Die langjährige Streiterin gegen den Staudamm Belo Monte wurde von der Alexander Soros Foundation geehrt.
Von Christian Russau
Antônia Melo hat schon viel Unrecht gesehen, viele Kämpfe dagegen gefochten, musste Niederlagen einstecken, aber hat dennoch nie aufgegeben. Und hat auch nicht vor, dies in Zukunft zu tun. Der Widerstand gegen zerstörerische Großprojekte in Amazonien, die gegen den Willen der lokal betroffenen Menschen von Regierung und Firmen durchgedrückt werden, muss weitergehen. Diesen Einsatz für Menschenrechte und den Erhalt der Umwelt hat am 10. Oktober die US-amerikanische Alexander Soros Foundation mit der Auszeichnung Antonia Melos mit dem jährlich vergebenen Menschenrechtspreis gewürdigt.
Antônia Melos Eltern, Elisa und Gentil, zogen mit der damals vierjährigen Antônia und ihren zwölf Geschwistern aus dem trockenen Bundesstaat Piauí nach Amazonien, nach Altamira, im Bundesstaat Pará. Es war Mitte der 1950er Jahre, Amazonien galt vielen damals als noch unerschlossenes, zukunftsträchtiges Land, das es zu besiedeln gelte. Ab Ende 1955, mit dem Präsidenten Juscelino Kubitschek, sollte das „neue Brasilien“, das Brasilien der „fünfzig Jahre Fortschritt in fünf Jahren“ kommen – und Amazoniens Erschliessung sollte Teil davon werden. So sah Antônia Melo im Lauf der Jahrzehnte den Bau der Transamazônica, die ersten Plänen für das Vorläufermodell von Belo Monte, Kararaô, das das erste von bis zu sechs Staustufen am Fluss Xingu sein sollte.
Antônia ahnte die Umwälzungen und sozialen Verwerfungen, die solch ein Monsterprojekt in Amazonien bewirken würde, Antônia sah den Widerstand, den die Kayapó-Indigenen gegen Kararaô auf die Beine stellten, der sogar internationale Rockgrößen wie Sting dazu bewog, sich öffentlichkeitswirksam gegen den Staudammbau zu wenden, Antônia sah, wie Tuíra Caiapó von den Kayapó sich 1989 in Altamira alleine vor den Ingenieur und späteren Eletrobras-Chef José Antônio Muniz Lopes stellte und ihm zuerst unmißverständlich ihren Widerstand gegen Kararaô klarmachte und dies dann mit einem geschickten Schnitt mit ihrer Machete als deutliches Fanal indigener Entschlossenheit auf des Ingenieurs Wange hinterließ.
Antônia sah, wie solch entschlossener Widerstand auch Erfolge erzielen kann, oder zumindest: Etappensiege. Das wußten die Gegner Kararaôs Anfang der 1990er Jahre noch nicht, dass ihr Widerstand gegen Kararaô zwar die Weltbank davon Abstand nehmen ließ, sich an der Finanzierung Kararaôs zu beteiligen, so galt das Projekt am Fluss Xingu als tot, aber sie ahnten nicht, dass das Projekt zwei Jahrzehnte später doch Realität werden würde. So ließ die Regierung Lula das Projekt unter neuem Namen, „Belo Monte“, „Schöner Berg“, wieder aufleben. 2011 wurde unter rechtlich zweifelhaften Eingriffen seitens der Regierung die Baugenehmigung für Belo Monte erteilt.
Der Bau schritt voran, immer wieder durch die Rechtseingaben der Bundesstaatsanwälte unterbrochen, hielten sich doch Regierung, Baufirmen und die verantwortliche Staudammbetreiberfirma NorteEnergia nicht an die vielfältigen sozialen und Umweltauflagen, die eigentlich längst vor Baubeginn hätten erledigt werden soll und die zu einem großen Teil bis heute, wo derzeit mehr als Hälfte aller Turbinen von Belo Monte installiert sind, und der Bau zu mehr als 90 Prozent fertiggestellt ist, noch immer nicht erfüllt wurden.
Der Bau schritt voran, aber es gab Widerstand. Und der kam aus einer überaschenden Ecke. Waren es 1989 noch die Kayapó, die sich an die Spitze des Widerstands gegen Kararaô stellten, so war es im Falle Belo Montes eine Frau, Antonia Melo, die die Widerstandsbewegung Xingu Vivo para Sempre gründete und die Bewohnerinnen und Bewohner von Altamira zusammenrief, die Flussanwohner und Fischer herbeitrommelte und sich mit den verschiedenen, teilweise historisch schwer zerstrittenen indigenen Gruppen zusammensetzte und beratschlagte, debattierte und zur Aktion schritt: Demos, Mahnwachen, Petitionen, Online- und Printkampagnen, Baustellenbesetzungen, die Antonia Melo das mehrmalige gerichtliche Verbot, sich unter keinen Umständen dem Baugelände des Staudamms je wieder nähern zu dürfen, zuteil werden ließ, zerbrochene Freundschaften zu Leuten, denen Geld dann doch wichtiger war, Bespitzelungen durch gekaufte Bekannte, Rufmordkampganen, ja, auch Morddrohungen gegen Antonia Melo gab es.
