„Lieferanten-Verhaltenskodex noch nicht implementiert“
GegenStrömung dokumentiert die Rede von Tilman Massa (Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre) auf der Jahreshauptversammlung der Talanx AG am 9. Mai 2019 in Hannover.
Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Vorstand und Aufsichtsrat,
mein Name ist Tilman Massa und ich spreche für den Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. Mit den uns übertragenen Stimmrechten setzen wir uns für den Schutz der Menschenrechte und der Umwelt ein.
Wir können auch dieses Jahr den Vorstand nicht entlasten, da Sie unserer Auffassung nach Ihren menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten nicht hinreichend nachkommen. Wir haben einen entsprechenden Gegenantrag eingereicht, den ich hier kurz begründen werde.
Ich beschränke mich auf das Thema Ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten, da die Fragen zu Ihrer neuen Klimaschutz-Strategie bereits von Regine Richter von urgewald gestellt worden sind.
Es ist weiterhin nicht ersichtlich, wie der Vorstand ein an Nachhaltigkeitskriterien und Menschenrechtskonventionen orientiertes ESG-Management umsetzt. Seit 2017 haben Sie ein neues Programm dazu, aber es scheint noch an einigen Stellen zu haken. Sie schreiben dazu immerhin sehr ehrlich im aktuellen Geschäftsbericht (S. 80):
„An der Entwicklung und schrittweisen Implementierung eines konzernweiten Lieferanten-Verhaltenskodex wird aktuell gearbeitet. Das Nachhaltigkeitsziel wird damit später als ursprünglich geplant erreicht.“
Dabei haben Sie doch in Ihrer internen wie externen Befragung letztes Jahr gesehen, dass das Thema für viele sehr wichtig ist. Auf welche konkreten Schwierigkeiten sind Sie denn gestoßen? Wie ist der aktuelle Stand der Implementierung?
Momentan nimmt die Diskussion um eine gesetzliche Regelung unternehmerischer Sorgfaltspflichten an Fahrt auf. Das CSU-geführte Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung arbeitet an einer entsprechenden Gesetzesvorlage. Die Bundesregierung überprüft derzeit die bisherigen freiwilligen Lösungen der Unternehmen. Aber auch Daimler befürwortet nun eine gesetzliche Regelung, damit es klare Anforderungen für alle gibt.
Wie stehen Sie zu dem Thema: Sprechen Sie sich für eine gesetzliche Regelung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten aus – national, europäisch, international? Würde Sie dies gar in Ihrem aktuellen Prozess unterstützen?
Seit längerem kritisieren wir Menschenrechtsverletzungen in Zusammenhang mit Staudammprojekten, die auch Sie rückversichern. Zum Beispiel beim Staudammprojekt Hidroituango in Kolumbien. Dieses Projekt wird heftig kritisiert, regional wie international. Nur ein Beispiel: Der Betreiber muss über 800.000 Euro Strafe zahlen, weil er in drei verschiedenen Baustellen ohne Umweltgenehmigung vorgegangen ist.
Was letztes Jahr passiert ist? Nach schweren Regenfällen war der zentrale Umleitungstunnel durch Erdrutsche verstopft worden. Der zweite Umleitungstunnel war zuvor von der Baufirma zubetoniert worden.
Da die Staumauer schon stand, stieg das Wasser bedrohlich weiter an und flutete erste angrenzende Siedlungen.
Am 12. Mai 2018 brach das auch in den Tunneln angestaute Wasser abrupt durch, so dass die anschließende Flutwelle weitere Landfläche flutete und ganze Ortschaften zerstörte. Die gefährdete Bevölkerung musste großflächig evakuiert werden. Mehr als 20.000 Menschen waren direkt von den Überschwemmungen betroffen. Bis heute wurden Sie nicht angemessen entschädigt.
Talanx beziffert die entstandenen Kosten auf 87,2 Mio. Euro netto. Damit trägt auch dieser Staudammbruch dazu bei, dass die Großschadenbelastung der Talanx AG 2018 mit 376 Mio. Euro deutlich über dem eingeplanten Budget von 260 Mio. Euro gelegen hat. Ich frage Sie:
- Halten Sie die Rückversicherung solcher Staudammprojekte für vereinbar mit Ihrer neuen Nachhaltigkeitsstrategie?
- Würden Sie dieses Projekt oder ähnlich umstrittene Projekte nach menschenrechtlichen Standards erneut überprüfen?
- Es besteht immer noch das Risiko, dass der Damm bricht. Wie hoch schätzen Sie Ihre Kosten im Falle eines Dammbruchs ein?
Weltweit drohen Dammbrüche, weil Betreiber aus Kostengründen lieber auf sogenannte „Upstream“-Dämme setzen. Die letzten Beispiele aus Brasilien sind ein mörderisches Beispiel für die realen Gefahren dieser Dämme.
- Nehmen Sie diese Gefahren in Ihre Risikoanalysen mit auf? Werden Sie in Zukunft die Versicherung oder Rückversicherung von Projekten mit sog. „Upstream“-Dämmen ausschließen?
- Ist Talanx an dem Schaden von Brumadinho in Brasilien in irgendeiner Form beteiligt? Wenn ja, in welcher Höhe und welche Schäden werden abgedeckt? Halten Sie Aktien beim umstrittenen Betreiber Vale?
Ich freue mich auf ausführliche Antworten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.