Staudamm Belo Monte erneut die Betriebsgenehmigung entzogen
Bundesgerichtshof im Bundestaat Pará verwirft vorherige Entscheidung des Vorsitzenden. Somit erstmals die juristische Berufung auf „nationales Interesse“ gekippt.
Von Christian Russau
Die Bundesstaatsanwaltschaft, die seit Jahren mit über 25 Verfassungsklagen die Rechte der vom Staudamm Belo Monte am Xingu-Fluss im nordbrasilianischen Bundesstaat Pará Betroffenen vertritt, hat einen beeindruckenden Etappensieg errungen: Erstmals gelang es, vor Gericht eine vorherige Entscheidung des Gerichts, die sich explizit auf die juristische Argumentation des Schutzes des „nationalen Interesses“ berufen hatte, zu kippen.
Der Sondergerichtshof Corte Especial do Tribunal Regional Federal da 1ª Região (TRF1) im Bundesstaat Pará entschied am 6. April mit neun zu fünf Stimmen, dem Großstaudamm Belo Monte die Betriebsgenehmigung abzuerkennen. Das Argument: Da das 512 Quadratkilometer große Staureservoir des Wasserkraftwerks fertiggestellt und geflutet sei, bestehe bei Wasserhochstand die Gefahr, dass durch Rückstau des Wassers die Gesundheit der flussaufwärts lebenden Bevölkerung am Fluss und in der Stadt Altamira gefährdet sei und in Mitleidenschaft gezogen werden könne, solange das Abwassersystem der Stadt Altamira nicht fertiggestellt sei. Dies hätte vertraglich eigentlich bis spätestens Juli 2014 erfolgt sein müssen. Durch das neu zu bauende Abwassersystem soll verhindert werden, dass die durch die Stauung des Xingu-Flusses ansteigenden Wasserpegel in der Stadt Altamira die bisherigen Abwassergruben überschwemmen und dadurch die Gefahr der Verseuchung des Grundwassers bestehe. Da die dafür vorgesehenen Bauarbeiten, obschon gesetzlich und vertraglich festgelegt, bislang noch immer nicht abgeschlossen sind, hatte die Bundesstaatsanwlatschaft von Pará Klage gegen die Betreiberfirma Norte Energia erhoben. Dieser Klage war zunächst stattgegeben und die Betriebsgenehming annulliert worden, doch der Vorsitzende des zuständige Bundesgerichtshofs für die 1. Region kippte dieses Urteil wieder mit einem juristischen Trick, der in Brasilien seit einer Reihe von Jahren angewandt wird: Durch die sogenannte „suspensão de segurança“.
Die in der Vergangenheit wiederholt gerichtlich erzwungenen Baustopps wurden bislang sieben Mal von vorsitzenden Richtern und Bundesrichtern unter dem Verweis auf höherwertige, nationale Interessen aufgehoben. Der Oberste Gerichtshof und die Bundesrichter der Bundestribunale in den Staaten beriefen sich dabei immer wieder auf das Gesetz aus dem Jahre 1964, das die sogenannte „suspensão de segurança“ definiert, also das Außerkraftsetzen eigentlich verfassungsrechtlich vorgesehener Prinzipien mit dem Verweis auf höherwertige nationale Interessen. Dieses Rechtskonstrukt stammt noch aus der Zeit der brasilianischen Militärdiktatur (1964-1985). Für die Regierung und die Obersten Richter hatte dieses juristische Konstrukt stets den Vorteil, nicht den Sachverhalt der Klage an sich in dessen Wesensgehalt vor dem Hintergund der verfassungsrechtlichen Bestimmungen beurteilen zu müssen, sondern gestattete den Richtern – ohne sich den Sachverhalt an sich anzuschauen – auf die vermeintliche Gefahr für die „öffentliche Ordnung“, das „öffentliche Interesse“ und vor allem auf das biedere Argument hinzuweisen, es sei ja schon so viel öffentliches Geld für den Bau ausgegeben worden, so dass ein Baustopp dem Staat wirtschaftlichen Schaden zufügen würde.
Dieser Argumentation ihres eigenen Vorsitzenden wollten nun neun Bundesrichter des zuständigen Gerichtshofs nicht mehr folgen: sie kippten die vorherige Entscheidung ihres Vorsitzenden und setzten die „suspensão de segurança“ erstmals außer Kraft. Die Bundesstaatsanwält*innen, die die erneute Widerspruchsklage vor Gericht eingereicht hatten, erklärten angesichts des bahnbrechenden Urteils: „Das Füllen des Staureservoirs ohne vorheriges Erfüllen der vorgeschriebenen Abwasserentsorgung, die schon vor drei Jahren hätte fertiggestellt werden müssen, setzt die Bevölkerung von Altamira der Gefahr von Krankheiten aus durch die Verseuchung des oberflächennahen wie auch des tieferen Grundwassers“, so die Argumentation der zuständigen Bundesstaatsanwält*innen Raquel Branquinho, Felício Pontes und Bruno Calabrich.
Noch aber ist unklar, ob dieses Urteil nicht auch durch die „suspensão de segurança“ wiederum aufgehoben werden könnte.
Laut Presseberichten müssten die Bauarbeiten am Staudamm sofort eingestellt werden, aber Norte Energia stand der Presse kurz nach Urteilsverkündung zu keiner Erklärung zur Verfügung. Derzeit sind 10 der geplanten 18 Turbinen des künftig 11 GW-leistungsstarken Staudamms installiert.
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