Massive Schlammwelle bahnt sich ihren Weg
Erneuter Dammbruch eines Rückhaltebeckens in Brasilien. Wieder verantwortlich: Vale S.A.
Von Christian Russau
Im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais ist am 25. Januar dieses Jahres in der Nähe der Kleinstadt Brumadinho, rund 25 Kilometer südwestlich des Landeshauptstadt Belo Horizonte, ein Damm eines Rückhaltebeckens für die Erzschlammreste der Mine Córrego do Feijão gebrochen. Erste Schätzungen zufolge gehen von mehreren Millionen Kubikmeter Erzschlamms aus, der den Damm des ersten Rückhaltebeckens durchbrach und einen zweiten Damm des nächstgelegenen Rückhaltebeckens überflutete. Jüngste Meldungen sprachen von neun Toten, 300 Vermissten und weiteren noch 100 auf Erhöhungen eingeschlossen Festsitzenden, die noch auf Rettung warten. Die Erzschlammwelle hat ein Betriebskantine mit sich gerissen, in der gerade viele Arbeiter*innen zu Mittag aßen, mindestens ein Dorf wurde zerstört, auch kleine indigene und Quilombola-Territorien sind derzeit noch akut von der Schlammwelle bedroht.
Die Mine und das Rückhaltebecken gehören seit 2003 dem brasilianischen Bergbaukonzern Vale S.A., der — zusammen mit der anglo-australischen BHP Billiton — auch Anteilseigner der Firma Samarco Mineração S.A. ist, deren Rückhaltebecken bei Bento Rodrigues, in der Nähe der Stadt Mariana, am 5. November 2015 brach und bis dato als das größte Bergwerksunglück aller Zeiten gilt. Damals zerstörten Millionen Kubikmeter Eisenerzschlammreste mehrere Dörfer, 19 Menschen kamen ums Leben. Tausende Fischer im Einzugsbereich des Rio Doce wurden arbeitslos, 3,5 Millionen Menschen waren monatelang von der regulären Wasserversorgung abgeschnitten. Der Rio Doce, der „süße Fluss“, wird noch auf Jahrzehnte zerstört sein. Bis heute haben die Verantwortlichen die Millionenstrafzahlungen wegen großer Fahrlässigkeit nicht gezahlt.
Der Dammbruch nun weist in den Ausmaßen erschreckende Parallelen auf: Die Zerstörung des Erzschlammtsunamis wird sich die nächsten Wochen zuerst weiter durch den Fluss Paraopeba fräsen, bevor er beim großen Stausee Três Marias in den Rio São Francisco eindringt. Dieser Fluss deckt 70 Prozent der gesamten im brasilianischen Nordosten zur Verfügung stehenden Wassermenge ab. Sollte es zu umweltzerstörerischen Dimensionen wie beim Dammbruch von Mariana kommen, hätte dies für die Wasserversorgung von Millionen von Menschen im brasilanischen Nordosten katastrophale Auswirkungen.
Die Mine Córrego do Feijão samt Rückhaltebecken wurde 1956 von der Companhia de Mineração Ferro e Carvão in Betrieb genommen, 1973 wurde sie in die Thyssen-Tochterfirma Ferteco Mineração integriert, bevor sie 2003 von Vale S.A. übernommen wurde.
8,5 Prozent der deutschen Gesamtimporte mineralischer Rohstoffe stammen aus Brasilien. Beim Eisenerz und -pellets liegt dieser Wert noch deutlich höher: 55% aller Eisenerzimporte nach Deutschland erfolgen aus Brasilien. Es gibt in Brasilien zwei der größten Eisenerzlagerstätten der Welt. Das Quadrilátero Ferríferro (eisernes Viereck) liegt im Bundesstaat Minas Gerais zwischen den Städten Belo Horizonte, Congonhas, Ouro Preto und Santa Barbara. In dem rund 7.000 Quadratkilometer großen Gebiet lagern in der Erde Erzvorräte von rund zehn Milliarden Tonnen. Die zweite große Eisenerzregion Brasiliens befindet sich im Südosten des amazonischen Bundesstaats Pará. Dort in der Carajás-Mine sollen sich sogar rund 18 Milliarden Tonnen Eisenerz im Boden befinden.
