wassermenge auf 10.900 Kubikmeter je Sekunde für den Betrieb des Stauwerks Belo Monte sei zu wenig, um eine profitable Stromproduktion zu gewährleisten, so berichtet es die Zeitschrift IstoÉ Dinheiro. Dieser formale Einwand wurde dem Bericht zufolge auch an die Bundesministerien in Brasília entsandt. Der Bericht zitiert Quellen, denen zufolge nicht nur die Profitabiliät des größeren Stauwerks Belo Monte, sondern auch die des vorgeschalteten kleineren Stauwerks von Pimental gefährdet sei. Eines der weiteren Argumente der Staudammbetreiberin dreht nun das Argument des Schutzes der Fische dabei aber um: Eine Reduzierung der Wassermenge für das dem Staudammreservoir zuzuführende Wasser berge die Gefahr, dass es im Reservoirbereich durch sinkende Wasserstände zu abgeschlossenen Teichbereichen käme, in denen die dann eingeschlossenen Fische verenden würden oder diesen Fischen der zur Laichung so wichtige Fischzug verunmöglicht werde, so IstoÉ Dinheiro in dem Bericht. Eine abrupte Erhöhung des Wasserdurchflusses bei Pimental berge zudem die Gefahr einer plötzlichen Flutbildung in der Volta Grande, was zu Überschwemmungen und Zerstörungen an Hab und Gut der dort lebenden Menschen sowie eine Gefährdung von Flora und Fauna bedeute. Der Konflikt wird sich zuspitzen. Als wäre vor all dem nicht vorher schon deutlich gewarnt worden…

// christian russau

Reservoir von Belo Monte. Foto: christian russau
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Bundeskabinett macht den Weg frei für die Ratifizierung der ILO-Konvention 169 für Indigene Rechte durch den Deutschen Bundestag https://www.gegenstroemung.org/web/blog/bundeskabinett-macht-den-weg-frei-fuer-die-ratifizierung-der-ilo-konvention-169-fuer-indigene-rechte-durch-den-deutschen-bundestag/ Fri, 04 Dec 2020 11:02:33 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2158 Künftige Ratifizierung der ILO 169 durch die Bundesrepublik Deutschland ist ein bedeutsamer Schritt hin zur Verwirklichung der Rechte indigener Völker und ein wichtiges Zeichen in Richtung der Bolsonaros dieser Welt.

Von Christian Russau

Das Bundeskabinett hat auf seiner 123. Sitzung am 2. Dezember 2020, wie es auf der Webseite der Bundesregierung heißt: „ohne Aussprache beschlossen“, dem „Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 27. Juni 1989 über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern“ den Weg frei zumachen. Damit wird es im Deutschen Bundestag und im Bundesrat eine Abstimmung über die Ratifizierung der ILO-Konvention 169 geben. Somit wird endlich dem Umstand Rechnung getragen, dass die Rechte Indigener Völker besonders schützenswert sind – und ein jahrzehntelanges Anliegen zivilgesellschaftlicher Organisationen erreicht damit ein wichtiges Etappenziel. Denn die Bundesrepublik Deutschland wird durch die nun beschlossene Einigung auf eine künftige Ratifizierung auch all jenen Regierungschefs weltweit – die aktiv gegen Indigene Rechte vorgehen und die wie beispielsweise ein Bolsonaro, der Indigenen „keinen Zentimeter Land mehr zugestehen“ will und der Brasiliens Ratifizierung der ILO-Konvention 169 aus dem Jahre 2004 am liebsten wieder aufkündigen würde -,dies würde also all jenen Regierungschefs weltweit eine klare Ansage über die Wichtigkeit der ILO-Konvention 169 machen.

Zum Hintergrund: Die ILO 169 und die Bundesrepublik Deutschland
Die deutsche Bundesregierung hatte in ihrem aktuellen Koalitionsvertrag festgehalten, dass es in dieser Legislaturperiode zu einer Unterzeichnung und Ratifizierung seitens Deutschlands der ILO-Konvention 169 zum Schutze der Rechte Indigener kommen solle: „Wir streben die Ratifikation des Zusatzprotokolls zum Sozialpakt der Vereinten Nationen sowie der ILO-Konvention 169 zum Schutz der indigenen Völker an“, heißt es dort. Nächstes Jahr gibt es wieder Bundestagswahlen, die Zeit wurde knapp. Bislang gab es aber immer noch Bedenkenträger:innen in der Bundesregierung, in Deutschland gebe es ja keine „Indigenen“, was Vertreter:innen der Sorben beispielsweise anders sahen, außerdem fürchteten eher wirtschaftsliberale und konservative Politiker:innen Unbürden und drohendes Ungemach für deutsche Firmen. Deren Zweifel wurden nun offenbar aber ausgeräumt.

Künftige Ratifizierung der ILO 169 durch Deutschland – und was das für Brasilien bedeutet und was das mit deutschen Firmen zu tun haben könnte
Diese nun anstehende Ratifizierung der Ilo-Konvention 169 ist ein starkes Zeichen an Deutschlands strategischen Partner Brasilien und an einen Bolsonaro, der unverhohlen damit droht, dass Brasilien aus der Konvention 169 austrete. Aber: „Selbst wenn Bolsonaro den Austritt aus der ILO 169 wahrmachen sollte“, so Kretã Kaingang von der brasilianischen Indigenen-Dachorganisation APIB Ende 2019, „dann wäre eine Ratifizierung seitens Deutschlands umso wichtiger. Zum einen, um auf der internationalen Ebene Bolsonaro klarzumachen, wie wichtig die ILO 169 ist, wie wichtig die freie, vorherige und informierte Zustimmung der Indigenen ist. Zum anderen bräuchte es in der Ratifizierung Deutschlands aber konkrete und robuste Leitlinien mit Strafandrohungen für alle deutschen Firmen, die in Brasilien oder weltweit in Indigenen Territorien Geschäfte jeder Art machen und dabei die Menschenrechte verletzen. Das muss sanktioniert werden!“
Doch so einfach ist es leider nicht. Denn die ILO-Konvention 169 gilt zwar für alle Staaten, die sie ratifiziert haben, aber die sich daraus ergebenden Pflichten zu Wahrung, Respekt und Gewährleistung der indigenen Rechte gelten eben nur auf staatlicher Ebene – und nicht zivil- oder strafrechtlich für Unternehmen oder Bürger:innen des Staates. Um die deutschen Unternehmen bei ihren Auslandstätigkeiten auf ILO-169-konformes Verhalten zu verpflichten, bräuchte es ein ergänzendes Gesetz. Dazu eignet sich das von der bundesdeutschen Regierungskoalition angestrebte Lieferkettengesetz, das den gesetzlichen Rahmen für alles Handeln deutscher Konzerne im Ausland einschließlich der Zulieferertätigkeit – also von der Mine über die Schmelze bis hin zu ihrer Fabrik – vorgibt und die Unternehmen dazu verpflichtet, in der gesamten Wertschöpfungskette menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfalt walten zu lassen. Doch auch bei dieser Gesetzesvorlage gibt es Verzögerungen, da Teile des Bundeskabinetts noch erheblichen Widerstand leisten, gemeinsam mit Industrievertrer:innen.

