Foto: Symbolbild frei fließende Flüsse. Foto: Verena Glass
Im November 2016 unterzeichneten Brasilien und Bolivien im Rahmen eines Abkommens zwischen den teilstaatlichen Unternehmen Eletrobras, ENDE und CAF ein Abkommen über die erste Phase des binationalen Wasserkraftprojekts im Rio Madeira an der Grenze von Bolivien und Brasilien. Dort soll der rechte Amazonas-Zufluss mit seinen Weißwassermengen künftig neben den bereits bestehenden großen Wasserkraftwerke Jirau und Santo Antônio noch ein weiteres Wasserkraftwerk, Ribeirão genannt, bekommen, das aus insgesamt zwei Staumauern bestehen soll und dergestalt nicht nur zur Stromgewinnung in Höhe einer Nominalkapazität von 3,7 GW, sondern auch zur Wasserpegelangleichung und mittels an den dann insgesamt vier Staumauern am Rio Madeira (bei Jirau, Santo Antônio je eine, bei Ribeirão zwei) einzubauenden Schleusen den Rio Madeira von Porto Velho aufwärts endlich schiffbar zu machen – ein alter Traum der Sojaexporteure aus dem neuen Boomgebiet AMACRO (die Abkürzung steht für die jeweiligen Anfangsbuchstaben der Bundesstaaten Amazonas, Acre und Rondônia). Doch traditionelle Gemeinschaften befürchten, mal wieder übergangen zu werden und protestieren. Dies berichten die Journalist:innen von OECO.org.br.
Von Christian Russau
Es war die international agierende Consulting Worley Parsons, die die Umweltverträglichkeitsprüfung durchführte sowie die Auswahl des besten Standortes für den am Rio Madeira zu errichtenden Staudamm Ribeirão festlegte. Worley Parsons ist Aktivist:innen, die sich um Biodiversität und Menschenrechte beim Bau von Großstaudämmen sorgen, keine Unbekannte, war Worley Parsons doch in der Vergangenheit an der Planung von zwei der heftigst umkämpften Staudammprojekte, Belo Monte und São Luiz do Tapajós, beteiligt. Worley Parsons begutachtete also und schlug als Ort für den besten Standort für das Kraftwerk im Hinblick auf die Realisierungskosten, den energetischen Nutzen sowie die positiven und negativen sozio-ökologischen Auswirkungen den Zusammenfluss von Rio Ribeirão (daher der Name für das Wasserkraftwerk) und Rio Madeira bei Nova Mamoré im brasilianischen Bundesstaat Rondônia und Nueva Esperanza in Bolivien errichtet werden. Ribeirão hätte eine Kapazität von 3.772 MW – mehr als die Wasserkraftwerke Jirau und Santo Antônio.
Der zweite Staudamm soll am Zusammenfluss von Rio Yata und Rio Mamoré in Guajará-Mirim in Rondônia und Guayaramerín in Bolivien errichtet werden, um großen Schiffen die Fahrt vom oberen Rio Madeira nach Porto Velho zu ermöglichen. Dazu müsste das Flussbett ausgehoben werden, um Kanäle in den Abschnitten von Guajará-Mirim und im Bezirk Araras in Nova Mamoré zu bilden, und es müssten Schleusen an den Staudämmen von Ribeirão und Yata errichtet werden. Außerdem werden Schleusen an den Kraftwerken Jirau und Santo Antônio benötigt. Die Madeira-Wasserstraße ist derzeit 1.060 Kilometer lang und führt von Porto Velho nach Itacoatiara am Amazonas, durch die fast ein Zehntel des brasilianischen Binnenschiffsverkehrs fließt. Und der Hauptteil der Ladung: Soja, Soja, Soja.
