Von Christian Russau
Im nordbrasilianischen Bundesstaat Roraima wird seit dem Jahr 2007 der Bau eines Staudamms am größten Fluss des Bundesstaates, Rio Branco, geplant. das 650-MW-Wasserkraftwerk Bem Querer. Dieses würde samt Staureservoir einen 130 Kilometer langen und 519 Quadratkilometer großen See im Rio Branco bilden. Zum Vergleich: der Stausee von Belo Monte am Xingu-Fluss umfasst 516 Quadratkilometer, bei einer propagierten Höchstnominalkapazität von 11 GW, die jedoch im Jahresdurchschnitt deutlich unterboten werden.
Die Energie würde nicht nur für Roraima, sondern auch für die Landeshauptstadt des Bundesstaates Amazonas, Manaus, sein; denn dort musste unlängst zur Stabilisierung der Stromversorgung ein 700-MW-Gaskraftwerk in Betrieb gesetzt werden. Doch nun hat das Netzwerk Fórum de Energias Renováveis de Roraima eine umfassende Studie vorgelegt, die belegen soll, dass der geplante Staudamm Bem Querer am Rio Branco in Roraima „eines der ineffektivsten“ Wasserkraftwerke überhaupt wäre.
Die Umweltaktivist*innen und Wissenschaftler*innen, die sich 2019 zu dem Netzwerk zusammenschlossen, veröffentlichten ihre jüngste Studie als E-Book. Das Netzwerk sieht enorme Risiken und Unwägbarkeiten des Projekts, wie z. B. die Risiken im Zusammenhang mit dem Ausmaß des Hochwassers und dem Anstieg des Grundwasserspiegels. So weisen die Autor*innen der Studie des Netzwerks Netzwerk Fórum de Energias Renováveis de Roraima darauf hin, dass durch den Bau des Stauwerks Bem Querer weite Gebiete überschwemmt werden würden, darunter Wälder, städtische und ländliche Gebiete, landwirtschaftliche Betriebe und indigene Gebiete. Der Bau des Staudamms samt Stausee würde einen Anstieg des Grundwasserspiegels vor Ort bewirken und damit die Gefahr damit einhergehender Zunahme der Überschwemmungen, insbesondere in der Landeshauptstadt Boa Vista, erhöhen.
Die Analyse der Umweltaktivist*innen geht zudem davon aus, dass es zu wirtschaftlichen Verlusten im Überschwemmungsgebiet mit Auswirkungen auf Landwirtschaft, Straßen, Tourismus, Fischerei, Freizeit kommen werde. Als schwerwiegend wird auch die Gefahr der Zerstörung der Stromschnellen im Fluss angesehen sowie die Bedrohung für die rund 130 Kilometern Stränden und Sandflächen am Fluss angesehen. Dabei bedeute der Staudamm Bem Querer – so die Umweltaktivist*innen – ein hohes hydrologisches Risiko, da in den zunehmenden Trockenphasen somit nur geringe bis hin zu gar keiner Energieerzeugung während der Trockenzeit drohe. Hinzu kämen die hohen Methangasemissionen aus dem Stausee der Anlage. Und nicht nur werde der Transport auf dem Rio Branco für die lokale Bevölkerung, die den Fluss als Lebensader nutzt, unterbrochen für Boote, sondern auch die Fischpopulationen gerieten durch den Bau in Gefahr, da ihnen die Flusswanderung zu ihren Laichgründen abgeschnitten werde.
Für die lokale Bevölkerung, die oft vom Fischfang lebt, hätte dies erhebliche sozioökonomische Auswirkungen wie eine Verschlechterung der Gesundheitssituation, der Sicherheitsfrage, der Bildung, Lebenshaltungskosten und anderen Indikatoren, so die Studienautor*innen. Hinzu komme, dass Staudämme Sedimente zurückhalten, deren Verbringung flussabwärts normalerweise für Nährstoffeintrag flussabwärts sorgt. Ein weiteres Problem der Rückhaltung von Sedimenten im Stausee bewirkt, so die Erfahrungen vieler anderer Staudämme wie Santo Antonio, Jirau und anderen, dass die Sedimentablagerung vor dem Stauwerk die Energieausbeute der Leistung des Staudamms reduziert, was teure Ausbaggerungsarbeiten erfordert. Um das zu verhindern, setzen Staudammbefürworter*innen oft auf die perfide Taktik, den Bau weiterer Staudämme stromaufwärts zu propagieren, denn dann blieben die Sedimente dort hängen und müssten nicht teuer bei der eigenen Anlage abgebaggert werden. Günstig ist es dann, wenn diese flussaufwärts errichteten Staudämme andere Eigner haben, die sich dann mit dem Problem herumschlagen müssen. In der Endsumme folgen meist weitere Staudammbauten, sobald der erste in einem Fluss errichtet wurde. keine schönen Aussichten für Natur und Mensch vor Ort.