Ein niederländisches Gericht hat diese Woche entschieden, dass es für den Gerichtsprozess gegen den norwegischen Konzern Norsk Hydro zuständig ist. Die Klagen beziehen sich auf ökologische und soziale Schäden für die Bevölkerung der Region Barcarena in Pará, Brasilien, die die Betroffenen vor allem ab Anfang 2018 erlitten.
Von Christian RussauDie Klage eingereicht hatten die Kanzleien aus Brasilien – Ismael Moraes Advocacia – und den Niederlanden – Lemstra van der Korst – sowie der global tätigen Anwaltsgruppe Pogust Goodhead, als Vertretung der von dem Auslaufen des Alunorte-Rückhaltebecken Betroffenen. Wie die Familien, die das Unternehmen anzeigten, in der Anzeige erklärten, „waren die Opfer giftigen Abfällen aus der Aluminiumverarbeitung ausgesetzt, die gesundheitliche Probleme verursachen können, wie z. B. ein erhöhtes Auftreten von Krebs, Alzheimer, Hautkrankheiten, Magenproblemen und Durchfall“, heißt es in der Beschwerde. Die Betroffenengruppen – zusammengeschlossen in der Vereinigung Caboclos, Indigene und Quilombolas des Amazonas (Cainquiama) haben in Brasilien bereits fünf Klagen gegen Alunorte eingereicht und sogar an einer vom Bundesgerichtshof genehmigten sogenannten TAC-Vereinbarung zwischen der Bundesstaatsanwaltschaft Ministério Público Federal (MPF) und dem Unternehmen teilgenommen. TAC steht für „Termo de Ajuste de Conduta“ – kurz TAC-Vertrag genannt – eine Art angepasste Durchführungsbestimmung für den Produktionsablauf des Werks. Nach Ansicht der Betroffenen war der TAC jedoch nicht ausreichend, und die Familien wurden noch immer nicht angemessen entschädigt, ebenso wenig wie die Behebung der Umweltschäden. So kam es dazu, dass die Betroffenen sich entschlossen, die Mutterfirma zu verklagen, und zwar in den Niederlanden. „Die fünf öffentlichen und kollektiven Zivilklagen, die in Brasilien eingereicht wurden, bilden die Grundlage für die in den Niederlanden eingereichte Klage, die eingereicht wurde, nachdem das vom brasilianischen Bundesgerichtshof ratifizierte Abkommen nicht alle von der betroffenen Bevölkerung geforderten Punkte berücksichtigt hatte. Andererseits erlauben Artikel 24 des brasilianischen Zivilgesetzbuches und die völkerrechtlichen Vorschriften der Europäischen Union, dass derselbe Sachverhalt im Herkunftsland und vor einem europäischen Gericht verhandelt wird“, erklärten die zuständigen Anwält:innen laut dem Pressebericht bei liberalamazon.
Mit der Klage in den Niederlanden wird eine Entschädigung für etwa 11.000 Familien gefordert, die von der Produktion der von NorskHydro in diesem Bundesstaat betriebenen Aluminiumswerks Alunorte betroffen sind. Nachdem nun das Gericht über die Zuständigkeitsprüfung im Sinne der klagenden Betroffenengruppen positiv entshcieden hat, wird nun das Bezirksgericht Rotterdam in den Niederlanden über den Sachverhalt der Klage in einem Gerichtsprozess entscheiden. Dies berichtet die Website liberalamazon.
Zu den Gemeinschaften, die von der Tätigkeit des Unternehmens betroffen sind, gehören traditionelle Bevölkerungsgruppen des Amazonasgebiets, wie Flussbewohner, indigene Völker und Quilombolas. Einer der Anwälte, Ismael Moraes, der die Vereinigung der Caboclos, Indigenen und Quilombolas des Amazonas (Cainquiama) vertritt, feierte die Entscheidung des Gerichts, den Prozess fortzusetzen. Er ist der Meinung, dass „die Entscheidung des niederländischen Gerichts, die Klage von Cainquiama anzunehmen, die Hoffnung auf eine unparteiische und faire Entscheidung ohne Einmischung des brasilianischen Staates und auf eine würdige Wiedergutmachung für diese Gemeinschaften weckt.
Rückblick, Januar 2018: Aus der weltgrößten Aluminiumschmelze Alunorte in Barcarena, im brasilianischen Bundesstaat Pará, traten im Januar 2018 große Mengen an rotgefärbten Abwässern aus, diese erreichten einen kleinen Bach und verbreiteten sich von dort in den umliegenden Dörfern aus. Die Anwohner:innen brachen in Panik aus, fürchteten, dass es sich dabei um giftige Abwässer des Rotschlammbeckens aus der Aluminiumproduktion handeln könnte. Die verantwortliche Firma – Alunorte, die dem norwegischen Konzern NorskHydro gehört – verwies zunächst auf den Starkregen der letzten Tage, erklärte die rote Färbung mit dem dort natürlich vorkommenden rotgefärbten Erdboden und versicherte, die Aluminiumschmelze sei sicher und erfülle voll und ganz alle Umweltvorgaben. Dann fanden die Anwohner:innen tote Fische in den Flüssen, den Anwohner:innen starben ihre Hühner, und die Kinder, die in Kontakt mit dem Wasser geraten waren, bekamen Hautausschlag. Alles ganz ungefährlich? Leider nein.
Eine Vorort-Inspektion eines unabhängigen Forschungsinstituts brachte dann den Skandal in seiner ganzen Dimension zutage: In dem rotgefärbten Wasser fand sich Blei in hohen Konzentrationen, auch bei Natrium, Nitrat und Aluminium lagen die gemessenen Werte über den Grenzwerten, bei Aluminium lag der Wert 25 Mal höher, als es die gesetzlichen Grenzwerte erlauben. Das rotgefärbte Wasser wies den Untersuchungen zufolge auch deutlich erhöhte ph-Werte auf. Und: Vom dem Klärbecken des Rotschlamm-Tailings gab es eine Überlaufröhre, durch die die Klärschlämme ungeklärt in die Umgebung entwichen. Alles mit Absicht, um sich billig per illegaler Verklappung aufwändiger Aufbereitung- und Lagerungskosten zu entledigen, wie das Forschungsinstitut Evandro Chagas (IEC) mutmaßte? Oder hatte jemand in der Firma einfach vergessen, dass es dort diese Röhre gab?
Erst nach der Veröffentlichung der Studienergebnisse durch das Forschungsinstitut IEC gestanden die Verantwortlichen der Alunorte ein, dass es eine laut eigenen Angaben ihnen nicht bekannte Röhre gibt. Die Firma sagte zu, den Vorfall aufzuklären und die Röhre umgehend zu verschließen. Doch da waren schon Unmengen an giftigen Stoffen aus den riesigen Klärschlamm-Tailings der Alunorte in die Umgebung entwichen und hat Mensch und Umwelt verseucht.