Die ILO 169 und Brasilien
„Nicht einen Zentimeter wird mehr als indigenes Reservat demarkiert werden“, sollte er zum Präsidenten Brasiliens gewählt werden, tönte der damalige Abgeordnete und rechtsextreme Hauptmann a.D., Jair Bolsonaro, im April 2017. „2019 werden wir das indigene Reservat Raposa Serra do Sol zerlegen. Wir werden allen Ranchern Waffen geben“, kündigte er bereits 2016 an. Drei Jahre später wurde er Präsident von Südamerikas größtem Staat. Entsprechend fallen nun Bolsonaros Angriffe auf indigene Rechte aus. Die Indigenenbehörde FUNAI wird gezielt finanziell ausgedünnt und institutionell geschwächt, die Entscheidung über Demarkationen indigenen Landes entzog er als eine seiner ersten Amtshandlungen bereits im Januar 2019 per Präsidialdekret der FUNAI und übertrug es dem von eingefleischten ruralistas („Großfarmer*innen“) dominierten Landwirtschaftsministerium, eine Entscheidung, der erst der brasilianische Nationalkongress eine Absage erteilte, indem er die Entscheidungskompetenz wieder der FUNAI zuteilte, woraufhin Bolsonaro sein Dekret im Juni noch einmal überarbeitete und so die Kongressentscheidung umgehen wollte, bevor letztlich im Juni 2019 der Oberste Gerichtshof STF endgültig entschied, dass die Frage der Demarkationen bei der FUNAI, angegliedert dem Justizministerium, zu verbleiben habe. Augenscheinlich eine Niederlage für Bolsonaro, die er aber in der Praxis durch Nichtstun wieder wettmachte – sehr zum Schaden indigener Rechte.
Denn: Die von der Verfassung von 1988 vorgeschriebenen Ausweisungen der indigenen Gebiete als rechtlich geschützte Territorien („Terra Indígena“) sind unter der Bolsonaro-Regierung im Gesamtjahr 2019 entsprechend auf Null zurückgegangen.

Bolsonaro will indigene Territorien für industrielle Landwirtschaft, Bergbau und Wasserkrafterzeugung freigeben
Doch nicht nur die gezielte Verschleppung der anstehenden Demarkationsprozesse indigener Territorien ist Bolsonaro ein Anliegen. Brasiliens seit Januar 2019 amtierender Präsident will obendrein die bereits rechtlich sanktionierten und somit eigentlich geschützten indigenen Territorien für wirtschaftliche Ausbeutung mittels Landwirtschaft, Bergbau und Wasserkrafterzeugung freigeben. Dazu hat er im Februar 2020 einen (der Presse zunächst nicht freigegebenen) Gesetzesvorschlag dem Nationalkongress in Brasília zur Abstimmung überreicht.
Der Gesetzentwurf sieht laut Mitteilung des Präsidialamts vor, dass die indigenen Völker bei einer künftigen wirtschaftlichen Nutzung indigener Territorien durch Dritte eine finanzielle Entschädigung erhalten. Diese ist jedoch geringer angesetzt als vergleichbare Lizenzgebühren, wie zum Beispiel bei der Ölexploration: Bei der Nutzung von Wasserkraft sollen die Gemeinden 0,7 Prozent des Wertes der erzeugten Energie erhalten, im Falle von Erdöl, Erdgas und deren Derivaten würde dieser Wert bei zwischen 0,5 bis zu 1 Prozent des produzierten Wertes liegen. Im Fall von Bergbauaktivitäten soll die Ausgleichszahlung an die indigenen Gemeinden die Hälfte des üblicherweise entrichteten Wertes finanzieller Entschädigung für die Ausbeutung von Mineralressourcen betragen. Auch eine Kompensation, um die indigenen Völker für den Nutzungsausfall eines Teils ihres Landes zu entschädigen, ist vorgesehen, klare Berechnungsgrundlagen wurden aber bisher nicht bekannt gegeben.
Die Reaktion einer der Sprecher*innen des Zusammenschlusses der indigenen Völker Brasiliens APIB, Sonia Guajajara, war eindeutig: „Ihr Traum, werter Herr Präsident, ist unser Alptraum, unsere Vernichtung, weil der Bergbau Tod, Krankheiten und Elend hervorruft und unsere Zukunft zerstören wird. Wir wissen, dass Ihr Traum in Wirklichkeit unser institutionalisierter Genozid ist, aber wir werden weder Bergbau, noch Wasserkraftwerke in unseren Territorien erlauben.“

Konsultation oder Zustimmung bei FPIC? Auch in Brasilien das zentrale Streitthema
Obwohl Brasilien die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zum Schutz der Rechte der indigenen Völker 2002 unterzeichnet und 2004 in den Kammern des Kongresses ratifiziert hat, gibt der von Bolsonaro eingereichte Gesetzesentwurf den indigenen Völkern keine grundlegende Autonomie, um selbst zu entscheiden, ob sie ihr Land ausbeuten lassen wollen oder nicht. Die Gemeinschaften sollen zwar angehört werden, aber bei Projekten der Wasserkraft- oder Erdölexploration geht es nur um Konsultationen – ohne ein Vetorecht. Letztlich könnte so die Exekutive des Landes über die Köpfe der Betroffenen hinweg entscheiden. Das Vetorecht der indigenen Völker gilt bei Bolsonaros aktuellem Gesetzesentwurf nur mit einer Ausnahme: bei Schürfrechten (der sogenannte „garimpo“). Denn der Gesetzesvorschlag sieht vor, dass die Indigenen selbst (zum Beispiel Gold) schürfen können oder auch Dritte damit beauftragen. Unklar ist, wie die Entscheidungen darüber ablaufen sollen, wenn es in den indigenen Völkern unterschiedliche Ansichten und Absichten darüber gibt. Der nun vorgeschlagene Gesetzestext sieht laut Medienberichten vor, dass die Entscheidungen über Aktivitäten in den Gemeinden von einem Beirat getroffen werden, die von den betroffenen indigenen Völkern gebildet werden und deren Vertreter:innen von den Gemeinschaften „gemäß ihrer normalen Art und Weise“, Anführer:innen und Delegierte zu wählen, ernannt werden. Angesichts unterschiedlicher Interessenslagen auch bei indigenen Völkern sind Streit und Zwist über Schürfrechte vorprogrammiert, ein Umstand, den ein Jair Bolsonaro sehr wohl zu nutzen weiß.
Erst Ende Januar dieses Jahres hatte Bolsonaro erneut dargelegt, was er über Indigene denkt. „Der Indio ist dabei sich zu ändern, sich zu entwickeln. Der Indio wird uns immer ähnlicher. Also werden wir alles tun, damit er in die Gesellschaft integriert und wirklich Besitzer seiner Ländereien wird. Das ist es, was wir wollen.“ Zuvor hatte Bolsonaro Indigene mit „Tieren in einem Zoo“ verglichen, was zurecht heftigste Proteste der indigenen Völker Brasiliens hervorrief: „Die Rede von Bolsonaro und seinem Team über indigene Völker ist rückwärtsgewandt und behandelt uns respektlos, unsere Geschichte, unsere Abstammung, und mißachtet unser politisches-bürgerliches Handeln in Bezug auf den brasilianischen Staat. Der Präsident verglich uns mit Tieren im Zoo, die in einem Käfig gefangen seien, wenn er es mit dem Leben in unseren traditionellen Territorien vergleicht. Er macht absurde Aussagen über unsere Lebensweise und über unsere Wünsche als brasilianische Bürgerinnen. Ja, wir sind Brasilianerinnen! Wir sind Indigene! Wir wissen, was wir wollen, und wir verlangen das Recht, vom Staat zur Ausarbeitung und Umsetzung öffentlicher Richtlinien konsultiert zu werden!“


