Zehn Jahre Weltstaudammkommission: Aktuelle Lehren für den Umgang mit Großprojekten

 

Potsdam / Sassenberg, 15.11.2010 – Anlässlich des zehnten Jahrestags der Empfehlungen der Weltstaudammkommission am morgigen Dienstag weisen Nichtregierungsorganisationen auf die Bedeutung dieser Empfehlungen nicht nur für Staudämme, sondern auch für andere große Infrastrukturprojekte in aller Welt hin. Sie fordern die Bundesregierung auf, die Empfehlungen zur Grundlage für alle von ihr unterstützten Dammprojekte zu nehmen und sich für ihre weltweite Anerkennung einzusetzen.

Vor zehn Jahren, am 16.11.2010, stellte Nelson Mandela in London die Ergebnisse der zweijährigen intensiven Arbeit der Weltstaudammkommission (WCD) vor. „Das Vorgehen der Kommission war bahnbrechend, da sich erstmalig Befürworter und Kritiker dieser Technologie zusammensetzten und gemeinsam Empfehlungen erstellten, wie künftig die negativen Folgen für die Projektbetroffenen vermieden können“, kommentiert Heffa Schücking, Geschäftsführerin der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation urgewald. Die Kommission stellte fest, dass 40 bis 80 Millionen Menschen weltweit für Großstaudämme vertrieben und zwangsumgesiedelt wurden. Sie forderte neue partizipative Verfahren und Mitspracherechte für Flußanrainer bei Entscheidungen über Talsperren, um sicher zu stellen, dass nur solche Projekte in Angriff genommen werden, die verträgliche Lösungen für Mensch  und Umwelt anbieten.

„Wie aktuell die Empfehlungen der Weltstaudammkommission sind, zeigen die Proteste gegen Stuttgart 21 und die Atomtransporte ins Wendland“, betont Heike Drillisch, Koordinatorin von GegenStrömung. „Wo Projekte entgegen den Interessen der Bevölkerung geplant werden, regt sich Widerstand.“ Die WCD stellte dem einen neuen Ansatz entgegen, der die Betroffenen nicht als passive Opfer oder Nutznießer der Vorhaben sieht, sondern als Inhaber von Rechten. Daher sollten sie von Beginn an mit am Verhandlungstisch sitzen. „Wo Rechte im Widerstreit miteinander stehen, sind Verhandlungen, die in guter Absicht geführt werden, der einzige Prozess, durch den verschiedene Interessen auf legitime Weise miteinander in Einklang gebracht werden können“, stellte der WCD-Bericht fest. Der Kommission selbst war dies auf einzigartige Weise gelungen.

„Die Wasserkraftindustrie versucht zur Zeit verstärkt, die Standards der WCD zu unterlaufen und ein eigenes unverbindliches Protokoll als Alternative zu etablieren“, stellt Heffa Schücking fest. „Wir fordern die Bundesregierung auf, das Protokoll nicht zu unterstützen und staatliche Unterstützung wie die Vergabe von Hermesbürgschaften an die Einhaltung der WCD-Empfehlungen zu knüpfen und sich dafür auch international einzusetzen.“ Bei der Vergabe einer Hermesbürgschaft für den Ilisu-Staudamm in der Türkei hatte die Bundesregierung auf die Einhaltung von Weltbankstandards gedrängt, die Empfehlungen der WCD aber weitgehend ignoriert. Im Juli 2009 zog sie die Bürgschaften zurück, da die türkische Seite zahlreiche Auflagen nicht erfüllt hatte. „Wären die WCD-Empfehlungen als Maßstab für das Projekt herangezogen worden, wäre die Bürgschaft gar nicht erst erteilt worden, da die türkische Regierung effektive Mitspracherechte für die lokale Bevölkerung stets abgelehnt hat“, meint Heike Drillisch, die das Ilisu-Projekt seit über zwölf Jahren verfolgt.

Kontakt:
Heike Drillisch, heike.drillisch – at – gegenstroemung.org,  0177-3452611Heffa Schücking, heffa – at – urgewald.de,  0160-96761436

Hintergrund:

Die Weltstaudammkommission nahm im Mai 1998 die Arbeit auf, nachdem Proteste Projektbetroffener gegen die negativen Folgen von Großstaudämmen immer mehr zunahmen und auch die Weltbank für ihre Finanzierung von Dämmen kritisierten. Sie wurde u. a. von der Weltbank und IUCN-The World Conservation Union initiiert. Auftrag der Kommission war es, a) die Wirksamkeit von Großstaudämmen im Entwicklungsprozess zu prüfen und Alternativen für die Nutzung von Wasserressourcen und zur Energiegewinnung zu begutachten sowie b) international annehmbare Kriterien für Planung, Bau und Betrieb von Staudämmen zu entwickeln.

Die Kommission führte die erste umfassende, weltweite und unabhängige Untersuchung über die Leistungen und die Auswirkungen von Großstaudämmen durch sowie der vorhandenen Alternativen zur Entwicklung von Wasser und Energieressourcen.

Den Vorsitz hatte Prof. Kader Asmal, der damalige südafrikanische Minister für Wasser- und Forstwirtschaft inne; zu ihren Mitgliedern zählten unter anderem Vertreter von ABB und der Internationalen Kommission für große Talsperren (ICOLD) sowie Joji Carino (Philippinen) und Medha Paktar (Indien) als Vertreterinnen Betroffener. Generalsekretär war der Deutsche Achim Steiner, der zurzeit als Exekutivdirektor das UN-Umweltprogramm leitet.

Die Kommission benannte 7 strategische Prioritäten für den Bau von Staudämmen:
·        die Gewinnung von Akzeptanz,
·        eine umfassende Analyse von Alternativen,
·        die Altlasten existierender Dämme zu beheben,
·        Flüsse und Lebensgrundlagen zu erhalten,
·        Ansprüche anzuerkennen und den Nutzen zu teilen,
·        die Einhaltung von Abmachungen
·        Flüsse für Frieden, Entwicklung und Sicherheit zu teilen.

Der Schlussbericht „Dams and Development: A New Framework for Decision-Making“ („Staudämme und Entwicklung: Ein neuer Rahmen zur Entscheidungsfindung“) ist zu finden unter http://www.dams.org/report/. Eine deutsche Zusammenfassung der Ergebnisse steht unter http://www.dams.org//docs/overview/wcd_uberblick.pdf.