Es wird mit einer Überflutungsfläche von 319 Quadratkilometern gerechnet (176 Quadratkilometer in Bolivien und 143 Quadratkilometer in Brasilien), von der schätzungsweise 4.000 Menschen betroffen sein werden, berichtet Oeko.org.br. Überflutet würden Gebiete in den Naturschutzgebieten Rio Ouro Preto und Rio Pacaás Novos in Rondônia sowie in den Schutzgebieten Arroyo Las Arenas, Lago San José und Reserva Silvestre Flüsse Tahuamanu und Orthon in Bolivien. Ebenfalls betroffen wären der Bahnhof von Iata, eine historische Stätte in Guajará-Mirim, und das Ramsar-Gebiet Rio Yata in Guayaramerín, eine Region im Mamoré-Becken, in der 24 bedrohte Wirbeltierarten, wie der Riesenotter, leben, so OEKO.
João Dutra, Mitglied des Nationalen Menschenrechtsrates der Bewegung der von Staudämmen Betroffenen MAB, wird von OEKO.org.br zitiert, dass die Studien „einseitig“ durchgeführt wurden. „Guajará-Mirim galt einst als die grünste Gemeinde Brasiliens. Ein großer Teil davon ist Wald und traditionelles Gemeindeland“, sagt Dutra, „sie präsentieren das Projekt in einer sehr schönfärnbenden Art und Weise, ohne das Ausmaß der Probleme aufzuzeigen, die es für den Bauherrn mit sich bringen könnte.“ Damit das binationale Wasserkraftwerksprojekt auf Madeira in Angriff genommen werden kann, müssen die Bestandsstudien von beiden Ländern genehmigt werden. Wenn dies der Fall ist, müssen Brasilien und Bolivien neue Abkommen unterzeichnen, um die nächste Phase durchzuführen, die eingehende technische, sozio-ökologische und wirtschaftliche Studien umfasst und schätzungsweise sechs Jahre dauern wird.
Doch es gibt Gegenwind. Auf einer öffentlichen Veranstaltung, organisiert von Eletrobras, der bolivianischen Empresa Nacional de Electricidad (ENDE) und der lateinamerikanischen Entwicklungsbank Banco de Desenvolvimento da América Latina CAF, die am 8. August 2023 in Guajará-Mirim in Rondônia stattfand, wurden die sogenannten Umweltfolgenstudien vorgetragen, als 40 Protestierende von traditionellen Gemeinschaften lautstark ihrem Ärger und Besorgnisse über das binationale Projekt zum Ausdruck brachten: “Não à hidrelétrica Ribeirão! Águas para a vida, não para a morte!” – Nein zum Wasserkraftwerk Ribeirão! Wasser für das Leben, nicht für den Tod!“. Dies berichtet OEKO ebenfalls in ihrer unlängst erschienenen Reportage. Die von Ribeirão in Zukunft betroffenen traditionellen Gemeinschaften fürchten die Umweltauswirkungen des Projekts auf Indigene, Sammler:innen, Fischer:innen und kritisieren, dass es bislang keine Partizipation der Betroffenen an dem Projekt gegeben hätte. OEKO berichtet über die anschließende Reaktion der Organisator:innen der Veranstaltung in Guajará-Mirim: Der Event wurde vorzeitig abgebrochen. Laut OEKO nahmen an dem Protest unter anderem Mitglieder der Indigenenvereinigung Associação Indígena Oro Wari, Fischer:innen der Colônia de Pescadores Z2 de Guajará-Mirim, Gummizapfer:innen der Organização dos Seringueiros de Rondônia (OSR) sowie Aktivist:innen des Comitê de Defesa da Vida na Bacia do Rio Madeira (Comvida) ebenso wie Vertreter:innen des Indigenenmissionrates CIMI und der Bewegung der Staudammbetroffenen MAB teil.
Gerônima Costa, Vorsitzende der Fischergemeinschaft Colônia Z2, erklärte gegenüber OEKO die Ursache für den Unmut der Protestierenden: „Der Typ sagte, die Studien seien schon gemacht. Wir müssetn dazu gar nicht mehr sagen. Man braucht uns nicht für die Abstimmung darüber. Die Techniker haben ihre Arbeit schon gemacht. Aber was ist das für eine Arbeit, die nicht die Gemeinschaft anhört?“
// Christian Russau