Das Blumenauer Oktoberfest, der Staudamm und das Land der Indigenen Xokleng unter Starkwetterereignissen in Zeiten der Klimakrise. Wen soll man fluten lassen?
Von Christian Russau
Im südlichen Bundesstaat Santa Catarina regnet es wie schon lange nicht mehr. Vor allem das Wassereinzugsgebiet des Rio Itajaí-Açu und Rio Itajaí-Mirim weist seit Tagen enorme Wasserstände aus. Seit dem 4. Oktober regnet es, im Flusstal Itajaí-Açu erreichte die Flutwelle schnell 12 Meter Wasserhöhe, was Medienberichten zufolge an der Oberkante der vorhandenen Deichsysteme liegt. In 54 der 120 von Überschwemmungen betroffenen Gemeinden der Region wurde der Notstand ausgerufen. Da die Wassermassen unter anderem die Stadt Blumenau zu überschwemmen drohten, musste das Blumenauer Oktoberfest für ein paar Tage schliessen, aber um dem entgegen zu wirken, verfügte am 8. Oktober der Gouverneur des Bundesstaates Santa Catarina, Jorginho Mello von der rechten Bolsonaro-Partei PL, die Schließung der Stauwerke José Boiteux und Ituporanga und Barragem Norte, um die Wassermassen dort zurückzuhalten und so zu verhindern, das Brasilien größtes Freiluft- und Bierzeltfestival, eben das blumenauer Oktoberfest, in Gefahr geraten könnte, da die Flüsse über die Ufer zu treten drohen.
Flussaufwärts der wegen der flussabwärts drohenden Flutkatastrophe geschlossenen Stauwerke liegt aber das Gebiet des indigenen Territoriums Ibirama-Laklãnõ Xokleng. Dieses Gebiet ist jüngst weltbekannt geworden. Es handelt sich dabei ausgerechnet um jenes Territoriums, dessen indigene Bewohner:innen der Xokleng erst vor wenigen Wochen einen historischen Sieg auf Anerkennung ihres Territoriums vor dem Obersten Gerichtshof in Brasília erzielt hatten. Die Indigenen werfen der Landesregierung angesichts der Schliessung der Stauwerke vor, ihr Gebiet und die Indigenen dort zu opfern. „Die Regierung priorisiert die Bevölkerung flussabwärts der Staudämme. Hier bei uns steigt das Wasser“, so die Lehrerin Keli Regina Xokleng gegenüber Medien am 9. Oktober.
Die Indigenen warfen dem Gouverneur vor, sich nicht an die Abmachungen zu halten und gingen protestierend auf die Straßen und wurden daraufhin von der Militärpolizei mit Gummigeschossen und letaler Munition beschossen.
Am elften Oktober berichteten Medien, dass durch die Schliessung der Überläufe der Staudämme bereits vier indigene Dörfer der Terra Indígena Laklãnõ Xokleng überflutet waren. Die für die Gewährleistung der Menschenrechte im Bundesstaat zuständige Behörde erklärte, dass die Situation von mindestens rund 3.000 Indigenen alarmierend und diese sich in einem Zustand „schwerster Verletzlichkeit“ befänden und bat die Bundesjustiz in Brasília, umgehend rechtliche Schritte gegen die Landesregerung einzuleiten. Der Gouverneur Jorginho Mello von der rechten PL erklärte daraufhin gegenüber Medien, dass „diese Behauptungen, es fehle an Unterstützung für die Indigenen, falsch“ sei.
Indessen warnte der Zivilschutz Defesa Civil von Itajaí über die Gefahr gradueller Überflutungen und Erdrutscheninfolge des kumulativ ausserordentlichen Regenfalls in den vergangenen Tagen im Tal der Flüsse Itajaí-Açu und Itajaí-Mirim.
In Taió, einer der am stärksten von den Überschwemmungen betroffenen Städte Santa Catarinas, die flussaufwärts der verschlossenen Dämme liegt, hat der Stadtrat die Regierung aufgefordert, die Entscheidung, die Schleusen des Staudamms zu schließen, umgehend zu überprüfen und aufzuheben. Der Bürgermeister von Taió, Alexandre Purnhagen, forderte eine umgehende schrittweise Öffnung der Schleusen des Taió-Damms. „Die Menschen hier sind am Ende ihrer Kräfte. Wir müssen den Damm leeren. Blumenau muss sich nicht die Schuhe trocken halten. Wir stehen im Wasser bis über den Kopf hinaus. Es wird eine Tragödie werden. Die Menschen werden sterben, weil sie gefeiert haben“, sagte der Bürgermeister den Medien – mit dem „Fest feiern“ bezog sich der Bürgermeister auf das Oktoberfest von Blumenau, dessen Durchführung laut dem Willen des Gouverneurs zu schützen sei.
Der Druck in den Medien war dann doch zu hoch, so dass auch der rechte Gouverneur am Mittwochmorgen erklärte, er habe bereits die schrittweise Wiederöffnung der Dämme in Taió angeordnet und damit auf den Appell des Bürgermeisters reagiert. Fünf Schleusen sind geöffnet worden, zwei bleiben geschlossen. Dadurch entspannte sich die Hochwasserlage zumindest vorläufig in den Gebieten oberhalb der Stauwerke, flussabwärts steigen die Pegel und das Oktoberfest musste nun zum zweiten Mal in dieser Saison unterbrochen werden.
Derweil warnt der Indigenenmissionsrat davor, dass zumindest einer der Staudämme seit mindestens zwei Jahren als bruchgefährdet gilt, da die vorgeschriebenen Inspektionen vernachlässigt wurden. Insofern warnte CIMI mit Nachdruck davor, die Staumauer noch weiter zu belasten und die Überläufe zum Schutz der flussabwärts gelegenen Gebiete zu schliessen, was die Wahrscheinlichkeit eines katastrophal größeren Bruchs noch weiter erhöhen würde.