Nach über 30 Jahren geschafft: Der Deutsche Bundestag ratifiziert die ILO 169
Der Deutsche Bundestag hat heute das Ratifizierungsgesetz über die Konvention Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zum Schutz der Rechte indigener Völker verabschiedet. Auch ein Erfolg der jahrelangen Kampagnen- und Advocacyarbeit zivilgesellschaftlicher Gruppen.
21:20 Uhr im Deutschen Bundestag. Es sind nicht mehr viele der Bundestagsabgeordneten anwesend, das ist aber dem späten Abend geschuldet und bei solchen per Fraktionsabsprachen zu entscheidenden Abstimmungen üblich, die Abgeordneten sind anwesend entsprechend der Mehrheitsverhältnisse. Um 21:19 forderte die Sitzungsleitung unter Hans-Peter Friedrich als Vizepräsident des Deutschen Bundestages die anwesenden Abgeordneten, über die Ratifizierung der ILO-Konvention Nr. 169 durch die Bundesrpublik Deutschland abzustimmen. 21:20 Uhr: Geschlossen erhoben sich die anwesenden Abgeordneten der Fraktionen von CDU und CSU, SPD, Bündnis90/Die Grünen, der FDP und der Linken. Nur die Mitglieder einer hier nicht notwendigerweise namentlich zu erwähnenden Fraktion blieben sitzen, nachdem ihr Vertreter in der vorausgegangenen Aussprache über die Annahme der ILO 169 sprachlich und intellektuell entgleist war, was hier aber nicht weiter ausgeführt werden muss. Allzu erwartbares Plattes muss nicht erwogen und nicht erwähnt werden. Was aber hiermit erwähnt wird, ist: Die Bundesrepublik Deutschland hat die Konvention Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zum Schutz der Rechte indigener Völker angenommen. Damit ist Deutschland der 24. Unterzeichnerstaat dieser Konvention.
Bei der Aussprache der demokratischen Parteien des Deutschen Bundestages war bei mehreren Redner:innen die gravierende Situation der Achtung, Gewährleistung und Garantierung der indigenen Rechte in Brasilien unter einem Bolsonaro Gegenstand der Reden. Die menschenrechtspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Margarete Bause, erwähnte sogar ausdrücklich die Bedrohungen, denen die indigenen Munduruku im Tapajós-Becken derzeit ausgesetzt sind. Dies sind unter anderem Bergbau- und Staudammprojekte.
Die Bundesrepublik Deutschland vollzieht mit der Ratifizierung der ILO 169 eine Vereinbarung des Koalitionsvertrags. Der seit vielen Jahren für eine solche Ratifizierung arbeitende Koordinationskreis ILO 169 sieht darin einen entscheidenden Schritt, die Rechte indigener Völker zu stärken. Die Konvention garantiert indigenen Völkern ihre Rechte auf Erhalt der kulturellen Identität, auf Beteiligung an staatlichen Entscheidungen sowie auf Land und Ressourcen. Denn indigene Völker werden auch heute noch politisch, wirtschaftlich und sozial stark benachteiligt. „Mit der Ratifizierung der ILO-Konvention 169 setzt Deutschland ein starkes Zeichen der Solidarität mit indigenen Völkern. Jetzt kommt es darauf an, ihre Rechte auch ganz konkret zu schützen“, sagt auch Dagmar Pruin, die Präsidentin von Brot für die Welt. „In vielen Teilen der Welt ist der Lebensraum indigener Völker bedroht – durch die Abholzung des Regenwaldes in Brasilien, durch Lithiumgewinnung in Bolivien oder durch Palmölanbau in Indonesien.“ Seit Ausbruch der Corona-Pandemie haben sich die Lebensbedingungen indigener Völker weltweit noch verschlechtert, weil sie oft keinen Zugang zu Gesundheitsdiensten haben.
„Durch die Zerstörung des Regenwaldes sind indigene Völker, die Verteidiger des Waldes, vielfältigen Gefahren ausgesetzt, die das Klima auf regionaler und globaler Ebene beeinflussen“, erklärt Harol Rincón Ipuchima, stellvertretender Vorsitzender des Klima-Bündnis und Klimakoordinator der COICA, dem Dachverband der indigenen Organisationen des Amazonasbeckens, anlässlich der Ratifizierung setens der Bundesrepublik Deutschland. Dabei sind die Territorien indigener Völker und ihr traditionelles Wissen von weltweiter Bedeutung für den Erhalt der biologischen und kulturellen Vielfalt.
Die ILO-Konvention 169 ist das einzige rechtsverbindliche internationale Instrument zum Schutz der Rechte indigener Völker. „Mit der deutschen Ratifizierung der ILO 169 gewinnt die Konvention erheblich an Gewicht. Dies sollte Schule machen“, betont Jan Diedrichsen, Bundesvorsitzender der Gesellschaft für bedrohte Völker. Bisher haben lediglich 23 Länder die Konvention ratifiziert. Nun reiht sich Deutschland in die Gruppe europäischer Staaten ohne eigene indigene Gemeinschaften ein, die ebenfalls ratifiziert haben, wie die Niederlande, Spanien und Luxemburg. Sie setzen damit ein Zeichen für Solidarität und globale Verantwortung.
„Auf die Ratifizierung müssen im nächsten Schritt auch konkrete Maßnahmen zum Schutz der Rechte indigener Völker folgen“, sagt Michael Thiel, Direktor des Evangelisch-lutherischen Missionswerks in Niedersachen. Hierfür sei es wichtig, in der nächsten Legislaturperiode eine ressortübergreifende Strategie zu entwickeln. „So braucht es konkrete Richtlinien für die Außenwirtschaftsförderung, um die Rechte indigener Völker zu achten. Ebenso sind deutsche Unternehmen gefordert, indigene Rechte entlang der gesamten Lieferkette zu berücksichtigen“, sagt Heike Drillisch, Vorstandsmitglied des INFOE – Instituts für Ökologie und Aktions-Ethnologie.
Weltweit gehören zwischen 350 und 400 Millionen Menschen rund 6.000 indigenen Völkern an. Dies entspricht etwa vier bis fünf Prozent der Weltbevölkerung. Der Koordinationskreis ILO 169 in Deutschland ist ein Zusammenschluss von zivilgesellschaftlichen Organisationen, Netzwerken und Expert:innen, die sich für die Stärkung der Rechte indigener Völker, der Menschenrechte sowie den Schutz der Regenwälder und den Klimaschutz einsetzen. Auch ihm ist dieser Erfolg zu verdanken!