Erst im Dezember 2018 hatte die Betreiberfirma Vale für die Mine Córrego do Feijão samt Rückhaltebecken einen Ausbau der Mine — und damit auch der Dämme — gefordert – und auffällig rasch bewilligt bekommen. Der Ausbau solle die Produktion der Mine um 88 Prozent steigern, was auch einen Anstieg der Erzschlammreste um 88 Prozent bedeutet. Die zuständigen Behörden hielten dazu die staatlich vorgeschriebenen Anhörungen durch, nun sickern erste äußerst glaubwürdige Erlebnisberichte dieser öffentlichen Konsultationsprozesse durch: Demnach waren viele der auf den Anhörungen Anwesenden Angestellte des Bergbaukonzerns Vale S.A., die sich lautstark für den Ausbau der Mine stark machten und dabei besorgte Anwohner*innen anbrüllten und kaum zu Worte kommen ließen. Die Behörden jedenfalls waren damals augenscheinlich dennoch zufrieden, und bewilligten den Ausbau der Mine Córrego do Feijão samt Rückhaltebecken, bis zum Jahr 2032.
Die damals für Beobachter*innen ungewöhnlich schnelle Bewilligung des Ausbau des Upstreamdamms Corrego de Feijao bei Brumadinho wurde bei der entscheidenden Sitzung im Dezember im Handstreich, besser: durch einen Kugelschreiberstrich erzielt: die Risikoklasse wurde geändert. Statt Risikoklasse 6 galt nun für den Damm auf einmal Risikoklasse 4, die es wiederum ermöglichte, statt dem vorgeschriebenen dreiphasigem System der vorläufigen, der Bau- und der Betriebsgenehmigung das fixe „licenciamento flex“ anzuwenden. Einen Monat später: der Bruch.
Danke, tolle Behördenarbeit! Aber das Umweltgenehmigungsverfahren muss natürlich weiter flexibilisiert werden, um nicht weiter eine unbotmäßige Bürde für die Unternehmen darzustellen…
Die meisten Dämme (tailings) von Bergwerksdeponien werden nach dem Upstream-Verfahren gebaut, denn dieses ist das bei weitem kostengünstigste, aber eben auch das bruchanfälligste aller Tailingdammsysteme. Dann gibt es noch das Center-Verfahren und das Downstream-Verfahren. Das letzte, das Downstream-Verfahren, ist das teuerste, aber es ist das sicherste aller drtei Dammbauverfahren. Zur Erinnerung: die Statistik zu Dammbrüchen sagt, dass Tailingbrüche, also Brüche von Dämmen von Bergwerksdeponien, statistisch um den Faktor 10 häufiger brechen als Wasserkraftstaudämme (weswegen interssanterweise die International Commission on Large Dams (ICOLD) in ihrem 58.000 Staudämme umfassenden Register keine Dämme von Bergwerksdeponien aufnehmen mag, weil die ja dann die Dammbrüche die Statistik so verheerend aussehen lassen würden…
Noch besser wäre natürlich das technisch problemlos mögliche, aber noch weitaus teurere Verfahren, die Rückstände aufzubereiten und die gar nicht mehr zu verwendenden Stoffe zu trocknen und am Besten sicher, wenn nicht gar unterirdisch zu lagern. Noch besser natürlich wäre ein Bergbau, der den potentiell betroffenen Gemeinden volles Mitspracherecht unter Einsetzung des Vetos ermöglichte. Und sowieso: weniger konsumieren und verbrauchen, um Bergbau so weit wie möglich einzuschränken, wenn nicht gar ganz abschaffen.
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