Die ILO-Konvention 169 wurde von Brasilien 2004 durch die Kammern des Kongresses ratifiziert und durch ein Präsidialdekret in nationales Recht umgesetzt. Laut Lesart des Obersten Gerichtshofs Brasiliens STF stehen internationale, von Brasilien unterschriebene Rechtsverträge unterhalb der Rechtsgültigkeit der Verfassung Brasiliens, aber oberhalb jedweden Gesetzes. Dies würde im Falle der Gesetzesinitiative von Jair Bolsonaro zur wirtschaftlichen Inwertsetzung der indigenen Territorien bedeuten, dass das in Art. 6 und 7 der ILO-Konvention 169 festgelegte Recht auf freie, vorherige und informierte Konsultation dem Präsidenten Jair Bolsonaro einen Strich durch die Rechnung machen könnte. In Artikel 6, Satz 2 der ILO-Konvention 169 heißt es: „Die in Anwendung dieses Übereinkommens vorgenommenen Konsultationen sind in gutem Glauben und in einer den Umständen entsprechenden Form mit dem Ziel durchzuführen, Einverständnis oder Zustimmung bezüglich der vorgeschlagenen Maßnahmen zu erreichen.“ Wenn also ein künftig vom Brasilianischen Nationalkongress auf Betreiben Bolsonaros beschlossenes Gesetz zur Inwertsetzung indigener Territorien durch industrielle Landwirtschaft, Bergbau und Staudämme in Konflikt mit der ILO-Konvention 169 kommen und durch die internationalen Völkerrechtsverpflichtungen aufgehoben werden würde, wäre es für die Bolsonaros und Konsorten also zuerst wichtig, dass Brasilien vorher aus der Konvention austrete.
Dreh- und Angelpunkt im Streit zwischen den wirtschaftlichen Inwertsetzungsinteressen einer Bolsonaro-Regierung und den Schutzinteressen der indigenen Völker Brasiliens im Kampf um ihre Territorien ist die Frage der in Artikel 6 erwähnten zu erreichenden „Zustimmung“ der betroffenen Indigenen und wie die „Konsultation“ im Einzelnen auszusehen habe. Und genau in diesem Spannungsbogen zwischen „Konsultation“ und „Zustimmung“ bewegt sich seit Jahren auch die Auseinandersetzung um die Auslegung der ILO-Konvention 169 in Brasilien.
Projektbetreiber:innen und die Regierungen unterschiedlicher politischer Couleur in Brasília meinen meist, dass es ausreichen würde, Konsultationen in Form von abzuhaltenden Anhörungen durchzuführen. So ist es bei allen bisherigen Großinfrastrukturprojekten wie Überlandstraßen, Wasserkraftwerken und Staudämmen sowie Bergbaugenehmigungen geschehen. Es wurden Anhörungen durchgeführt, die oftmals nicht den Charakter einer freien, vorherigen und informierten Befragung hatten, die nicht „in gutem Glauben“ abliefen und die schon gar nicht eine Abstimmung, womöglich gar mit einem Vetorecht der betroffenen Indigenen, vorsahen.
Indigene Völker wie auch die zuständigen UN-Gremien und die ILO jedoch stehen klar auf dem Standpunkt, dass die ILO-Konvention die freie, vorherige und informierte Zustimmung (Free, Prior and Informed Consent, FPIC) vorschreibt, im Einklang mit der UN-Erklärung der Rechte der Indigenen Völker (UNDRIP), die ebenfalls in mehreren Fällen FPIC verbindlich vorschreibt, insbesondere, wenn Territorien und Lebensgrundlagen indigener Völker betroffen sind oder ein Projekt ihre Umsiedlung vorsieht. Dabei setzt freie und informierte Zustimmung voraus, dass zuvor echte Konsultationen in gutem Glauben („good faith consultations“) stattgefunden haben. Nach Meinung von Indigenen, internationalen Rechtsexpert:innen und Menschenrechtsorganisationen sind Konsultation, Partizipation und Zustimmung alle drei gleichermaßen Grundbedingung des Rechtsschutzes für indigene Völker. Und wenn die „Zustimmung“ erforderlich ist, muss dies im Umkehrschluss heißen, dass ein Projekt nicht durchgeführt werden kann, wenn die betroffenen Gemeinschaften ihre Zustimmung nicht geben. Ein Vetorecht also. Brasiliens Rechtssprechung hat dies aber bislang noch nicht entsprechend anerkannt.

