China hat im Dezember den Bau des künftig größten Wasserkraftwerks der Welt bekannt gegeben, was Bedenken in Tibet und flussabwärts in Indien und Bangladesch hervorruft. Bei den Bedenken geht es um mehrere Punkte: unklar ist, ob und ggf. wieviele Menschen für den Bau vor Ort umgesiedelt werden müssten, es wurden keine Angaben gemacht, wie der Staudammbau sich auf das lokale Ökosystem auswirken würde, die chinesischen Behörden trafen hierzu bislang keine Aussagen. Da der geplant aus mehreren Dämmen mit Wasserkraftwerken bestehende Komplex am Yarlung Zangbo-Fluss, dessen Unterlauf nach Indien als Brahmaputra in die Bundesstaaten Arunachal Pradesh und Assam und von dort weiter nach Bangladesh fließt und dort am Unterlauf in Indien und Bangladesh Lebensgrundlage für Millionen von Menschen ist, stehen die Regierungen der beiden Länder dem Projekt Chinas extrem kritisch gegenüber. Beobachter:innen gehen sogar so weit, den geplanten Bau des Dammkomplexes als potentielle Waffe Chinas gegen Indien anzusehen, da es nahe dem Grenzgebiet zu Indien errichtet werden soll, wo China und Indien seit Jahrzehnten Grenzstreitigkeiten ausfechten. China weist diese Vorwürfe von sich und verwiest darauf, dass der Damm am Yarlung Tsangpo dreimal mehr Energie erzeugen könnte als der Drei-Schluchten-Damm, das derzeit größte Wasserkraftwerk der Welt und dass alle Besorgnisse von Anrainern flussabwärts unbegründet seien.
Der Damm am Unterlauf des Yarlung Zangbo-Flusses könnte nach einer Schätzung der Power Construction Corp of China im Jahr 2020 jährlich 300 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugen. Das wäre mehr als das Dreifache der für 88,2 Mrd. kWh ausgelegten Kapazität des Drei-Schluchten-Damms in Zentralchina, des derzeit größten der Welt. Das liegt daran, dass der Yarlung Zangbo-Fluss auf einer vergleichsweise kurzen Strecke von 50 Kilometer ganze 2.000 Meter Höhenunterschiede abfällt und dergestalt ein riesiges Wasserkraftpotenzial bietet. Die Gesamtkosten für den Bau des Staudamms werden auf 137-Milliarden-Dollar geschätzt, was die Kosten für den Bau des Drei-Schluchten-Staudamm in den Schatten stellen würde, der umgerechnet 35 Milliarden Dollar gekostet hatte.
Nur zwei Wochen, nachdem China das Projekt am 25. Dezember angekündigt hatte, ereignete sich in der tibetischen Region ein schweres Erdbeben der Stärke 6,8 auf der Richterskala, bei dem in dem dünn besiedelten Gebiet 126 Menschen getötet und 180 verletzt wurden, berichten Medien. Dem Beben vom 8. Januar folgte zwei Tage später ein weiteres, schweres Nachbeben der Stärke 5,5. Das Epizentrum lag dabei etwa 1.200 km vom Standort des geplanten Staudamms entfernt, doch die Bedenken sind natürlich groß, was den Bau von Staudämmen in erdbebengefährdeten Gebieten betrifft. Besonders brisant: Medien berichteten nach den Erdbeben, dass es laut Angaben der chinesischen Behörden in Tibet bei fünf von 14 Wasserkraftwerken nach dem Erdbeben der Stärke 6,8 Probleme mit denselben ergeben habe, darunter Risse in der Dammstruktur.
Dass der Bau von Staudämmen in Erdbebengefahrenzonen ein gefährliches Unterfangen ist, zeigt unter anderem ein Beispiel aus Nepal. Es war mit 7,9 auf der Richterskala das schlimmste Erdbeben in der jüngeren Geschichte Nepals. Knapp 8.800 Menschen verloren infolge des Erdbeben vom 25. April 2015 und des Folgebebens vom 12. Mai 2015 mit 7,3 auf der Richterskala ihr Leben, mehr als 22.000 wurden verletzt, zehntausende waren obdachlos und mussten in Zelten campieren oder in notdürftig zusammengeflickten Behausungen. Laut Daten der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA hatte sich damals in Nepal aufgrund des Erdbebens eine Landfläche von 120 mal 50 Kilometer um rund einen Meter gehoben. Das Beben traf Nepals Energieversorgung ins Herz. Schäden gab es bei Überlandleitungen ebenso wie bei sehr vielen Staudämmen, die den Großteil der nepalesischen Stromproduktion zur Verfügung stellen. Allein 14 Staudämme meldeten nach dem Erdbeben Medienberichten zufolge Schäden. Nepals Energiebehörde Nepal Electric Authority teilte den Ausfall von rund 150 MW Nominalkapazität mit. Bei einer landesweiten Kapazität von rund 500 Megawatt (93 Prozent Nepals Strom stammt aus Wasserkraft) ist dies ein so beträchtlicher Ausfall, dass Indien kurzfristig 210 MW-Nominalkapazität zur Verfügung stellte, um das Defizit auszugleichen.
Um Staudämme gegen Erdbeben abzusichern, bedarf es guter Ingenieursleistung. Doch genauso stellt sich die Frage, welche Grenzen auch einer noch so guten Ingenieursleistung in einem stark Erdbeben gefährdeten Gebiet gesetzt sind. Zumal es Untersuchungen gibt, die zeigen, dass Erdbeben – auch beträchtlicher Intensität – durch Staudämme überhaupt erst ausgelöst werden: Der Konya-Staudamm in Maharashtra ist mit 1,92 GW einer der größten Staudämme Indiens. Sein Stausee ist mit 891,78 Quadratkilometern fast so groß wie Berlin. Das Füllen des Sees rief wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge ein Erdbeben von der Stärke 6,3 auf der Richterskala hervor. 180 Menschen starben, tausende wurden obdachlos. Am 760 MW-Zipingpu-Damm in China gab es am 12. Mai 2008 ganz in der Nähe des 2004 fertiggestellten Stauwerks ein Erdbeben, das nach den Angaben des United States Geological Survey eine Magnitude von 7,9 erreichte. Auch hier wird von Wissenschaftler:innen vermutet, dass es sich um ein menschlich induziertes Erdbeben durch den Staudammbau handeln könnte.