Munduruku fordern Staudammstopp vor UN-Menschenrechtsrat
Am Mittwoch, den 24. Juni 2015 sprach der Kazike Ademir Kaba Munduruku bei der 29. Sitzung des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen in Genf. Der Anführer der indigenen Munduruku aus dem brasilianischen Bundesstaat Pará kritisierte die brasilianische Regierung für die wiederholte Missachtung indigener Rechte beim geplanten Bau eines riesigen Staudammkomplexes am Fluss Tapajós im Amazonasgebiet. Im Fokus der Kritik stand die Nichtbeachtung des Rechts indigener Gruppen auf freie, vorherige und informierte Konsultation und Einwilligung (FPIC). Dieses internationale Recht ist im Übereinkommen über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern (ILO 169) festgeschrieben und wurde 2004 von Brasilien ratifiziert. Es gesteht indigenen Gruppen ein Mitsprache- und Entscheidungsrecht zu, wenn geplante Wirtschaftsprojekte ihren Lebensraum betreffen und sich auf ihre Lebensweise auswirken.
Vor dem Menschenrechtsrat verurteilte Kaba Munduruku zudem die Weigerung der brasilianischen Regierung, dass angestammte Land der Munduruku anzuerkennen und zu demarkieren. Das indigene Territorium Sawré Muybu ist als Flutungsgebiet für den Stausee des geplanten São Luiz do Tapajós Wasserkraftwerks vorgesehen. Ein Gerichtsbeschluss aus der letzten Woche unterstützt das Anliegen der Munduruku. Die Regierung von Präsidentin Dilma Rousseff wurde aufgefordert, die Umweltlizenz für das Staudammprojekt nicht zu erteilen. Eine Genehmigung solle erst erfolgen, wenn das Recht der Munduruku und anderer betroffener indigener Gruppen auf Konsultation und Mitspracherecht umgesetzt wurde. Der Richter Ilan Perser begründete seine Entscheidung, „es kann nicht ignoriert werden, dass die ILO 169 und Artikel 231 der brasilianischen Verfassung, dass Recht der Konsultation stärken, um eine kulturelle Vielfältigkeit zu garantieren und um eine koloniale Assimilierung durch eine dominante Kultur zu verhindern, die schließlich in einem Ethnozid enden würde.“
In seiner Rede erläuterte Kaba die friedliche Strategie des Widerstandes der Munduruku gegen die geplanten Staudämme. Bereits 2013 beteiligten sich die Munduruku solidarisch an der Besetzung der Baustelle des umstrittenen Belo-Monte-Staudamms am Xingu Fluss. Dieser ist nun fast fertiggestellt und zeigt was die Munduruku zu erwarten haben, wenn die Baupläne am Tapajós Fluss umgesetzt werden sollten. Trockengelegte Flussabschnitte, überschwemmte Wald- und Ackerflächen, soziale Konflikte mit unkontrolliert zugewanderten Tagelöhnern. Im Schatten der riesigen Staumauer des Belo Monte Wasserkraftwerkes kämpfen die indigenen Gruppen am Xingu um ihr kulturelles Überleben. Eine Situation, welche die Munduruku vermeiden wollen.
„Wir sind nach Genf gekommen, um die Einhaltung der ILO 169 durch die brasilianische Regierung zu fordern. Eine Konvention, die von vielen Ländern respektiert wird, aber in Brasilien nie in die Praxis umgesetzt wurde“, so Kaba vor dem Menschenrechtsrat. „Wir fordern einen ehrlichen und transparenten Dialog über die geplanten Staudammprojekte, ohne Lügen und Betrug. Die Konsultationen sollten unser Entscheidungsrecht respektieren und unser Veto zu Projekten anerkennen, die negative Auswirkungen auf indigene Territorien und die Flusslandschaft haben.“
Bereits im Januar 2015 veröffentlichten die Munduruku ein Dokument, das die Regierung aufforderte, einen FPIC-Prozess nach ILO 169 Standards durchzuführen. Unterstützt wurden die Munduruku dabei durch den brasilianischen Staatsanwalt Felicio Pontes, der Kaba Munduruku auch nach Genf begleitet.
Auf einer Nebenveranstaltung des UN-Menschenrechtsrats, mit dem Titel „Dams and Indigenous Consultation: Concrete Proposals to Stem Rights Violations in the Brazilian Amazon“, kritisierte Pontes sowohl die mangelhafte Umsetzung des Konsultationsrechts als auch die Praxis der „Sicherheitssuspension“ (Suspensão de Segurança). Dieses Rechtsrelikt aus der Militärdiktatur erlaubt Oberrichtern in Brasilien auf Weisung der Regierung, gültige Gesetze im Interesse der nationalen Sicherheit aufzuheben. Das Suspensão de Segurança wird vor allem angewendet, um die Rechte indigener Gruppen einzuschränken und Wirtschaftsinteressen durchzusetzen.
„Die brasilianische Staatsanwaltschaft (MPF) kommt ihrer Pflicht zur Verteidigung der Rechte indigener Gruppen im Amazonas nach“, sagte Felicio Pontes in Genf. „Die Dutzenden von uns eingereichten Klagen zeigen jedoch, dass die brasilianische Regierung durch den bedenkenlosen Rückgriff auf ein Rechtsinstrument aus der Diktatur – dem Suspensão de Segurança – systematisch die Rechte der Indigenen verletzt.“