FPIC in Brasiliens Rechtspraxis der vergangenen Jahre: Zwei eklatante Beispiele
Es war nicht alles gut, allein dadurch dass Brasilien die ILO-Konvention 169 unterzeichnet und ratifiziert hat. Denn bei der Rechtsauslegung des Wesensgehaltes von Gesetzen und Normen geht es immer auch um den Widerstreit verschiedener Interessen – und wie mächtig jemandes Interessen im Lande sind.
Eklatantestes Beispiel dafür waren die Anhörungen, die in der Xingu-Region anlässlich des Baus des Staudamms Belo Monte zur Zeit der Regierung Dilma Rousseffs von der brasilianischen Arbeiterpartei PT durchgeführt wurden. Die Informationen über die anberaumten Treffen in den Kreisorten erreichten nicht alle Betroffenen, die obendrein oft keine finanziellen Möglichkeiten zur Teilnahme hatten; Anwesenheit von Militärpolizisten sowie eine technische Sprache von Fachleuten, die auf die Bevölkerung einschüchternd wirkten sowie eine begrenzte Zahl von Treffen, die eher den Charakter einer Aussprache hatten; eine Abstimmung und somit die Möglichkeit eines Vetos war nicht vorgesehen. Hinzu kam das perfide Argument, dass indigene Völker vom Bau von Belo Monte ja nicht im Sinne der Brasilianischen Verfassung betroffen sein würden, da die Verfassung von 1988 Indigene nur dann als von Wasserkraftprojekten „Betroffene“ ansieht, wenn deren Ländereien geflutet werden. Im Fall Belo Monte gehe es aber „nur“ um eine Reduzierung der Wassermenge des Xingu-Flusses in der Volta Grande („Große Flussschleife“) um 80 Prozent. Was dies zur Folge hat, zeigt sich derzeit in einer katastrophal ausgetrockneten Großen Flusschleife am Xingu.
Die Interamerikanische Menschenrechtskommission (Inter-American Commission on Human Rights – IACHR) als Teil der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) mit Sitz in Washington, D.C, hatte im April 2011 die brasilianische Regierung offiziell aufgefordert, den Bau des Belo Monte Damm-Komplexes zu stoppen, solange die erforderlichen Konsultationen indigener Völker nicht erfolgt seien. Der Staudammbau würde negative Auswirkungen auf indigene und andere traditionelle Gemeinschaften des Xingu-Beckens haben, besonders auf diejenigen, die an dem hundert Kilometer langen Abschnitt der Volta Grande (Große Flussschleife) leben. Die IACHR-Empfehlungen stimmten mit den Klagen seitens des Ministério Público (in etwa: Bundesstaatsanwaltschaft) von Pará darin überein, dass sie die brasilianische Regierung auffordern, Anhörungen durchzuführen, so wie es die Verfassung vorsieht, und die Zustimmung zum Projekt zu erreichen. Die Rousseff-Regierung war empört über die Empfehlungen, wies diese als absurd zurück, stellte zwischenzeitlich die Geldzahlungen an die Organisation Amerikanischer Staaten ein, berief seinen entsandten Botschafter zurück und drohte unverhohlen mir einem potenziellen Austritt aus der OAS. Letztlich geschah: Nichts. Belo Monte wurde fertiggestellt, erst vor wenigen Monaten wurde die letzte Turbine in Gang gesetzt.
Auch beim Staudamm Teles Pires am gleichnamigen Fluss an der Grenze von Pará zu Mato Grosso entschied zunächst ein Gericht einen Betriebsstopp, da die betroffenen Indigenen nicht angemessen gehört wurden. Anfang Dezember 2015 wurde in einem von der Bundesstaatsanwaltschaft angestrengten Prozess in zweiter Instanz entschieden, dass das seit Ende 2015 in Betrieb befindliche Wasserkraftwerk Teles Pires die Rechte der vom Staudamm betroffenen Indigenen Kayabi, Munduruku und Apiaká verletzt. Das Gericht der 5ª Turma do Tribunal Regional Federal da 1ª Região (TRF1) ordnete an, dass die Indigenen gemäß der freien, vorherigen und informierten Zustimmung (Free Prior and Informed Consent, FPIC) nach der Definition der ILO Konvention Nr.169 befragt und um Zustimmung gebeten werden müssten. Eine solche Befragung und das Einholen der erforderlichen Zustimmung sei weder durch die brasilianische Regierung noch durch den Betreiber des Wasserkraftwerks eingeholt worden, so das Gericht in zweiter Instanz, nachdem zuvor Brasiliens Bundesregierung und die Staudamm-Betreiberin gegen die gleichausgefallene, erstinstanzliche Verurteilung Widerspruch bei Gericht eingelegt hatten. Das Gericht erklärte zudem die durch die Umweltbehörde Ibama erteilte Baugenehmigung für rechtswidrig und folgte darin der Staatsanwältin Eliana Torelly, die in ihrem Plädoyer in der Gerichtsverhandlung der zweiten Instanz erklärt hatte, dass das Wasserkraftwerk Teles Pires „die Verringerung der Fischarten, die Verseuchung des Flusswassers, Abholzung [von Regenwald zur Folge gehabt] und die natürlichen Ressourcen in Mitleidenschaft gezogen“ habe. Das Gericht führte in seiner Urteilsbegründung zudem an, dass durch den Staudammbau und die Flutung von 150 Quadratkilometer Landschaft die Stromschnellen Sete Quedas zerstört wurden. Diese Stromschnellen von Sete Quedas am Fluss Teles Pires aber, so das Gericht, seien für die indigenen Munduruku, die Kayabi und Apiaká heilige Orte. Dort lagerten bis zur Flutung für den Bau des Staudamms Teles Pires im Jahr 2013 die heiligen Urnen der Ahnen der Munduruku, Kayabi und Apiaká. Nur zwölf der Urnen wurden gerrettet und im Museum der Kleinstadt Alta Floresta gelagert. Wegen der Unantastbarkeit heiliger, sakraler Stätten sei eine Befragung und Zustimmung nach den Regeln der ILO-Konvention 169 zur freien, vorherigen und informierten Zuistimmung (FPIC) unablässlich, so das Gericht in seiner damaligen Entscheidung vom Dezember 2015.
Das Urteil zum Betriebsstopp war zwar ab Dezember 2015 rechtskräftig, gleichwohl konnte der Betriebsstopp nie vollstreckt werden. Dies hängt mit der sogenannten „suspensão de segurança“ zusammen. Diese steht für den Verweis auf vermeintlich höherwertige, nationale Interessen. Die „suspensão de segurança“ basiert auf einem Gesetz noch aus der Zeit der brasilianischen Militärdiktatur. Das Gesetz aus dem Jahre 1964 definiert, dass das Außerkraftsetzen eigentlich verfassungsrechtlich vorgesehener Prinzipien mit dem Verweis auf höherwertige nationale Interessen durch die Regierung durchgesetzt werden kann. Dazu muss nur ein Mitglied des Obersten Gerichtshof eine diesbezügliche Eingabe machen, so dass der Bau oder laufende Betrieb des betreffenden Projekts vorerst durch keine Gerichtsurteile behindert werden darf. Dennoch muss auch diese Rechtseingabe seitens des Obersten Gerichtshofs irgendwann rechtskräftig und abschließend entschieden werden. Doch wann, das regelt das Gesetz nicht. So wies der Bundesstaatsanwalt Felício Pontes Jr. in seinem Plädoyer im Dezember 2015 vor Gericht darauf hin, dass „wir in allen Instanzen gewonnen haben, dass der Staudamm nicht ohne die vorherige Konsultation der Indigenen gebaut werden darf. Aber das Bauvorhaben wurde dennoch zum Abschluss gebracht. Die Indigenen leiden unter Krankheiten, die sie zuvor nicht hatten. Und das alles infolge einer politischen Entscheidung im Sinne der suspensão de segurança, einem Rechtskonstrukt aus der Militärdiktatur, einem Rechtskonstrukt, das es in einem demokratischen Land nicht geben dürfte.“
Die Indigenen Munduruku, Kayabi und Apiaká protestieren weiter gegen die Staudammbauten am Teles Pires-Fluss, wo ihre heiligen Stätten durch die Wasserkraftwerke zerstört wurden. Es gab mehrere Baustellenbesetzungen des Wasserkraftwerks São Manoel, das in Nähe des Wasserkraftwerks Teles Pires liegt. Im Dezember 2019 besetzten 70 Munduruku das Museum der Kleinstadt Alta Floresta und entnahmen die dort lagernden zwölf heiligen Urnen ihrer Vorfahren, die letzten erhaltenen Urnen aus dem überschwemmten heiligen Ort der Stromschnellen von Sete Quedas und verbrachten die Urnen in ihr Territorium.
Den Bau dieses umstrittenen Staudamms Teles Pires hatte übrigens die deutsche Münchener Rückversicherungsgesellschaft (Munich Re) gegen Schäden rückversichert. Eine Vertreterin der brasilianischen Widerstandsbewegung Movimento Xingu Vivo para Sempre war deshalb 2015 eigens zur Hauptversammlung der Münchener Rück nach München gereist, um die Konzernvorstände auf die Verstrickung der Firma beim Staudamm Teles Pires am gleichnamigen Fluss anzusprechen. Ihr war es vorbehalten, die entscheidende Frage zu stellen: „Am Teles Pires haben die Baufirmen einen riesigen Wasserfall gesprengt: Dieser Wasserfall heißt Sete Quedas. Für die Indigenen Kayabi, Apyaka und Munduruku ist Sete Quedas ihr heiligster Ort. Wie würden Sie reagieren, wenn eine Baufirma daherkommt und die Münchener Frauenkirche mit Bulldozern einreißt?“ Der damalige Vorstandsvorsitzende der Münchener Rückversicherungsgesellschaft, Nikolaus von Bomhard, hatte darauf keine Antwort. Manchmal spricht Sprachlosigkeit dann doch Bände.

Wehrhafte indigene Gemeinden vor Ort: Selbst-Erarbeitung eigener Konsultationsprotokolle
Um dem rechtlich noch ungeklärten Graubereich einer ILO-Konvention-169-konformen Rechtssprechung Nachdruck zu verleihen, haben in Brasilien ab dem Jahre 2014 mehr und mehr indigene Völker eigenständig erarbeitete Verfahrensprotokolle erstellt, um dergestalt ein rechtsgültiges Dokument in der Hand zu haben, mittels dessen sie fordern, dass ihre Konsultation nach ihren Regeln ablaufen soll. Wichtige Elemente sind dabei oft die indigene Sprache, der Ort (in den Gemeinden selbst), die Zeit (wichtig wegen jahreszeitlichen Arbeiten wie Ernte oder religiösen Riten), die Zeitdauer (jede/r kann solange reden, wie er/sie will), die Entscheidung, wer überhaupt von den Nicht-Indigenen teilnehmen darf, die Notwendigkeit der Rückkoppelung mit dem Gemeinden, so nicht alle anreisen können sowie natürlich die Frage nach dem Veto-Recht.
Mittlerweile gibt es an ein Dutzend solcher niedergelegter Verfahrensprotokolle in Brasilien, sowohl von indigenen Gemeinden und Völkern, als auch von anderen traditionellen Völkern und Gemeinschaften (Quilombolas, Ribeirinhos, etc). Am Ende dieses Textes findet sich beispielhaft das von den indigenen Munduruku erarbeitete Verfahrensprotokoll zur Konsultation in deutschsprachiger Übersetzung.
Die Bedeutung dieser autonom von den indigenen Gemeinschaften und Völkern erstellten Verfahrensprotokolle zur Konsultation sollte nicht unterschätzt werden. 2017 hatte erstmals ein Gericht eine Baugenehmigung für ein Bergbauunternehmen in Brasilien auf Basis des Rechtsarguments entzogen, dass das von der betroffenen indigenen Gemeinschaft erstellte Dokument zum Protokollverfahren der Konsultation von der Firma nicht befolgt worden war. Als das bekannt wurde, begannen sich mehr und mehr indigene und andere traditionelle Völker und Gemeinschaften der Erstellung solcher Protokolle zu widmen, ein Prozess, der noch nicht abgeschlossen ist.

