Im Nordosten von Kambodscha, in der Provinz Stung Treng, wird seit fünf Jahren an einem der künftig größten Wasserkraftwerke Kambodschas gebaut. Neue Presseberichte zeigen, wie die für Staudammbauten gesetzliche legale Rodung der Waldgebiete genutzt wird, um illegal geschlagenes Holz als legal zu deklarieren und so dem Raubbau am Regenwald Kambodschas vorantreibt.
Von Christian Russau
Am linksseitigen Mekong-Zufluss des Sesan, dort, wo der Srepok-Fluss mit dem Sesan zusammenfließt, entsteht derzeit der „Lower Sesan II“-Damm, Kambodschas künftig größtes Wasserkraftwerk. Investoren aus Kambodscha, China und Vietnam bauen dort einen Staudamm mit 75 Meter Höhe, der Kambodscha künftig mit 400 MW-Kapazität mit Strom versorgen soll – und dessen Strom auch in großem Stil ins benachbarte Ausland exportiert werden soll. 816 Millionen US-Dollar soll das kosten, die zum Großteil aus China als Kredite investiert werden.
Aber nicht alle sind froh über das Projekt. Schätzungen gehen von 5.000 Personen aus, die für den Bau insgesamt zwangsumgesiedelt wurden bzw. noch werden, und rund 40.000 Menschen, die entlang der Sesan- und Srepok-Flüsse auf den Fluss- und Sandbänken leben und vom Dammbau indirekt in Mitleidenschaft gezogen werden, da sie ihr Einkommen größtenteils aus dem durch den Dammbau bedrohten Fischfang beziehen (siehe Bericht von GegenStrömung vom 10. März 2017).
Nun aber werden von Anwohner*innen neue Anschuldigungen erhoben: Der Staudammbau fördere die Rodung des tropischen Regenwaldgebiets, in dem eigentlich der Holzeinschlag nur in geringem Maße, für die Bewohner*innen zur Eigenversorgung, gestattet ist. Und das funktioniert so: „Vorher fällten wir einige Bäume“, sagt der Anwohner Vann Oun der Presse. „Dieses Holz war für unsere Häuser, aber nie dafür, dass es nach Vietnam oder China verkauft werden sollte.“
Nun aber hat sich mit dem Staudammbau die Sachlage geändert. Die Abholzung nimmt in der ganzen Region zu, wegen des Baus des „Lower Sesan II“-Damm. Und diese in den allermeisten Fällen illegalen Rodungen werden durch einen simplen Trick legalisiert. Denn in dem Gebiet, das als Baukonzession für den Staudammbau und für die Flutung des Reservoirs vergeben wurde, ist durch diese Baumaßnahme die Rodung legal. Und dieses dort dann legal geschlagene Holz darf weiter verkauft werden. Da es aber vor Ort keine behördlichen Kontrollen gibt, wird illegal geschlagenes Holz aus der ganzen Region in das Konzessionsgebiet des „Lower Sesan II“-Damms verbracht, dort als „frisch vor Ort geschlagenes Holz“ deklariert und so steht es dem legalen Holzexport ins Ausland zur Verfügung. Dem Pressebericht bei NPR zufolge geschieht dies seit Baubeginn vor fünf Jahren. „Die Firma sagt, sie würden nur das Gebiet des Flutungsbeckens roden, aber das stimmt nicht“, so ein Anwohner gegenüber den Medien. „Da kommen Leute aus der ganzen Provinz hierher zum Staudammkonzessionsgebiet und bringen Holz aus der gesamten Region hierher.“ Die Baufirmen und die verantwortlichen künftigen Staudammbetreiberfirmen (die chinesische Lancang Hydropower International hält einen Anteil von 51 Prozent an dem Projekt, die kambodschanische Royal Group hält 39 Prozent und die vietnamesische EVN International hält 10 Prozent der Anteile) wiesen gegenüber NPR die Vorwürfe zurück. Der Medienbericht bei NPR resümiert: „A lot of people are already making money from cutting down Cambodia’s forests to sell its luxury hardwood abroad. Some indigenous villagers here say the new dam is helping hasten their forests‘ destruction.“
Die vom Staudammbau betroffenen Anwohner*innen leben vor Ort an dem Zusammenfluss der Sesan- und Srepok-Flüsse, betreiben Reisfeldanbau, Gemüsegärten, Fisch- und Viehzucht. Die Bewohnerinnen und Bewohner haben eine Videostory erstellt, in der sie von ihrer Angst um ihre angestammte Lebenswelt berichten und sich gegen den Dammbau aussprechen. Zudem werfen die Bewohnerinnen und Bewohner den Betreibern, Bauherren, den Behörden und der Regierung vor, sie wären nie angemessen konsultiert worden, obwohl die ILO 169 ihnen als indigene Bevölkerung dies eigentlich garantieren müsste.
Die internationale Nichtregierungsorganisation International Rivers berichtete, dass eine im Jahr 2012 für die Proceedings of the National Academy of Sciences erstellte Studie feststellte, dass der Bau des Lower Sesan II-Damms einen Rückgang der Fischbestände um 9,3 Prozent vor Ort hätte, da rund 50 Fischarten in ihrem Bestand bedroht würden. Die Auswirkungen des Damm wären in Zukunft aber auch entlang des Mekong-Flusses, flussauf- wie auch flussabwärts zu spüren, sogar bis nach Vietnam, Laos und Thailand.
Kambodscha gewinnt derzeit 61 Prozent seiner Elektrizität aus sechs in Betrieb befindlichen Dämmen, die restlichen 39 Prozent kommen aus Biomasse- und Kohlebetriebenen Kraftwerken sowie durch Strom, der aus dem Nachbarland Vietnam importiert wird. Das Dammprojekt Lower Sesan II wurde 2012 von der Regierung Kambodschas bewilligt, obwohl die Umweltfolgenstudie den „Best Practice“-Test nicht bestand. Ende 2016 war das „Lower Sesan II“-Dammprojekt laut Betrieberangaben zu 80 Prozent fertiggestellt, die erste Turbine soll im Oktober 2015 in Betrieb genommen werden, bis Ende 2018 sollen alle geplanten acht Turbinen laufen.
Der Mekong-Fluss durchquert und schneidet die Länder China, Myanmar, Thailand, Laos, Kambodscha und Vietnam und ist mit über 4.000 Kilometer Länge einer der weltweit längsten Flüsse, an dem Millionen von Menschen leben, deren Nahrungsmittelsouveränität zu einem Großteil von Fisch abhängt. Gleichzeitig gilt das Mekong-Becken aktuell als einer der weltweit größten Hot Spots des Staudammbusinesses.