Eine neue Studie von Wissenschaftler*innen der University of Stirling, Großbritannien, weist explitit auf die Gefahren hin, die Großstaudämme in tiefgelegenen tropischen Regenwälder für Ökosysteme und die Biodiversität darstellen. Anhand des brasilianischen Staudamms Balbina in Amazonien legten die Forscher*innen dar, wie durch das großflächige Staureservoir die höher gelegenen Gebiete zu kleinen Inseln im Stausee werden und die dort verbliebene ursprüngliche Vegetation durch die Isolationslage weniger widerstandsfähig wird und es zu vermehrten Aussterben einzelner Baumarten kommt. Dies hänge zum einen mit dem geringeren Genpool der endemischen Baumarten zusammen, zum anderen führen längere Trockenzeiten bei deutlich niedrigerem Wasserstand zum Ausbreiten von Großfeuerereignissen, das dann die ohnehin schon anfälligeren Bauminseln unter Stress setzt und reduziert. Hinzu kämen bei Staureservorirs wie Balbina die bereits bekannte Gefahr der massenhaften Freisetzung von Methan durch im Wasser sich zersetzende Biomasse, die nicht zuvor angemessen gerodet und entfernt wurde.
Die Untersuchung der Wissenschaftler*innen der University of Stirling wurde an 89 permanenten Waldvermessungsflächen auf 36 Inseln im Balbina-Stausee sowie an drei benachbarten zusammenhängenden Waldgebieten auf dem Festland durchgeführt. Im Jahr 2012 wurden die großen Baumarten vor Ort untersucht, im Jahr 2014 die Auswirkungen auf junge Baumsprößlinge. Die für die Untersuchung mitverantwortliche Dr. Isabel Jones erklärte: „Unsere Forschung ergab, dass die Inseln im Balbina Hydroelectric Reservoir im Vergleich zum herkömmlichen Wald auf dem angrenzenden Festland wesentlich geringere Dichten von ausgewachsenen Bäumen und jungen Baumsprößlingen aufweisen.“ Mit anderen Worten, auf diesen Inseln geht Baum-Biomasse verloren. Dies ist wichtig, um zu die CO2-Emissionen zu errechnen, die mit dem Verlust und der Degradierung tropischer Wälder verbunden sind. „Außerdem unterschied sich die Artenzusammensetzung der Setzlinge signifikant von denen der erwachsenen verbliebenen Bäume auf den Inseln, was darauf hindeutet, dass zukünftige Baumgemeinschaften auf Inseln sich sehr von denjenigen unterscheiden werden, die ursprünglich vorhanden waren, als der Wald durchgehend war.“
Dr. Jones erklärte des Weiteren: „Wir haben auch gezeigt, dass die Gesamtzusammensetzung der Baumgemeinschaften auf Inseln anders ist als im zusammenhängenden Wald auf dem Festland. Dies bedeutet, dass sich die Inselbaumgemeinschaften aufgrund der Isolierung innerhalb des Reservoirs verändern.“ Dieser Verlust von Baumarten und Biomasse innerhalb dieser verbleibenden Baumgemeinschaften werde aber in Umweltverträglichkeitsprüfungen weitestgehend ignoriert. Die neue Studie wolle nun zeigen, dass die Zerstörung von Restbaumgemeinschaften auf Inseln eine zusätzliche Auswirkung von Staudämmen darstellt und bei der Planung und Genehmigung zukünftiger Staudammkonstruktionen explizit berücksichtigt werden muss, so Dr. Jones.
Diese Erkenntnisse decken sich mit einer vergleichbaren Studie eines Teams von Wissenschaftlern anhand der Langzeituntersuchung eines Staudamms in Thailand (GegenStrömung berichtete), der vor 31 Jahren gebaut worden war und dessen Auswirkungen auf die einheimischen Vogelarten unter die Lupe genommen wurde. Das Ergebnis: Die Studie belegte die Gefährdung einheimischer Vogelarten durch den Staudammbau in Regenwaldgebieten. Das Portal phys.org bezieht sich auf das Studienabstract in der Fachzeitschrift Global Ecology and Conservation, in dem die Autor*innen darlegten, wie in der Umgebung des in Thailand gelegenen Staudammreservoirs Chiew Larn Reservoir, das selbst eine Größe von 165 Quadratkilometern hat, sich ein 61 Quadratkilometer großes mittlerweile trockenes, größtenteils niedergebranntes oder gerodetes Regenwaldgebiet gebildet hat – meist durch Straßenbau und infolgedessen weitere Landnutzungsänderungen durch Siedlungen und Landwirtschaft. Das zuvor an Biodiversität reiche Regenwaldgebiet habe der Untersuchung der Wissenschaftler*innen zufolge einen enormen Verlust der Artenvielfat hinnehmen müssen. Die Untersuchung fokussierte auf die im Gebiet lebenden Vögel.
Mehr als die Hälfte der Vögel, die das Forschungsteam untersucht habe, bestehe nach dem Staudammbau aus nur einer Handvoll und eher störungsresistenterer Arten. Zu diesen Vögeln gehören der Gelbbrusttimalie und der dunkelhalsige Strichelschneidervogel sowie bambusliebende Arten wie der Bambuslaubsänger, der indo-chinesische Blaufliegenschnäpper, der Rotscheitel-Bambusspecht und der Weißbrauenpiculet. Die vom lokalen Regenwald jedoch stark abhängigen Vögel nahmen hingegen deutlich ab, vor allem die Dschungelbälger. Einige Arten verschwanden vollständig, darunter der Rallenflöter, der Malayische Spiegelpfau, der Gelbscheitelbülbül, der mit weltweit nur noch 250 bis 500 lebenden Exemplaren zu den seltensten Storchenarten der Welt zählende Höckerstorch sowie die weltweit größte unter den bekannten Spechtarten, der Puderspecht. Die meisten dieser Arten sind vom Aussterben bedroht.
Somit zeigten sich beim Staureservoir Chiew Larn auch die erschreckenden Auswirkungen von Staudammbauten auf die Biodiversität in tropischen regenwaldgebieten. Bereits 2013 hatte eine Langzeitstudie von Wissenschaftler*innen anhand desselben Stausees aufgezeigt, welche unwiederbringbaren Folgen der Staudammbau für die Biodiversität zeitigte: Denn durch das Fluten des Reservoirs wurden mehr als 100 kleine Inseln gebildet. Auf 16 dieser Inseln haben die Wissenschaftler*innen eine mehrjährige Studie, 25 Jahre nach Staudammbau, durchgeführt und festgestellt, dass der Großteil der dort vorher lebenden Säugetiere vor Ort ausgestorben waren, da die Inseln zu klein für deren Überleben als Population waren. Luke Gibson von der National University of Singapore, der die Studie leitete, sagte: „Es war wie ein ökologisches Armageddon. Niemand hätte gedacht, dass wir solch katastrophales lokales Aussterben sehen würden.“