Bolsonaros Androhung der Kündigung der ILO-Konvention 169
Die Bolsonaro-Regierung jedenfalls gibt derzeit deutliche Anzeichen, dass sie die ILO-Konvention 169 – und auf deren Basis die eigenständige Erstellung von niedergelegten Protokollverfahren zur Konsultation indigener und anderen traditioneller Völker und Gemeinschaften – als Gefahr für ihre Anti-Indigenen-Rechte-Strategie ansieht und von daher einen Ausstieg Brasiliens aus der ILO-Konvention 169 androht. Als erste schickte die Bolsonaro-Regierung im März 2019 Brasiliens Botschafterin bei der UNO in Genf, Maria Nazareth Farani Azevêdo, vor, die öffentlich auf die Möglichkeit verwies, dass Brasilien die ILO-Konvention 169 verlassen könnte. Dann folgte im Oktober 2019 das direkt dem Präsidenten Brasiliens unterstellte Sicherheitskabinett GSI, das laut einem Pressebericht vom 4. Oktober 2019 die Bundesanwaltschaft AGU aufforderte, ein wegweisendes Urteil des Obersten Gerichtshofs STF aus dem Jahre 2006, das die Rechtsgültigkeit der von Brasilien 2002 ratifizierten ILO-Konvention 169 auch auf Quilombolas (Nachkommen der Sklaverei entflohener Schwarzer) bestätigte, auf Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Laut dem Pressebericht erinnert das GSI-Dokument auch an den nächstmöglichen Kündigungszeitraum, sollte Brasilien sich entscheiden, aus der ILO-Konvention 169 auszutreten: Dies könne, so das GSI-Dokument, zwischen dem 5.9.2021 und 5.9.2022 geschehen. Als Begründung für einen möglichen Austritt Brasiliens erwähnt das GSI-Dokument die „Auswirkungen der ILO-Konvention 169 auf die Entwicklung des Landes“. Das GSI-Dokument schlägt die Einrichtung einer Arbeitsgruppe vor, die einen neuen Vorschlag für ein Präsidaldekret erarbeiten solle, das den Modus Operandi der „vorherigen Konsultation indigener Völker und Stämme“ neu regeln soll. Auch hier liefert das mittlerweile mehrheitlich von Militärs dominierte GSI gleich eine Begründung: die bisherige Anwendung der ILO 169 beeinträchtige „Projekte mit nationalem Interesse“.
Diese Ankündigung sollten bei allen die Alarmglocken schrillen lassen.

Anhang:

Wie die Munduruku das Protokollverfahren zur Konsultation wollen
14.05.2017 | Übersetzung von Christian Russau

Die indigenen Munduruku vom Oberen, Mittleren und Unteren Tapajós haben ein Grundlagendokument erstellt, in dem sie erklären, wie eine rechtlich korrekte Konsultation der Munduruku im Falle von Großprojekten wie Staudämmen auszusehen habe.
Quelle: Movimento Munduruku Ipereg Ayu, Associações: Da’uk, Pusuru, Wixaximã, Kerepo und Pahyhyp: Protocolo de Consulta Munduruku, Jan. 2016, unter: http://fase.org.br/pt/acervo/biblioteca/protocolo-de-consulta-munduruku/
Im Entstehensprozess des Dokuments, das in den indigenen Dörfern mit allen Munduruku 2015 gemeinsam debattiert und im Konsens verabschiedet wurde, war den Munduruku immer wichtig zu betonen, dass sie für sich selbst selbst reden und dass niemand Einzelnes ohne Weiteres für die Gruppe sprechen darf. Daher hier die Erklärung der Munduruku zum Protokollverfahren der Konsultation im Wortlaut:


„Wir, das Volk der Munduruku,
wir wollen hören, was die Regierung uns zu sagen hat. Aber wir wollen keine Ausreden. Damit das Volk der Munduruku entscheiden kann, müssen wir wissen, was tatsächlich geschehen wird. Und die Regierung muss uns anhören. Zuallererst fordern wir die Demarkation des Indigenen Territoriums Sawré Muybu. Auf gar keinen Fall akzeptieren wir eine Umsiedlung. Wir fordern von der Regierung zudem, dass unsere isoliert in unserem Land lebenden Verwandten geschützt werden und dass das Recht auf Konsultation der anderen Völker, wie der Apiaká und der Kayabi, die auch durch diese Projekte bedroht sind, garantiert werde. Außerdem fordern wir, dass den durch die Staudämme im Tapajós betroffenen Gemeinden der Flussanwohner von Montanha-Mangabal, Pimental und São Luiz ihr Recht auf Konsultation angemessen und ihrer besonderen Realität angepasst gewahrt werde. Genauso wie wir haben die Flussanwohner das Recht auf eigene Konsultation.
Wer soll konsultiert werden?
Die Munduruku aller Dörfer – des Oberen, Mittleren und Unteren Tapajós – müssen konsultiert werden, auch diejenigen aus indigenen Gebieten, die noch nicht demarkiert wurden.
Soll die Regierung nicht denken, wir seien gespalten:
„Es gibt nur ein Volk der Munduruku“
Es sollen konsultiert werden:
• die weisen Alten, die pajés, die Geschichtenerzähler, die Kenner traditioneller Medizin, die Kenner der Wurzeln und der Blätter, diejenigen, die die heiligen Orte kennen.
• die Kaziken und Anführer, die Krieger und Kriegerinnen. Die Kaziken sind miteinander vernetzt und teilen die Informationen mit allen Dörfern. Es sind sie, die alle zusammenrufen, damit wir debattieren, was wir machen werden. Die Krieger und Kriegerinnen unterstützen den Kaziken, gehen mit ihm und schützen unser Territorium.
• die Anführer, die Lehrer sind, und die, die für die Gesundheit zuständig sind, die also, die mit der ganzen Gemeinschaft arbeiten.
• die Frauen, damit sie ihre Erfahrungen und Informationen weitergeben. Es gibt Frauen, die sind pajés, Hebammen und Kunsthandwerkerinnen. Sie bearbeiten das Feld, geben Ideen und Rat, bereiten das Essen zu, stellen medizinische Produkte her und verfügen über ein großes und breites traditionelles Wissen.
• die Universitätsstudenten, die Erzieher der Munduruku, die Ibaorebu-Studenten, die Jugendlichen und Kinder müssen auch konsultiert werden, weil sie die zukünftige Generation sind. Viele Jugendliche haben Zugang zu Kommunikationsmedien, lesen Zeitungen, gehen ins Internet, sprechen portugiesisch und kennen unsere Realität und haben aktiven Anteil an dem Kampf unseres Volkes.
• unsere Organisationen (Conselho Indígena Munduruku Pusuru Kat Alto Tapajós – Cimpukat, Da’uk, Ipereg Ayu, Kerepo, Pahyhy, Pusuru und Wixaximã) müssen auch konsultiert werden, aber sie dürfen niemals alleine konsultiert werden. Die Stadtverordneten Munduruku sprechen nicht für unser Volk. Die Entscheidungen des Volks der Munduruku werden kollektiv getroffen.
Wie soll der Prozess der Konsultation ablaufen?
• Die Regierung darf uns nicht erst dann konsultieren, wenn alle Entscheidungen schon getroffen sind. Die Konsultation muss vor allem anderen stattfinden. Alle Treffen müssen in unserem Territorium stattfinden – in dem Dorf, das wir auswählen –, und nicht in der Stadt, nicht einmal in Jacareacanga oder Itaituba.
• Die Treffen dürfen nicht zu Zeiten stattfinden, die die Aktivitäten unserer Gemeinschaft stören (also zum Beispiel nicht während der Feldarbeits-Saison des Feldfurchens oder des Pflanzens; nicht während der Zeit des Kastanien-Sammelns, nicht während der Zeit des Mehls, nicht während unserer Festtage; nicht am Tag des Indigenen). Wenn die Regierung in unser Dorf zur Konsultation kommt, dürfen sie nicht nur kurz einfliegen und am nächsten Tag wieder weggehen. Sie müssen in Ruhe mit uns Zeit verbringen.
• Die Treffen müssen in der Sprache Munduruku abgehalten werden und wir entscheiden, wer übersetzen wird. In diesen Treffen muss unser Wissen genauso anerkannt werden wie dies der pariwat (nicht-indigener). Weil es sind wir, die wir die Flüsse kennen, den Wald, die Fische und das Land. Es sind wir, die wir die Treffen koordinieren, nicht die Regierung.
• An den Treffen sollen die Partner unseres Volkes teilnehmen: Die Bundesstaatsanwaltschaft, die von uns ausgewählten Partnerorganisationen sowie Fachleute unseres Vertrauens, die wir auswählen. Die Unkosten unserer Anwesenheit und die unserer Partner während aller Treffen gehen auf Kosten der Regierung.
• Damit die Konsultation wirklich frei sein wird, werden wir auf den Treffen unter keinen Umständen bewaffnete pariwat (Militärpolizei, Bundespolizei, Bundesstraßenpolizei, Heer, Nationaler Sicherheitskräfte, Brasilianischen Geheimdienst oder jedwede anderen staatlichen oder privaten Sicherheitskräfte) akzeptieren.
• Wenn die Regierung mit Kameras ankommt, darf sie ohne unsere Autorisierung keine Aufnahmen machen. Zu unserer Sicherheit sollen die Treffen gefilmt werden und die Regierung muss uns die vollständigen Kopien der Aufnahmen übergeben.
Die von uns bisher angesprochenen Treffen teilen sich in folgende auf:
• Treffen zum Beschluss über den Plan für die Konsultation: Die Regierung muss sich mit dem Volk der Munduruku treffen, damit wir eine Übereinkunft treffen, welchen Plan wir für die Konsultation festlegen. Dieser Plan für die Konsultation muss dieses Dokument hier in Gänze respektieren, da es erklärt, wie wir uns organisieren und wie wir unsere Entscheidungen treffen.
• Informationstreffen: Die Regierung muss sich mit unserem Volk treffen, in jedem Dorf einzeln, um uns über ihre Vorhaben zu informieren und unsere Zweifel und Nachfragen zu beantworten. Neben uns sollen die Partner unseres Volkes an diesem Treffen jeweils teilnehmen.
• Interne Treffen: Nach diesen Informationstreffen brauchen wir Zeit zum Diskutieren unter uns über die Vorschläge der Regierung. Wir werden Zeit brauchen, um den Vorschlag den Verwandten, die nicht an den Informationstreffen teilnehmen konnten, zu erläutern. Des Weiteren wollen wir uns mit den Flussanwohnern (beispielsweise mit denen von Montanha-Mangabal) treffen und beratschlagen. Wir werden unsere Partner zu unseren internen Treffen hinzuladen. Aber die Regierung darf dabei nicht anwesend sein. Sollten Unklarheiten oder neue Informationen aufkommen, dann muss die Regierung weitere Informationstreffen mit uns und unseren Partnern abhalten. Danach dann würden wir weitere Treffen mit unseren Partner, ohne die Regierung, machen, um die Unklarheiten zu klären und um zu debattieren. Egal wie viele Treffen dafür notwendig wären, damit das Volk der Munduruku sich vollständig informiert
• Verhandlungstreffen: Wenn wir hinreichende Informationen haben und mit unserem ganzen Volk debattiert haben, wenn wir also eine Antwort an die Regierung haben, dann muss die Regierung sich mit uns, in unserem Territorium treffen. An diesem Treffen sollen auch unsere Partner teilnehmen. Die Regierung muss zuhören und auf unseren Vorschlag antworten, selbst wenn unser Vorschlag anders als der von der Regierung sei. Und wir mahnen: Wir akzeptieren nicht, dass die Regierung Rechte so einsetzt, wie die, die uns eigentlich zustehen, aber nie respektiert werden, um uns letztlich reinzulegen.
Wie treffen wir Munduruku unsere Entscheidungen?
• Wenn ein Vorhaben uns alle betrifft, dann ist unsere Entscheidung eine kollektive. Die Regierung darf nicht nur einen Teil des Volks der Munduruku konsultieren (sie darf zum Beispiel nicht nur die Munduruku des Mittleren Tapajós oder nur die des Oberen Tapajós konsultieren).
• Keine Vereinigung der Munduruku entscheidet für das Volk der Munduruku, keine Organisation redet für unser Volk. Die Entscheidungen unseres Volks werden auf der Vollversammlung getroffen, die durch unsere Kaziken einberufen wird. Es sind unsere Kaziken, die gemeinsam und zusammen Zeit und Ort der Generalversammlung festlegen und die Munduruku zur Teilnahme einladen. Auf diesen Versammlungen werden die Entscheidungen im Anschluss an die Debatte getroffen: Wir diskutieren und kommen zu einem Kosens. Wenn es nötig ist, diskutieren wir viel. Wir stimmen nicht ab. Wenn es keinen Konsens gibt, entscheidet die Mehrheit.
Was erwartet das Volk der Munduruku von dieser Konsultation?
„Wir erwarten, dass die Regierung unsere Entscheidung respektiert. Wir haben Veto-Recht.
Sawe!!“

