In Tadschikistan hat die Regierung große Träume. Um einen der höchsten Staudämme der Welt zu bauen, bringt Tadschikistan alte Feinde zusammen und erhält Unterstützung von namhaften Geldgebern. Doch für Zehntausende von Menschen ist dies alles andere als ein Traum: Der Rogun-Staudamm – mit seinen katastrophalen ökologischen und sozialen Risiken – wird sich vielmehr in ihren schlimmsten Albtraum verwandeln.
Durch den Bau des Rogun-Staudamms am Fluss Vakhsh werden voraussichtlich mindestens 40.000 Menschen vertrieben. Wertvolle Ökosysteme, darunter das UNESCO-Weltnaturerbe „Tugay-Wälder des Tigrovaya Balka Naturreservats„, drohen stark beeinträchtigt zu werden. Und da der Abfluss zum Aralsee stark reduziert wird, wird dies auch Auswirkungen auf die flussabwärts gelegenen Nachbarländer (Afghanistan, Turkmenistan und Usbekistan) haben.
Doch trotz dieser besorgniserregenden Auswirkungen besteht die Gefahr, dass die Bedenken der betroffenen Gemeinden ungehört bleiben. Laut CIVICUS ist der Raum für die Zivilgesellschaft in Tadschikistan „geschlossen“: Da Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalist*innen regelmäßig inhaftiert und angegriffen werden, leben viele Menschen in einem Klima der Angst und würden es nicht wagen, ihre Bedenken vorzubringen und sich offen gegen ein Projekt zu stellen.
In einem derart restriktiven Kontext können keine echten Konsultationen zum Rogun-Staudamm stattfinden: Für Entwicklungsbanken, die in das Projekt investieren, ist es praktisch unmöglich, ihren Verpflichtungen zur Beteiligung der Öffentlichkeit nachzukommen. Dennoch springen immer mehr Geldgeber auf den fahrenden Zug auf und finanzieren diesen zerstörerischen Staudamm.
Das Rogun-Wasserkraftwerk wurde erstmals in den 1970er Jahren geplant und 2006 neu aufgelegt. Nach seiner Fertigstellung soll Rogun mit einer Höhe von 335 Metern und einem Speichervolumen von 13 Kubikkilometern das größte Bauwerk dieser Art in der Welt sein. Die Arbeiten haben bereits begonnen, aber weniger als 25 % aller Bauarbeiten sind bereits abgeschlossen.
Tadschikistan hat bereits 3,3 Mrd. USD für das Projekt ausgegeben, aber es fehlen noch mindestens 6,1 Mrd. USD, um den Bau des Staudamms abzuschließen. In den letzten zehn Jahren sind die voraussichtlichen Kosten für die Fertigstellung des Rogun-Damms jährlich um 15 % gestiegen.
Trotz der Bedenken im Zusammenhang mit dem Projekt und der steigenden Kosten zieht Rogun nach wie vor Investitionen aus der ganzen Welt (einschließlich Europa, China und Iran) an, da Tadschikistan am Schnittpunkt wichtiger geopolitischer Interessen liegt. Tadschikistan grenzt an Afghanistan und China und lag in den vergangenen Jahrzehnten hauptsächlich in der russischen Interessensphäre. In letzter Zeit versucht jedoch auch Europa, seinen Einfluss hier auszuweiten, um die Abhängigkeit der zentralasiatischen Länder von Russland zu verringern und Chinas „Belt and Road Initiative“ entgegenzuwirken.
Einige der großen internationalen Finanzinstitutionen – Weltbank (WB), Europäische Investitionsbank (EIB), Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), Islamische Entwicklungsbank (IDB), Eurasische Entwicklungsbank (EDB), Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) – beteiligen sich an dem von der Weltbank initiierten „Rogun sustainable finance“-Programm. Andere Entwicklungsbanken (z. B. die Asiatische Entwicklungsbank, ADB) finanzieren damit verbundene Projekte, wie z. B. Übertragungsleitungen oder Straßen.
Die meisten dieser Banken verpflichten sich zur Einhaltung von Mindeststandards, um soziale und ökologische Risiken zu begrenzen. Doch um Rogun voranzutreiben, ignorieren sie ihre eigenen Richtlinien und setzen sich über die Bedenken hinweg, die internationale und regionale Organisationen seit Jahren vorbringen.
So reichte die Ökologische Bewegung Usbekistans 2010 eine formelle Beschwerde beim Inspektionsausschuss der Weltbank ein. In ihren Schlussfolgerungen stellte die Weltbank fest, dass es mit gewissen Anpassungen zwar möglich wäre, den Damm sicher zu bauen und zu betreiben – dass er aber für Tadschikistan sehr teuer wäre, die Fähigkeit des Staates, die Armen zu unterstützen, beeinträchtigen würde, erhebliche Umsiedlungen zur Folge hätte und Auswirkungen auf die Wasserströme haben könnte. Es wurden jedoch keine weiteren Maßnahmen ergriffen, um diese Bedenken auszuräumen.
In den letzten Monaten haben internationale und zivilgesellschaftliche Organisationen mehrere Schreiben an die internationalen Finanzinstitutionen gerichtet und sie aufgefordert, sich aus diesem höchst umstrittenen Projekt zurückzuziehen.
