„Die Münchener Rück darf „Upstream“-Dämme explizit nicht mehr versichern!“
Rede von Christian Russau (GegenStrömung/Kritische Aktionäre) auf der Jahreshauptversammlung der Münchener Rück vom 30.4.2019 in München.
Sehr geehrte Damen und Herren,
mein Name ist Christian Russau, ich bin von der Initiative GegenStrömung und vom Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre.
Gehen wir gleich in medias
res. Im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais ist am 25. Januar
dieses Jahres in der Nähe der Kleinstadt Brumadinho, rund 25 Kilometer
südwestlich des Landeshauptstadt Belo Horizonte, ein Damm eines Rückhaltebeckens für die Erzschlammreste der Mine Córrego do Feijão gebrochen.
Rund 300 Menschen starben, so genau weiß das niemand bis heute, denn
noch immer werden Menschen vermisst. Die Betreiberfirma von Mine und
Rückhaltebecken, die brasilianische Bergbaufirma Vale, erklärte, in dem
gebrochenen Becken hätten sich 11,7 Millionen Kubikmeter Erzschlammreste
befunden. Nachdem der Damm des ersten Rückhaltebeckens gebrochen war,
flutete der Erzschlamm das nächstgelegene Rückhaltebecken und
überflutete dieses. Der sich ins Tal ergießende Schlammtsunami hatte
unter anderem eine Betriebskantine mit sich gerissen, in der gerade
viele Arbeiter*innen zu Mittag aßen, Busse, in denen Arbeiter saßen, die
von oder zur Betriebsschicht fuhren, mindestens ein Dorf wurde zerstört
und auf hunderten Kilometern ist der vom Schlamm geflutete Fluss
Paraopeba biologisch tot.
Das Alles erinnert leider viel zu sehr an den Dammbruch von Mariana,
des Rückhaltebeckens Fundão, als dort bei der Mine Germano der Firma
Samarco (im gleichanteiligen Besitz von Vale und BHP Billiton) der Damm
brach. Millionen Kubikmeter an Bergwerksschlamm aus der Eisenerz-Mine
der Firma Samarco und ein Tsunami aus Schlamm zerstörte mehrere Dörfer,
349 Häuser, Schulen und Kirchen. Die Flüsse Rio Gualaxo do Norte, Rio do
Carmo und Rio Doce wurden verseucht – Fischfang ist entlang der 680
Kilometer Flusslauf ist bis heute nicht möglich, ein Desaster für
Tausende von Kleinfischern, die damit ihren Lebensunterhalt bestreiten.
Insgesamt starben 19 Menschen. Laut Erhebung der US-amerikanischen
Beraterfirma Bowker Associates stellte die Katastrophe von Mariana einen
Dreifach-Negativ-Rekord in der Geschichte des Bergbaus dar: 1. Die
Menge an ausgetretenem Schlamm: 32 bis 62 Millionen Kubikmeter, 2. Die
Größe des betroffenen Gebiets: 680 Kilometern Flusslauf, 3. Die
Schadenshöhe: 5 bis 55 Milliarden USD.
Die Münchener Rück war damals an der Versicherung des Dammbruchs von Mariana beteiligt. Zwei Milliarden Reais (damals umgerechnet rund 500 Millionen Euro) haben laut Erhebung der brasilianischen Rückversicherung Terra Brasis Resseguros die Versicherer und Rückversicherer der Firma Samarco damals gezahlt. Denn die hatte eine Versicherung gegen Schäden an eigenen Einrichtungen und Betriebsunterbrechungen, also eine Versicherung gegen sogenannte „entgangene Gewinne“. Das muss man sich mal vor Augen halten: Hunderte Kilometer Flusslauf tot, zeitweise eine für zwei Millionen Menschen unterbrochene Trinkwasserversorgung, tausende von darbenden Kleinfischern – und die Versicherer und Rückversicherer zahlen der Firma einen fetten Millionenbetrag für „entgangene Gewinne“, damit deren Aktionäre nicht leer ausgehen. Und jetzt haben wir wieder einen Megabruch, mit Hunderten von Toten, – aber in Ihrer Versicherungspolitik bewegt sich immer noch zu wenig.
Ich frage Sie:
Ist die Münchener Rück an dem Schaden von Brumadinho per Deckung in irgendeiner Form beteiligt? Wenn ja, in welcher Höhe und welche Schäden werden abgedeckt?
Die Münchener Rück hat ja gemeinsam mit dem TÜV Süd (neben Vale der derzeit mutmaßliche Hauptverantwortliche für den Dammbruch bei Brumadinho) im Januar 2014 das gemeinsame Projekte „Project Risk Rating“ gestartet. Ich frage Sie: Haben Sie im Rahmen dieses Projektes auch den Brumadinho-Damm überprüft: wenn ja, was waren Ihre Ergebnisse und Erkenntnisse, wenn nein: warum haben sie diesen Damm nicht geprüft?