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Munduruku wehren sich gegen den geplanten Bau der Bahnlinie Ferrogrão https://www.gegenstroemung.org/web/blog/munduruku-wehren-sich-gegen-den-geplanten-bau-der-bahnlinie-ferrograo/ Thu, 03 Dec 2020 10:34:28 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2155 Deutschsprachige Übersetzung der Erklärung der Associação Indígena Pariri – Munduruku, Médio Tapajós, Mundurukânia, 30. November 2020.

Wir vom Volk der Munduruku akzeptieren keine Treffen mit den für die Erstellung der „Indigenen Komponente“ beauftragten Teams, die damit die Grundlage dafür schaffen wollen, die Bahnlinie Ferrogrão zu bauen und dies mit Unterstützung der Delegation der Funai aus Brasília.
An die Regionalkoordination der FUNAI von Itaituba wurde ein Brief geschickt, in dem ein Treffen mit den Munduruku vom Mittleren Tapajós für den 2. Dezember anberaumt wurde, in dem die Führer aufgefordert wurden, ihre Dörfer zu verlassen und in die Stadt Itaituba zu kommen, um die Perspektiven des Ferrogrão-Projekts zu erörtern. Alle wissen, dass wir uns wegen Covid-19 in einer Phase der Isolation befinden, und wir werden dieses Treffen nicht akzeptieren.
Erstens fordern wir, dass Sie das Konsultationsprotokoll des Munduruku-Volkes sowie das Konsultationsprotokoll der Flussanwohner:innen von Montanha e Mangabal ebenso eingehalten werden muss wie die der Gemeinschaften Pimental und São Francisco und dass die Konsultationsprotokolle bzw. die entsprechenden Entscheidungsformen aller von diesem Projekt bedrohten Indigenen zu respektieren sind. Wir alle müssen in Übereinstimmung mit dem ILO-Übereinkommen 169 zum Schutz der Rechte der Indigenen und im Hinblick auf die Bundesverfassung von 1988 entsprechend gehört werden.
Die Banken, die dieses Ferrogrão-Projekt finanzieren werden, verletzen die Rechte der indigenen Völker und traditionellen Gemeinschaften.
Wir möchten auch eine Botschaft an diese Forscher:innen senden, die beabsichtigen, die Studien zur indigenen Komponente durchzuführen […]. Wir akzeptieren nicht, dass sie diese Studien in unserem Territorium durchführen. Sie wissen bereits, dass Ferrogrão unsere Lebensweise beeinträchtigen wird.
Wir lehnen diese Art des Zusammentreffens ab, ohne alle unsere Leute zu konsultieren, insbesondere während der Covid-19-Pandemie. Wir akzeptieren kein Treffen, das nur von den Behörden in Brasilia beschlossen wird, ohne Dialog mit den Anführer:innen, Häuptlingen, Krieger:innen, Schaman:innen, Lehrer:innen und Vertretern aller Munduruku-Vereinigungen.
Wenn Sie bereits wissen, dass alle Mitglieder des Munduruku-Volkes konsultiert werden müssen, bevor überhaupt irgendwelche Forscher,:innen, Regierung oder Geschäftsleute, die mit der geplanten Bahnlinie Ferrogrão in Verbindung stehen mit uns sprechen dürfen, warum versuchen Sie dann, ein Treffen in den Dörfern Praia do Índio und Praia do Mangue, mitten im Tapajós-Gebiet, anzusetzen, ohne alle anderen zu informieren, wie es das Konsultationsprotokoll eigentlich vorsieht?
FUNAI vertritt unsere Interessen nicht. Der Regionalkoordinator von Tapajós und die FUNAI-Vertreter:innen in Santarém, Itaituba und Jacareacanga können das Volk der Munduruku nicht vertreten oder ein Treffen für uns arrangieren. FUNAI muss uns zuhören und unsere Entscheidungen respektieren. Wir haben noch zwei Ländereien, die auf den Abschluss der Demarkationsprozesse im Gebiet des Mittleren Tapajós warten, und unser Territorium wird zunehmend von Invasionen für den Bau von Häfen, Staudämmen für Wasserkraftwerke und Bergbau betroffen, und die Regierung besteht nach wie vor darauf, mit einem weiteren Todesprojekt im Tapajós-Becken fortzufahren. Die FUNAI, die ihrer verfassungsmäßigen Verpflichtung nachkommen sollte, unsere Rechte zu garantieren, unser Land abzugrenzen und zu schützen, geht gegen unsere Interessen vor und verbündet sich mit den Projekten der Regierung und den großen Agrarindustriellen, den einzigen, die von dem Bahnlinenprojekt Ferrogrão profitieren werden.
Schließlich warnen wir davor, dass Vertreter:innen von FUNAI Brasilia und der MRS-Beratungsfirma irgendein Munduruku-Dorf betreten, auch weil laut FUNAI-Verordnung Nr. 419/2020 Weiße aufgrund der Zunahme der Fälle von Covid19 nicht in unsere Dörfer kommen dürfen und nicht versuchen dürfen, versteckt und vereinzelt mit den Anführer:innenn zu sprechen. JEDE ANFRAGE IN BEZUG AUF FERROGRÃO ODER EIN ANDERES VORHABEN MUSS UNSEREM KONSULTATIONSPROTOKOLL FOLGEN.

