Foto: Symbolbild freifliessender Flüsse (Foto:Verena Glass)
Unter Berufung auf ungenannte Quellen berichtete die äthiopische Wochenzeitung Capital diese Woche, dass die Vorarbeiten für den Beginn der Probestromerzeugung mit den ersten Turbinen abgeschlossen seien. Die Probephase würde Turbinen mit einer geschätzten Leistung von 700 MW in Gang setzen. Dies berichtet unter Berufung auf äthiopische Presseberichte das Internetportal Powermag.
Das nach seiner Inbetriebnahme voraussichtlich größte Wasserkraftwerk Afrikas war ursprünglich als ein Staudamm zur Wasserkrafterzeugung mit 6,4 GW-Leistung geplant worden. Dem Plan nach sollten 16 Francis-Turbinen mit einer jeweiligen Leistung von 375 MW installiert werden. Diese könnten kumuliert über das Jahr eine Strommenge von 15.759 GW-Stunden erzeugen, doch 2019 wurde von den Behörden entschieden, die Zahl der Turbinen auf 13 zu senken, so dass der Staudamm bei Fertigstellung eine Gesamtleistung von 5,2 GW erzielen könnte. Im November vergangenen Jahres hatten Regierungsvertreter erklärt, dass der Baufortschritt des Staudamms zu diesem Zeitpunkt 82 Prozent erreicht habe. Im Sommer 2021 hatte Äthiopien während der Regenzeit die zweite Füllphase des Stausees begonnen.
Der Grand Ethiopian Renaissance Dam liegt am Blauen Nil – einem wichtigen Nebenfluss des Nils – in der nordwestlichen äthiopischen Region Benishangul-Gumuz, etwa 500 km nordwestlich von Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba und nur 15 km von der Grenze zum Sudan entfernt. Das Projekt wird von der Webuild Group, einer Tochtergesellschaft der italienischen Baufirma Salini Costruttori S.p.A., für das staatliche Unternehmen Ethiopian Electric Power gebaut. Nach seiner Fertigstellung wird es aus einem Hauptdamm aus Walzbeton und zwei Kraftwerken bestehen, die am linken und rechten Flussufer errichtet werden.
Der Grand Ethiopian Renaissance Dam soll Schätzungen zufolge bis zu fünf Milliarden US-Dollar Kosten und mit einem Staureservoir von 1.630 Quadratkilometern Afrikas größter Staudamm werden. Sein Fassungsvermögen soll bei Vollstauung 63 Milliarden Kubikmeter Stauvermögen umfassen. Die Anrainerstaaten des Nils allerdings fürchten um ihre Wasserversorgung. Denn der blaue Nil ist die lebenswichtige Wasserader sowohl von Äthiopien als auch von Sudan und von Ägypten. Die sudanesischen Behörden hatten erklärt, dass der Staudamm zwar zur Regulierung des Nilwasserstandes und somit zur Verringerung des Überschwemmungsrisikos im Sudan beitragen könnte, doch das Land hat Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen des Projekts auf die Effizienz seines eigenen 280-MW-Roseries-Staudamms geäußert und einseitige Maßnahmen Äthiopiens zur Auffüllung des GERD-Reservoirs scharf verurteilt. Hinzu kommen angesichts des Klimawandels immer Bedenken über die Verteilung des knappen Gutes Wasser. Ägypten zeigt sich hingegen extrem besorgt um die Wasserzufuhr des Nils, wenn Äthiopien anfängt, den Grand Ethiopian Renaissance Damm am Blauen Nil zu stauen. Denn die jährliche Wassermenge des Nils insgesamt oszilliert zwischen 55 und 88 Mrd. Kubikmetern. Wird Äthiopien das Reservoir schnell oder langsam füllen, welche Auswirkungen wird das für die Wasserversorgung in Ägypten haben, fragen sich die Ägypter:innen seit Jahren. Eine Studie der Universität von Kairo sieht bei einer Fülldauer von drei Jahren einen Verlust von landwirtschaftlicher Fläche in Ägypten in Höhe von schockierenden 51 Prozent, eine sechsjährige Fülldauer würde auch noch erschreckende 17 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche Ägyptens in Mitleidenschaft ziehen.
Gegenwärtig berufen sich Ägypten und Sudan an das Nil-Abkommen von 1929, das 55 Milliarden der insgesamt 84 Milliarden Kubikmeter Wasser Ägypten und 18 Milliarden dem Sudan – somit das gesamte Nilwasser – zur landwirtschaftlichen Nutzung zuweist. Äthiopien wurde in dem damaligen Abkommen nicht beteiligt und bekam auch keine Wassermengen zugewiesen. Das damalige Abkommen räumt Ägypten und Sudan auch ein Vetorecht in Bezug auf jegliche stromaufwärts gerichtete Entwicklung ein. Äthiopien erkennt das Abkommen nicht an.
Seit einer Reihe von Jahren kommt es deshalb zu diplomatischen Verwicklungen und Streit zwischen den drei Anrainerstaaten. Selbst mehrere internationale Vermittlungsversuche (GegenStrömung berichtete u.a. hier und hier und hier), kam es bislang noch zu keiner Einigung. Sowohl die Vereinten Nationen haben zu schlichten versucht, auch die USA und die Afrikanische Union hatten versucht, in dem Streit zu vermitteln. Im September vergangenen Jahres drang der UN-Sicherheitsrat die drei Staaten Ägypten, Äthiopien und den Sudan, die Verhandlungen im Rahmen eines von der Afrikanischen Union geleiteten Prozesses „in einer konstruktiven und kooperativen Weise“ wieder aufzunehmen.