Antonia Melo hat weiter gekämpft. Reist zu Veranstaltungen und Kongressen, zu Demos und gab Interviews, sei es in Amazonien, in ganz Brasilien, in Nordamerika oder Europa. Dabei behält sie immer die Bodenhaftung, bescheiden stellt sie ihre Rolle und Person immer in den Hintergrund. Zum Jahrestreffen des Runden Tisch Brasiliens in Weimar im Dezember 2010 reiste sie aus über 40 Grad in Amazonien an und mußte im tiefsten Schneegestöber zunächst ohne Winterkleidung auskommen, da die Fluggesellschaft ihr Gepäck verbummelt hatte. Die Sache, der Kampf und Widerstand gegen die zerstörerischen Großprojekte wie Belo Monte und infolge dessen gegen den Goldabbau in der Volta Grande am Xingu-Fluss durch den kanadischen Minenbetreiber Belo Sun, das hat immer Priorität. Antônia Melo ist in ihren Reden oft emotional, zornig, ja wütend angesichts all der Rechtsbrüche und gebrochenen Versprechen, all der miesen Tricks, die die Regierung, die Baufirmen und Norte Energia anwandten. Aber Antônia Melo ist immer bestimmt in der Sache, detalliert und immer korrekt in ihren Ausführungen, ließ sich nie beugen.
Schwer getroffen hat sie der Abriß ihres geliebten Hauses, mit dem kleinen Garten und den selbst gepflanzten Bäumen, dem Buriti und dem Mango-Baum, deren Samen sie aus der Heimat ihrer Mutter, aus dem nordöstlichen Bundesstaat Ceará, besorgt hatte. Erschüttert stand sie da, nachdem die Bulldozer ihr Haus, den Garten und die Bäume plattgemacht hatten. Tragische Ironie der Geschichte: Antônia Melos Haus fiel nicht wie die anderen Häusern den infolge des Staudammbaus künftig vermehrt auftretenden Flutungen der niedriger gelegenen Stadtgebiet von Altamira zum Opfer, nein, Antônia Melos Haus stand dem Bau einer neuen Umgehungsstraße im Wege, die infolge der künftigen Hochwassermarken neu verlegt werden mußte.
Der Kampf gegen den Bau des weltweit drittgrößten Wasserkraftwerks im Herzen des brasilianischen Amazonas, der Kampf gegen Belo Monte ist verloren. Der Damm wurde trotz allen Widerstands gebaut, ein Wald geflutet und die Stromproduktion beginnt. Die Anwohner am Fluss und in der Stadt Altamira, die Kleinbauern und Indigenen stehen nun vor den Scherben zerstörter Umwelt und erodierender Sozialstruktur.
Aber der Widerstand lebt. Denn Antônia Melo und ihre Mitstreiterinnen und -streiter bei Xingu Vivo para Sempre haben aus der niederschmetternden Erfahrung von Belo Monte gelernt und unterstützen anderen Gruppen, denen ähnliches Schicksal droht: So zum Beispiel am Tapajós, am Teles Pires und am Juruena, wo die Flussanwohner, die Fischer, die Kleinbäuerinnen und -bauern gemeinsam mit Munduruku, Kayabi, Apiaká und anderen indigene Völker sich gegen die Pläne von derzeit 43 Großstaudämmen und über 100 sogenannten „kleinen“ Staudämmen (die der brasilianischen Definition zufolge bis zu 30 MW haben dürfen, was in Europa ein Großstaudamm wäre) zur Wehr setzen. Dort will die Regierung zusätzlich zu den Staudämmen, die auch den Wasserlauf regulieren sollen, Wasserstraßen bauen, damit das Soja und die Bodenschätze aus Mato Grosso und dem Süden von Pará leichter an den Weltmarkt Anschluss finden können. Antônia Melo kämpft weiter. Sie ist eine der wenigen, die das volle Vertrauen der Munduruku, Kayabi, Apiaká, der Kleinbauern und Fischer und Flussanwohner genießt. Denn nie hat sie etwas für sich genommen, immer nur anderen gegeben, Empathie und Sympathie, Kraft, Überzeugung und den festen Glauben an die Kraft des Widerstands an der Basis. Antônia Melo ist eine würdige Preisträgerin.