// Quelle: https://www.facebook.com/AIPariri/posts/2591856737780874
// Übersetzung: Christian Russau

Weitere Inhalte zu „Munduruku“ auf der Webseite von KoBra.

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Einigung über größten Staudamm-Rückbau in den USA erzielt https://www.gegenstroemung.org/web/blog/einigung-ueber-groessten-staudamm-rueckbau-in-den-usa-erzielt/ Fri, 20 Nov 2020 07:21:55 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2152 Nach jahrelangem Kampf um den Rückbau von vier Staudämmen am Klamath River in Oregon und Kalifornien wurde nun eine Einigung erzielt. Dem neuen Plan zufolge teilen sich die Bundesstaaten Oregon und Kalifornien sowie das Versorgungsunternehmen PacifiCorp, das die Wasserkraftdämme betreibt und sich im Besitz der Firma Berkshire Hathaway des Milliardärs Warren Buffett befindet, die neuesten Berechnungen zufolge auf 45 Millionen US-Dollar zusätzlich auflaufenden Kosten zu gleichen Teilen. Die Gesamtsumme des Abriss wird somit 495 Millionen US-Dollar betragen. Diese Einigung muss nun noch von den zuständigen Bundesbehörden bestätigt werden.
Die vier Dämme am Klamath River sollen ab 2022 nach mehr als hundert Jahren Betrieb zurückgebaut werden. Damit wird das Klamath River Flusssystem frei von Dämmen, wieder frei fließend und der Silberlachs (Coho Salmon), dessen Bestand im Fluss durch die unüberwindbaren Dämme um bis zu 95% zurückgegangen war, und der Königslachs (chinook salmon), dessen Bestand dort um bis zu 98% zurückgegangen war, können in Zukunft wieder frei und ungehindert ziehen.
Eine der größten technischen Herausforderungen wird nicht der Rückbau des Betons sein, sondern die im Laufe der Jahrzehnte aufgelaufenden Sedimente im Flussbecken, im Reservoir und vor den Talsperren sein. Regen- und schneereiche Winter mit nachfolgenden Frühlingshochwassern würde wohl viele Sedimente von alleine wegtragen. Das Problem: Zuvor müssen die Sedimente auf Giftstoffe untersucht werden, denn niemand weiß, was sich in ihnen im Lauf der Jahre dort angesammelt haben könnte.
Der gleichzeitige Rückbau der vier Dämme am Klamath River wäre der bisher größte Rückbau von Dämmen in den USA auf einmal. Dabei folgt er einem Trend: Die US-amerikanische Nichtregierungsorganisation American Rivers führt ein umfangreiches Register über den Rückbau von Staudämmen in den USA. Laut der Erhebung von American Rivers wurden in den USA seit 1912 insgesamt an die 1.700 Dämme zurückgebaut. Durch den Rückbau entstanden tausende Kilometer frei fließender Flusslandschaften, mit allen Möglichkeiten von freiem Fischzug, Sedimentfracht und ungezügelter Biodiversität. So werden seit Jahren in den USA statistisch mehr Staudämme abgerissen als neue gebaut. American Rivers hat dazu auch eine interaktive Landkarte erstellt, die den Rückbau von Staudämmen in den USA dokumentiert: https://www.americanrivers.org/threats-solutions/restoring-damaged-rivers/dam-removal-map/
// christian russau

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Anhaltender Streit um Rückbau der Staudämme am Klamath River in den USA https://www.gegenstroemung.org/web/blog/anhaltender-streit-um-rueckbau-der-staudaemme-am-klamath-river-in-den-usa/ Thu, 12 Nov 2020 09:17:28 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2148 Am Klamath River, einem Fluss im Süden Oregons und Norden Kaliforniens in den Vereinigten Staaten, sollen vier Dämme zurückgebaut werden. Die vier Dämme am Klamath River sollen ab 2021 nach mehr als hundert Jahren Betrieb zurückgebaut werden, damit der Lachs auf den zusammen rund 650 Kilometern des Klamath Rivers und seiner Zuflüsse wieder frei ziehen kann. Diesen Sommer kam es zu neuen Unstimmigkeiten über den Rückbau zwischen Behörden, Betroffenen und Eigentümer:innen der Dämme, wobei es größtenteils um Finanzierungs- und Haftungsfragen ging, was eine Verschiebung des Rückbaus auf frühestens 2022 bedeutet. Doch noch ist immer nichts endgültig entschieden, noch immer wird zäh verhandelt, dies liegt, so die Kritik der First Nations, die von den Dämmen besonders betroffen sind, auch am Eigentümer, dem Multimillardär Warren Buffett.

