300 Jahre war er nicht mehr im Musconetcong River, einem Zufluss des Delaware, gesehen worden, der amerikanische Maifisch, American Shad oder wissenschaftlich Alosa sapidissima. Galt der American Shad noch zu Zeiten der ersten europäischen Kolonisten als hauptsächliche Proteinquelle der Siedler, so verschwand er vor 300 Jahren. Denn die Kolonisten hatten am Musconetcong an gleich mehreren Stellen kleine Dämme gebaut, die aber hoch genug waren, so dass der American Shad diese Hürde nicht mehr überwinden konnte, wenn er aus dem Nordatlantik zum Laichen die Flüsse an der amerikanischen Ostküste hochzog.
Im Jahr 2016 begann in einem 1,5 Millionen US-Dollar teurem Gemeinschaftsprojekt zwischen Bund, Land und Gemeinde der Rückbau der letzten dort verbliebenen Dämme, darunter ein der Stromgewinnung dienendes Wasserkraftwerk des 1889 dort errichteten Hughesville-Damms, zurückzubauen und den Flusslauf dadurch zu renaturieren, zumindest so war die Hoffnung. Aber niemand war sich so sicher, ob das gelingen würde.
Nun im Mai kam, so Presseberichte, die Überraschung: der amerikanische Maifisch, der American Shad, kam aus dem Nordatlantik zurück, über den Delaware bis in den Musconetcong River. Zumindest auf den bisher fünf Meilen, die von Dämmen und anderen den frei fliessenden Lauf des Fluss verhindernden Barrieren entfernt wurden. Schritt für Schritt planen die Umweltschützer gemeinsam mit den Anglerverbänden und lokalen Behörden, den Flusslauf weiter von Hindernissen zu befreien. Ab 2018 soll der eine Meile weiter flussaufwärts gelegene Warren Glen-Damm zurückgebaut werden. Dieser ist mit 32 Fuß Höhe mehr als doppelt so hoch wie der bereits zurückgebaute Hughesville-Damm. Es gibt noch keine verlässliche Schätzung, was der Rückbau des Warren Glen-Damm kosten werde, aber die Entscheidung ist gefallen: ab jetzt sollen jeden Mai die American Shads wieder in den Musconetcong River kommen – und jedes Mal ein wenig weiter.
In den USA wurden zwischen 1996 und 2005 298 Dämme zurückgebaut. Zwischen 2006 und 2014 waren es 548 Dämme, allein 2014 waren es laut der Organisation American Rivers 72 Staudämme, die abgerissen wurden. Dadurch entstanden über eintausend Kilometer (730 Meilen) frei fließender Flusslandschaften, mit allen Möglichkeiten von freiem Fischzug, Sedimentfracht und ungezügelter Biodiversität. So werden seit Jahren in den USA statistisch mehr Staudämme abgerissen als neue gebaut. Die Nichtregierungsorganisation American Rivers hat dazu eine interaktive Landkarte erstellt, die den Rückbau von Staudämmen in den USA dokumentiert: http://www.americanrivers.org/initiatives/dams/dam-removals-map/
Das bekannteste Beispiel für Rückbau von Staudämmen ist wohl der Elwha River im Bundesstaat Washington. „Im Elwah ist historisch dokumentiert, dass alle fünf verschiedenen Lachsarten hier zu Hause sind“, so Dave Reynolds, Ranger im Olympia Nationalpark, wo der Elwha-Fluss gestaut wurde, im Interview mit Deutschlandfunk. „Der Bau des Dammes 1910, nur fünf Meilen von der Flussmündung entfernt, hat die Wanderlachse vom restlichen Teil des Flusses abgetrennt.“ In den letzten 100 Jahren seien die Lachsbestände von 400.000 auf heute 3.000 zurückgegangen.
Nun aber ist es anders, ganz anders. Er ist der höchste Staudamm, der in den USA wieder abgebaut wurde: der Glines Canyon-Damm im Olympic National Park war einmal 64 Meter hoch, kein Fisch der Welt hätte hier eine Chance. 2011 begann der Rückbau, seit August 2014 staut er den Elwha River nicht mehr – und Forellen, Lachse und andere Fische ziehen wieder unbehindert zu ihren Laichgründen. “Der Lachs ist wieder da,” freute sich auch Dr. Jonathan Warrick im Gespräch mit der New York Times. “Sie tummeln sich hier wieder in Dimensionen, wie die letzten 100 Jahre nicht mehr.“
Und für die Menschen flussabwärts gab der Staudammrückbau ganz neue Perspektiven auf den Fluss frei. Denn hinter den Staumauern des Glines Canyon-Damms hatten sich wissenschaftlichen Berechnungen zufolge in den Jahrzehnten seines Bestehens Millionen Kubikmeter Sedimente angesammelt, die nun begannen, wieder frei mit dem Flusslauf zu treiben. Und im Fluss-Delta bildeten sich wieder Sandbänke und die Uferstrände weiteten sich wieder aus, das ganze Delta wuchs. Neue Habitate für Vögel, Fische und Krebse entstehen. Das Fazit: „When Dams Come Down, Salmon and Sand Can Prosper.“
// Christian Russau