Von Christian Russau
Anfang Januar kam es zu einer neuen Runde von Argumenten zwischen Indien und Pakistan über den Bau künftiger Staudämme mit Wasserkraftwerken. Diesmal standen die geplanten Wasserkraftwerke Kishenganga am Jhelum-Fluss und Ratle am Chenab-Fluss zur Sprache. Die Konfliktparteien wandten sich and die Weltbank, die derzeit versucht, in Gesprächen die über diverse Wasserkraftprojekte seit Jahren anhaltenden Konflikte zu mäßigen.
„Wasser ist einer der Schlüsselkonflikte zwischen Indien und Pakistan“, erklärte Zubair Ahmad Dar von der Harvard Law and International Development Society. „Tatsächlich ist es sogar das grundlegendste aller Interessen in den verschiedenen Posititionen beider Länder in Bezug auf Jammu und Kashmir.“ Es sind sechs bedeutende Flüsse, die aus dem Himalaya kommend den indischen Teil von Kashmir passieren, bevor sie den pakistanischen Teil erreichen. Schon vor den mittlerweile unzähligen Staudammprojekten, schon vor der in beiden Ländern steigenden Bevölkerungszahlen und schon bevor jemand von den Folgen durch den Klimawandel eine Ahnung hatte, war der Zugang zu und die Verfügbarkeit von Wasser einer der zentralen Streitpunkte zwischen Indien und Pakistan.
1960 schlossen Pakistan und Indien – unter Aufsicht der Weltbank – zur kontrollierten Beilegung des Streits um Wasser den Indus Waters Treaty. Dieser bot einen vertraglich abgesicherten Rahmen, der die Nutzung des Wassers der Flüsse Indus, Chenab, Jhelum, Sutlej, Ravi und Beas genauestens regelte und die Streitschlichtungsmechanismen defnierte – und dies alles auch mehrere Jahrzehnte gut funktionierte. Doch dam kam Baglihar.
Ab 1982 erarbeitete Indiens Regierung den Entwicklungsplan für das Chenab-Becken vor, der 1984 in die ersten Projektplanungen für Staudammprojekte in der Jammu-und-Kashmir-Region mündete. Erst 1992 aber informierte Indien Pakistan über die Staudammpläne. Pakistan war entsetzt. 1999 startete die erste Bauphase für Baglihar I, Pakistan protestierte schriftlich bei Indiens Regierung und bei den im Indus Water Treaty festgelegten Schiedsstellen, beide Seiten hielten mehrere erfolglose Gesprächsrunden ab. Pakistan erarbeitete also eine Gegenstrategie, die 2002 in formalen „Fragen“ an Indiens Regierung mündeten. Im Januar 2005 – der Bau von Baglihar lief bereits seit sechs Jahren – reichte Pakistan dann als Notnagel eine Beschwerde vor der Weltbank ein, damit diese – als Garantiezeichnerin des Indus Waters Treaty – ein Schiedsgericht einsetze. Im Mai 2005 ernannte die Weltbank Professor Raymond Lafitte, einen schweizer Ingenieur, zum Schieds-Richter. Dieser verkündete am 12. Februar 2007 – acht Jahre nach Baubeginn – sein Urteil: die zur Flutung des Stausees von Seiten Indiens zu entnehmende Menge an Wassers wurde begrenzt, auch wenn nicht in dem Maße wie von Pakistan gefordert. Gleichwohl akzeptierten beiden Seiten das Urteil als „bindend“. Die Flutung startete im August 2008 – und prompt protestierte Pakistan, dass Indien die Flutungszeiten und -mengen nicht gemäß dem Abkommen tätige, Indien bestritt das. Erneut vor einer Mediationsinstanz ließ Indien dann erklären, „in Zukunft vorsichtiger zu sein“ und Pakistan „akzeptierte dies im Geiste von guter Zusammenarbeit“.
Beoachter/innen und den Beteiligten selbst ist klar, dass angesichts des Klimawandels solche Wasserkonflikte zwischen Indien und Pakistan zunehmen werden. Denn ähnliche, zu diesem Zeitpunkt bereits absehbare Konflikte zwischen Indien und Pakistan sind das 330-MW-Staudammprojekt Kishenganga am gleichnamigen Fluss – gegen das Pakistan im Mai 2010 eine Schiedsgerichtsklage einreichte und das nun bei der Weltbank liegt, die in dem Fall zu vermitteln versucht.
Nur wenige Monate nach der zwischen Pakistan und Indien so umstrittenen Flutung von Baglihar I vergab Indien den Bau von Baglihar II. Pakistan protestierte prompt erneut – denn die im Rahmen von Baglihar II dem Fluss Chenab zur Stauung zu entnehmende Wassermenge würde wiederum Pakistans Wasserverfügbarkeit reduzieren. Der internationale Schiedsgerichtshof urteilte erneut, wiederum ist das Urteil bindend, aber diesmal rumorte es gewaltig in Pakistans Medienlandschaft: Das Urteil sei „schlecht“, „von schlechten Richtern“ ist die Rede und von „schlechter Vorbereitung seitens Pakistans“. Baglihar II wurde Anfang November 2015 in Betrieb genommen. Kishenganga und Ratle werden folgen. Der Wasserkonflikt zwischen Indien und Pakistan wird weitergehen.