Mitglieder der Karuk, Yurok, Klamath und Hoopa-Tal haben gemeinsam mit Fischer:innen, Klamath-Flussnutzer:innen und Nichtregierungsorganisationen aus dem ganzen Land einen landesweiten Aktionstag zur Beseitigung der Klamath-Staudämme am 23. Oktober veranstaltet. Sie fordern, dass Warren Buffet, der Eigentümer von Pacific Power und der Klamath-Flussdämme, sein Versprechen einhält, die Dämme zu entfernen.
„Es ist uns klar, dass Pacificorp den Prozess der Staudammentfernung absichtlich hinauszögert, um an diesen Denkmälern des Kolonialismus und den Werkzeugen des Völkermords festzuhalten“, sagte Annelia Hillman, eine Yurok und Sprecherin der Klamath Justice Coalition. „Sie haben die Gelegenheit, ein Beispiel dafür zu geben, wie das korporative Amerika mit PoC-Gemeinschaften und Indigenen umgehen sollte. Stattdessen scheinen sie entschlossen zu sein, Lachs, Gemeinschaften und Volkswirtschaften auf Kosten ihrer eigenen Kunden zu zerstören. Wir weigern uns, dieses Schicksal zu akzeptieren. Die Dämme müssen fallen!“
Die Gruppen haben auf dem Aktionstag erneut dazu aufgerufen, sich für das Überleben des Pazifischen Lachses, die Rechte der amerikanischen Ureinwohner und sauberes Wasser einzusetzen und sich ihnen anzuschließen.
Die vier Dämme – Iron Gate, Copco 1, Copco 2 und J.C. Boyle – blockieren den freien Flusslauf und hindern so den pazifischen Lachs und die Stahlkopfforelle an ihrer natürlichen Wanderroute zum Laichen. So ist der Flusslauf des Klamath River vom Oberen Klamath Lake bis zum Pazifischen Ozean, wo er bei Requa, rund 250 Kilometer flussabwärts gelegen, ins Meer mündet, noch immer blockiert, durch die vier Dämme. 2018 hatte die Klamath River Renewal Corporation den 2.300 Seiten starken Rückbaubauplan vorgelegt, der festlegt, wie die vier Dämme zurückgebaut, die Staureservoirs nach und nach geleert, wo und das Abraummaterial gelagert bzw. genutzt werden soll und wie das vormals geflutete Land renaturiert werden soll.
Als im Jahr 2000 – anlässlich der Entscheidung über die Konzessionsverlängerung für die Dämme nach 50 Jahren Konzession – die Behörden die Eigentümer:innen und die interessierte Öffentlichkeit zu Gesprächen luden, da waren sie dann auch gleich da: die Gegner:innen der Dämme, die indigenen Karuk, die Umweltschützer:innen und Aktivist:innen. Diese protestierten sogar in Schottland, weil die Besitzerin der Dämme, PacifiCorp, damals noch Scottish Power gehörte. Im Jahr 2004 fuhren die Karuk und Umweltschützer :innen zur Jahreshauptversammlung von Scottish Power und forderten ihren Fluss zurück – frei fließend und endlich wieder voll mit Lachs und Forrellen. Aber noch immer ohne Erfolg. Wenige Jahre später verkaufte Scottish Power die Dämme an Berkshire Hathaway Energy, und so trugen die Aktivist:innen den Kampf nach Omaha, in Nebraska, wo Berkshire Hathaways Besitzer, Warren Buffett, seinen Hauptsitz hat. Doch auch dieser ließ sich nicht vom zwanglosen Zwang des besseren Arguments für den Rückbau überzeugen. Erst als Jahre später eine neue Wirtschaftlichkeitsberechnung durchgeführt wurde und schwarz auf weiß fest stand, dass Betrieb und Unterhalt der in die Jahre gekommenen Dämme in Zukunft teurer wären als der Rückbau, kam ab 2010 Bewegung in die Sache. Von den für den Rückbau veranschlagten knapp 400 Millionen US-Dollar kommen 200 Millionen über eine Stromumlage der PacifiCorp-Kund:innen und die andere Hälfte wird aus Mitteln von Proposition 1 getragen, einer Wasseranleihe, die der Staat Kalifornien im Jahre 2014 eingerichtet hatte.
Eine der größten technischen Herausforderungen wird nicht der Rückbau des Betons sein, sondern die im Laufe der Jahrzehnte aufgelaufenden Sedimente im Flussbecken, im Reservoir und vor den Talsperren sein. Regen- und schneereiche Winter mit nachfolgenden Frühlingshochwassern würde wohl viele Sedimente von alleine wegtragen. Das Problem: Zuvor müssen die Sedimente auf Giftstoffe untersucht werden, denn niemand weiß, was sich in ihnen im Lauf der Jahre dort angesammelt haben könnte.
Der gleichzeitige Rückbau der vier Dämme am Klamath River wäre der bisher größte Rückbau von Dämmen in den USA auf einmal. Dabei folgt er einem Trend: Die US-amerikanische Nichtregierungsorganisation American Rivers führt ein umfangreiches Register über den Rückbau von Staudämmen in den USA. Laut der Erhebung von American Rivers wurden in den USA seit 1912 insgesamt an die 1.700 Dämme zurückgebaut. Durch den Rückbau entstanden tausende Kilometer frei fließender Flusslandschaften, mit allen Möglichkeiten von freiem Fischzug, Sedimentfracht und ungezügelter Biodiversität. So werden seit Jahren in den USA statistisch mehr Staudämme abgerissen als neue gebaut. American Rivers hat dazu auch eine interaktive Landkarte erstellt, die den Rückbau von Staudämmen in den USA dokumentiert: https://www.americanrivers.org/threats-solutions/restoring-damaged-rivers/dam-removal-map/

// christian russau

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Sauberer Strom per 336 Meilen-Unterwasserkabel aus kanadischer Wasserkraft für New York City? Kritik wird lauter https://www.gegenstroemung.org/web/blog/sauberer-strom-per-336-meilen-unterwasserkabel-aus-kanadischer-wasserkraft-fuer-new-york-city-kritik-wird-lauter/ Fri, 06 Nov 2020 13:06:50 +0000 http://www.gegenstroemung.org/web/?p=2143 Zwischen Quebec und New York City soll eine Hochspannungs-Gleichstrom-(HVDC)-1.000-Megawatt-Leitung verlegt werden, die Strom aus Wasserkraftwerken im Osten Kanadas nach New York City liefern soll, um so die im US-Inlandsvergleich hohen Stromkosten der New Yorker:innen zu mildern und um auf „grünen“ Strom umzusteigen. Die Leitung wäre 336 Meilen lang. Doch gegen das Projekt, das von Transmission Developers Inc. (TDI), einem Portfoliounternehmen der Blackstone Group, entwickelt wird, gibt es Widerstand. Die Leitung soll zu einem großen Teil im Flussbett des Hudson Rivers verlegt werden, daher heisst die Hochspannungsleitung Champlain Hudson Power Express (CHPE), das den Großraum Montreal mit dem New Yorker Stadtteil Queens verbindet. Falls es abschließend genehmigt werden sollte, soll die Leitung voraussichtlich 2021 in Betrieb genommen werden. Die Baukosten für dieses Projekt werden für den im Bundesstaat New York gelegenen Abschnitt auf 2,2 Milliarden US-Dollar geschätzt. Der Abschnitt der Leitung in Québec würde von TransÉnergie, dem Übertragungsarm von Hydro-Québec, gebaut und betrieben.

2017 wurde beschlossen, dass das umstrittene Atomkraftwerk Indian Point bis 2021 abgeschaltet werden soll. Der Bundesstaat New York unter Gouverneur Cuomo erklärte, New York werde sich von fossilen Brennstoffen abwenden und versprach, sich auf saubere Energieprojekte zu konzentrieren, um den ständig wachsenden Strombedarf im Hudson Valley und in New York City zu decken. Die politische Entscheidung entfiel auf Strom aus Wasserkraftwerken im Osten Kanadas.

Doch Umweltschützer:innen protestieren und leisten seit Jahren über Umwelteingaben Einsprüche gegen das Projekt. Ein Teil der Insel Iona, auf der sich ein Vogelschutzgebiet befindet, soll gesprengt werden, um Platz für das CHPE-Projekt zu schaffen. Drei geplante CHPE-Kühlstationen sollen in einem Nationalpark in der Nähe von Haverstraw errichtet werden. Um CHPE ans Netz zu bringen, hat HydroQuébec bislang bereits Hunderte von Quadratmeilen unberührten borealen Waldes in Quebec gerodet und wird noch mehr roden, um ein Netz von Reservoirs, Übertragungsleitungen und Versorgungsstraßen zu schaffen. Um das Stromkabel von CHPE nach New York zu bringen, müsste HydroQuébec das fragile kritische Habitat des gefährdeten Atlantischen Störs im Hudson River direkt durchschneiden, kritisieren Umweltschützer:innen. Unlängst hat das Center for Biological Diversity die zuständigen Behörden darauf aufmerksam gemacht, dass das US-Energieministerium gegen den Endangered Species Act verstößt, weil es versäumt habe, die verheerenden Auswirkungen zu analysieren, die die Übertragungsleitung auf den geschützten Lebensraum des Störs haben würde.

Umweltschützer:innen verweisen auch darauf, dass das Energieministerium es auch versäumt habe, die Umweltauswirkungen der Dämme zu analysieren, die gebaut werden, um Strom für CHPE zu liefern. Dadurch würden tausende Hektar Lebensraum für Wölfe, Lachse, Elche, Karibus und Luchse in Gebieten überschwemmt, auf die indigene Gruppen wie die Innu von Labrador als lebenswichtige Nahrungsquelle angewiesen sind. Laut den Umweltschützer:innen würden die Staudammreservoirs auch Methylquecksilber, ein starkes Neurotoxin, in die Umwelt frei, was ein erhebliches Risiko für die Gesundheit von Menschen und Wildtieren darstellt.

// christian russau

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