Brasilien: Geplanter Staudamm Tabajara: Staatsanwaltschaft hört flussabwärts lebende Betroffene an, die in der Umweltverträglichkeitsprüfung keine Berücksichtigung finden.
Von Christian Russau
Die Landes- und Bundesstaatsanwaltschaften des Bundesstaates Rondonia MPRO und MPF haben am Donnerstag, den 11. August, in Porto Velho Vertreter:innen zweier Gemeinden angehört, deren Ortschaften flussabwärts des geplanten Staudamms Tabajara am Rio Machado gelegen sind und laut der von der Regierung favorisierten Umweltverträglichkeitsprüfung als nicht betroffen gelten. Dies berichtet das Internetportal Tudo Rondônia. Die Gemeinden Demarcação und Calama wurden nicht in die Untersuchungen der Umweltverträglichkeitsprüfung einbezogen, obwohl sie nur etwas mehr als 100 Kilometer vom Ort der Bauarbeiten entfernt sind. Damit weiten die beiden Staatsanwaltschaften ihr Anliegen, allen potentiell vom Bau des Wasserkraftwerks Tabajara betroffenen Gruppen Gehör und zu ihren von der Verfassung garantierten Rechten zu verhelfen, aus, nachdem die Staatsanwaltschaften zuvor bereits auf die Rechte der Indigenen und von Ansiedlungen der Landlosenbewegung hingewiesen hatten (GegenStrömung berichtete).
Die öffentliche Anhörung, die im Auditorium der Landesstaatsanwaltschaft MPRO in Porto Velho stattfand, wurde auf Antrag der Bewegung der vom Staudamm betroffenen Menschen MAB veranstaltet und hatte zum Ziel, die Meinung der Vertreter:innen der Einwohner:innen von Demarcação und Calama zu dem Projekt einzuholen. Vertreter:innen der beiden Gemeinden hatten wiederholt kritisiert, dass ihre Regionen nicht in den Einflussbereich des Projekts einbezogen wurden.
„Neben den technischen, wissenschaftlichen und umweltbezogenen Analysen ist eine der gesetzlich festgelegten Anforderungen die demokratische Beteiligung aller Gemeinschaften, um sicherzustellen, dass alle direkt oder indirekt betroffenen Menschen ein Mitspracherecht haben“, erläuterte der anwesende Vertreter der Landesstaatsanwaltschaft MPRO. Im Fall des Tabajara-Projekts sei das bisherige Genehmigungsverfahren auf eine Region beschränkt und die Menschen aus dem gesamten flussabwärts gelegenen Einflussbereich des Projekts, wie z. B. indigene Völker und traditionelle Bewohner:innen, nicht in die Analyse der Umweltverträglichkeitsprüfung mit einbezogen wurden. „Ziel des heutigen Treffens ist es, die stromabwärts gelegenen Gruppen zusammenzubringen, um ihre Forderungen zu hören und in einem zweiten Schritt gemeinsam mit [der Umweltbehörde] Ibama deren Einbeziehung in die Studien zu erreichen“, so der Staatsanwalt.
Bundesstaatsanwältin Gisele Bleggi unterstrich in ihrer Teilnahme die Plausibilität der von MAB vorgebrachten Gründe für das Treffen und verwies auf die Erfahrungen, die mit dem Madeira-Staudammkomplex (Jirau und Santo Antônio) in Bezug auf die unterhalb – also flussabwärts – den Dämmen liegenden Gemeinden gemacht wurden. „Die Ministerien des Bundesstaates und des Bundes führen technische Studien durch, die zusammen mit den heute gesammelten Informationen zur Umweltbehörde IBAMA gebracht werden und zeigen, dass die Bewohner von Calama und Demarcação von diesem Vorhaben sehr wohl betroffen sein könnten“, sagte sie.
Der anwesende Koordinator der Bewegung der von Staudämmen Betroffenen MAB, João Marcos Dutra, wies auf die Auswirkungen auf die Fischerei und die Fischvorkommen in den Gemeinden hin und betonte den direkten Zusammenhang zwischen der Wirtschaft der Regionen und dem Fluss. Er wies zudem auf die möglichen Veränderungen im hydrosedimentologischen Regime des Machado-Flusses hin, die mit der Ufererosion und den Schifffahrtsbedingungen auf dem Fluss zusammenhängen. In diesem Zusammenhang wies er des Weiteren darauf hin, dass die Bevölkerung von Demarcação ausschließlich vom Flusstransport auf dem Machado-Fluss abhänge, um nach Porto Velho und Calama zu gelangen, wohin das produzierte Maniokmehl als wichtigen Wirtschaftsgutes von Demarcação exportiert werde. Dutra wies zudem darauf hin, dass MAB eine Überprüfung des Einflussbereichs des Wasserkraftwerks Tabajara unter Einbeziehung der flussabwärts gelegenen Bevölkerung fordere, die die betroffenen Bezirke Porto Velho, Calama und Demarcação umfasse. Ausserdem seien eine Überarbeitung der sozioökonomischen Registrierung mit der Einbeziehung der betroffenen Bevölkerung im Demarkationsbezirk sowie die Einbeziehung der flussabwärts betroffenen Bevölkerung dringend von Nöten, so Dutra. Der Vertreter der MAB forderte zudem die Annullierung der bereits durchgeführten öffentlichen Anhörungen wegen Nichteinhaltung der Umweltgesetzgebung und die erneute Durchführung öffentlicher Anhörungen erst nach Abschluss der Umweltverträglichkeitsstudie und des entsprechenden Umweltverträglichkeitsberichts für Calama und Demarcação.
Bereits Mitte Juli hatte Brasiliens Bundesjustiz bestimmt, dass Funai und Ibama von dem für den Bau des Tabajara-Staudamms (am Machado-Fluss gelegen, die Indigenen nennen diesen Fluss Ji-Paraná, einem Nebenfluss des Madeira, an der Grenze zwischen den Bundesstaaten Rondônia und Amazonas) verantwortlichen Bauunternehmen verlangen müssen, dass dieses die technischen Berichte über die Umweltauswirkungen, die das Projekt auf die indigenen Völker und traditionellen Gemeinschaften in Rondônia haben wird, überarbeitet und vervollständigt.