Sie haben insbesondere die folgenden Bedenken geäußert:
1. Soziale Auswirkungen
Bisher wurden über 7000 Menschen vertrieben, und es wird geschätzt, dass nach Abschluss des Projekts weitere 38 000 Menschen umgesiedelt werden müssen. In einem Bericht aus dem Jahr 2014 hat Human Rights Watch bereits auf einige der negativen Auswirkungen für die vertriebenen Gemeinschaften hingewiesen, darunter der fehlende Zugang zu Land für Ackerbau und Viehzucht, der eingeschränkte Zugang zu und die geringere Vielfalt an Nahrungsmitteln, der Verlust von Einkommensmöglichkeiten, der unzuverlässige und unzureichende Zugang zu grundlegender Daseinsvorsorge und das Fehlen einer fairen oder angemessenen Entschädigung.
2. Auswirkungen auf den Staatshaushalt
Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) steht Tadschikistan bereits unter enormem fiskalischem Druck. Die Finanzierung von Rogun wird die Verschuldung weit über ein erträgliches Maß hinaus ansteigen lassen und die Haushaltsprobleme verschärfen, insbesondere angesichts der steigenden Projektkosten und Verzögerungen. Der Bau dieses Megastaudamms wird die Regierung auch dazu zwingen, die Ausgaben für wichtige Dienstleistungen wie Gesundheit, Bildung, Sozialfürsorge und andere Infrastrukturen zu kürzen.
3. Auswirkungen auf die Umwelt und die biologische Vielfalt
Der Bau eines Staudamms am Vakhsh-Fluss würde die damit verbundenen Flüsse und Wassereinzugsgebiete beeinträchtigen, was enorme Auswirkungen auf die Ökosysteme und die Landwirtschaft hätte. So erhält beispielsweise der Amu Darya, ein wichtiger Fluss in Zentralasien, 40 Prozent seines Wassers aus dem Vakhsh. Der Staudamm könnte auch zerstörerische Umweltauswirkungen auf die „Tugay-Wälder des Tigrovaya Balka“ haben, eine Welterbestätte im Überschwemmungsgebiet des Vakhsh-Flusses, und den Lebensraum vom Aussterben bedrohter Arten, wie z.B. der endemischen Störe, beeinträchtigen.
4. Das Projekt ist nicht klimafreundlich
Nach EU-Standards erfüllt das Rogun-Projekt mit erwarteten Emissionen von mehr als 102 g CO2 e/KWH nicht die Kriterien für einen „wesentlichen Beitrag“ zur Eindämmung des Klimawandels. Auch wird die Rogun-Wasserkraft nicht zur Dekarbonisierung des tadschikischen Energiesystems beitragen, das eine ähnliche Emissionsintensität aufweist (106 g CO2 e/KWH). Wenn Usbekistan und Kasachstan beschließen, sich auf Energieimporte aus dieser Quelle zu verlassen, könnte das Projekt den grünen Wandel in Zentralasien um 15 Jahre verzögern. Alternative Projekte für erneuerbare Energien könnten fünfmal schneller und dreimal billiger gebaut werden als der riesige Rogun-Damm.
5. Mangel an Transparenz und Konsultationen
Die „aktualisierte“ Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfung (ESIA), die im Dezember 2023 von der Weltbank veröffentlicht wurde, lässt die Folgen mehrerer Risiken aus, die zuvor im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit standen. Für 2023-24 wurden keine aussagekräftigen regionalen Konsultationen zur Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfung (ESIA) angekündigt, die aktualisierte ESIA wurde nicht vollständig offengelegt, und der Biodiversitätsmanagementplan und der Umsiedlungsplan sind noch nicht öffentlich zugänglich. Im Februar 2024 wurde ein Plan zur Einbeziehung der Interessengruppen (Stakeholder Engagement Plan – SEP) veröffentlicht, der jedoch grundlegenden Policy-Anforderungen nicht entspricht.
Darüber hinaus ist keines dieser Projektmaterialien in tadschikischer Sprache verfügbar, was Zweifel daran aufkommen lässt, dass vor Ort freie und sinnvolle Konsultationen stattgefunden haben, wie auf der Website der Projektbefürworter von Rogun behauptet wird . Dieser Mangel an Transparenz und aussagekräftigen Konsultationen ist besonders besorgniserregend in einem Kontext, in dem die politischen und individuellen Freiheiten eingeschränkt sind und ein geringes Maß an Transparenz, ein hohes Maß an Korruption und weit verbreitete Menschenrechtsverletzungen herrschen.
Eine Botschaft an die am Rogun-Damm beteiligten Entwicklungsbanken
Es ist schwer zu erkennen, wie Banken wie die EIB, EBRD, Weltbank, AIIB und ADB ihre Beteiligung an diesem Projekt rechtfertigen können. Umwelt- und Sozialrichtlinien und -verfahren sind zwar nützlich, um die Geschäftspraktiken zu verbessern und Prozesse zur Abmilderung einzelner Auswirkungen zu implementieren, sie werden jedoch keine nennenswerten Auswirkungen auf ein Projekt haben, das bereits mit erheblichen Mängeln behaftet ist. Bessere Verfahren können vielleicht dazu beitragen, ein gewisses Fehlverhalten zu verhindern, aber sie können weder die Umsiedlung von 40.000 Menschen akzeptabel machen, noch die Wassersicherheit und das ökologische Gleichgewicht im ohnehin schon angeschlagenen Amu-Darja-Becken garantieren. Wenn die Entwicklungsbanken ihre Schutzmaßnahmen einhalten und ihren Versprechen treu bleiben wollen, gibt es nur eine mögliche Lösung: den Rückzug aus diesem Projekt, bevor es zu spät ist.
Social Media Kit – jetzt mitmachen und Entwicklungsbanken auffordern, Rogun zu stoppen #StopRogun
Dieser Beitrag erschien im Original auf Englisch hier, Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Coalition for Human Rights in Development.