(Berlin, 14.1.2010) Mit Mahnwachen in vier Städten fordern Umweltaktivisten heute die türkische Regierung auf, Staudammbauten am Tigris und am Munzurfluss zu stoppen. Sie reagieren damit auf Ankündigungen der türkischen Seite, den Ilisu-Staudamm am Tigris trotz des Rückzugs der deutschen, österreichischen und Schweizer Regierungen weiter bauen zu wollen, und auch am Munzur-Fluss zahlreiche Dämme zu planen.
Mit insgesamt 2.000 Staudämmen will die türkische Regierung die Wasserkraft im Lande nutzen. Doch damit stößt sie auf breiten Protest in der Bevölkerung.
„Wir brauchen eine andere Wasserpolitik“, fordert Ercan Ayboga von der Initiative zur Rettung von Hasankeyf. „Bis heute haben Talsperren in der Türkei zur Verarmung Tausender von Menschen, der Zerstörung zahlreicher Ökosysteme und Hunderter archäologischer Stätten geführt. Deshalb muss ein breiter gesellschaftlicher Diskussionsprozess über eine soziale und umweltverträgliche Nutzung der Wasserressourcen beginnen.“ Mit dieser Forderung fand erst vor zwei Tagen in Istanbul eine gemeinsame Pressekonferenz von 13 talsperrenkritischen Bewegungen statt.
Unterdessen wurde den Menschen im Gebiet des Ilisu-Projekts angekündigt, dass sie im Sommer ihre Dörfer verlassen sollen, ohne dass ihnen ausreichende Entschädigungen gezahlt wurden oder neue Einkommensmöglichkeiten angeboten wurden. Auch die Menschen außerhalb der antiken Stadt Hasankeyf müssen laut Medienberichten ihr Land fast entschädigungslos abtreten. Ein Gerichtsurteil halbierte die angebotenen Entschädigungssummen sogar noch einmal auf umgerechnet 43 cent pro Quadratmeter, womit man nicht einmal eine kleine Stadtwohnung, geschweige denn Unterkunft für eine Großfamilie erhält.
„Nicht umsonst hat die Weltbank Standards entwickelt, die die Entschädigung und Umsiedlung Projektbetroffener regeln. Damit versucht sie, Verelendung und sozialen Spannung vorzubeugen“, betont Heike Drillisch vom Berliner Aktionskreis Ilisu-Hasankeyf. „Wir haben es außerordentlich begrüßt, dass die Bundesregierung aus dem Ilisu-Projekt ausgestiegen ist, als offensichtlich wurde, dass das Vorhaben internationalen Standards nicht entspricht. Wir setzen darauf, dass auch andere mögliche Finanziers wie chinesische Exportkreditagenturen und türkische Banken diese Standards nicht unterlaufen werden und die türkische Regierung jetzt umdenkt. Das Land verfügt über ein riesiges Potenzial für alternative Energie- und Einkommensquellen, die weniger schädlich für die Umwelt, die Menschen und Kulturgüter sind.“
Zusätzliche Sorge macht den Umweltschützern die geplante Aufstauung des Munzur-Flusses in der Provinz Dersim/Tunceli. 19 Talsperren sollen dort gebaut werden, obwohl das Tal und die umliegenden Gebirgshänge unter Naturschutz stehen und die Wasserkraftanlagen nicht einmal ein Prozent des türkischen Energiebedarfs decken würden. „Die türkische Regierung muss die Dammbauten stoppen und ihre eigenen Naturschutzbestimmungen einhalten“, fordert Hidir Ates von der Dersim-Gesellschaft für Wiederaufbau. „Das Munzur-Gebiet ist ökologisch äußerst wertvoll – allein 43 Pflanzen- und Tierarten kommen nur dort vor. Europäische Unternehmen und Banken dürfen sich keinesfalls an den Dämmen im Munzur-Tal beteiligen. Ihnen droht sonst ein ebenso großes Reputationsrisiko wie den Banken, die den Ilisu-Staudamm finanzieren wollten.“
Kontakt:
Ercan Ayboga, +49-163-757 7847, e.ayboga@gmx.net
Hidir Ates, +49-173-157 4185, ateshidir@hotmail.de
Heike Drillisch, +49-177-345 2611,heike.drillisch@gegenstroemung.org
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