Noch eine Frage zurück im Hinblick auf den 2015er-Dammbruch von Mariana: Wieviel hat die Münchener Rück wegen der Schäden beim Dammbruch von Mariana gezahlt?
Noch eine Frage: Laut unseren Recherchen hält die Münchener Rück derzeit keine Aktien oder Anleihen des brasilianischen Bergbaukonzern Vale. Ist dies korrekt? Falls nein, in welchen Anlagen sind Münchener Rück und/oder Tochterfirmen und/oder Fonds direkt oder indirekt an Vale beteiligt? Bitte schlüsseln Sie die Daten je Unternehmenseinheit auf.
Die Fragen zu Ihrer unverantwortlichen Versicherung für den Katastrophen-Staudamm Hidroituango in Kolumbien ist mein Kollege Alejandro Pacheco vom Öku-Büro zuständig, bereiten Sie sich darauf schon mal vor, es wird heftig für Sie!
Sie werden sich erinnern, dass wir Sie auf der Aktionärsversammlung von 2016 wegen des Dammbruchs bei Mariana befragt haben, und Sie werden sich sicherlich auch daran erinnern, dass wir Ihnen die grundlegenden Risiken von Dämmen bei Bergbau-Rückhaltenbecken, die nach der „Upstream“-Methode gebaut wurden, dargelegt haben und Sie aufgefordert haben, solche „Upstream“-Dämme schnellstens auszuphasieren, da sie für Mensch und Umwelt ein untragbares Risiko darstellen.
Der bei
Brumadinho (2019) gebrochene Damm war wie der bei Mariana (2015) ein
sogenannter „Upstream“-Damm. Die meisten Dämme (tailings) von
Bergwerksdeponien werden gebaut nach dem Upstream-Verfahren, dann gibt
es noch das Center-Verfahren und das Downstream-Verfahren. Beim
„Upstream“-Damm kann der Damm eines Rückhaltebeckens im Laufe von
Jahrzehnten bis zu 10 Mal aufgeschüttet werden und so Hunderte von Meter
an Höhe gewinnen, sofern die unten abgelagerten Bergbaureste
entsprechend ausgetrocknet sind. „Upstream“-Dämme sind deutlich billiger
als „Center“- oder „Downstream“-Dämme, deswegen sind sie bei den
Bergbaufirmen so beliebt – sie brechen aber auch viel häufiger.
Nach
dem Dammbruch von Mariana (5.11.2019) haben wir Sie auf der
Hauptversammlung 2016 also aufgefordert, für die Zukunft festzulegen,
dass das Upstream-Verfahren bei Tailings (also Bergwerksdeponien) in
Zukunft als klares Ausschlusskriterium bewertet werden müsse. Dies ist
trotz unserer klaren Warnung, dass weitere Dämme brechen würden, unseres
Wissens nach bei Ihnen in der Firma noch nicht geschehen. Es gibt zwar
Debatten: Das International Council on Mining and Metals, ein
Zusammenschluss der weltweit 23 größten Bergbau- und Metallunternehmen,
hatte im Dezember 2015 angekündigt, die Standards für die Lagerung von
Abraumschlamm zu überprüfen. Solche Ankündigungen sind wohlfeil, wenn
Sie ihren werbetechnischen Hochdruckglanz ausstrahlen, sind aber
zynisch, wenn sie hohle Phrasen und somit alles beim Alten bleibt – und
dann der nächste, noch größere Dammbruch – wie jetzt bei Brumadinho
geschehen, kommt.
In einem Debattenbeitrag aus dem Dezember 2017 erklärt die Münchener Rück auf ihrer Webseite:
„Auch in der Assekuranz hat ein Umdenken begonnen, nachdem Dammbrüche in den vergangenen Jahren mehrere Großschäden ausgelöst hatten. Ziel ist es, die Risiken besser einschätzen zu können, um auch künftig die Versicherbarkeit von Tailings Dams zu gewährleisten. Sinnvoll wäre in diesem Zusammenhang, den Bergbau mit seinen speziellen Risiken aus der gewöhnlichen Sachversicherung herauszutrennen. Munich Re ist in ihrer Einheit Corporate Insurance Partner (CIP) diesen Weg bereits gegangen. Denn anders als etwa für den Öl- und Gassektor ist in der Assekuranz traditionell kein eigener Geschäftsbereich für den Bergbau vorgesehen. Versicherungspolicen werden aus den Policenformularen für „gewöhnliche“ Sachrisiken anderer Branchen abgeleitet, indem man bergbauspezifische Zusätze hinzufügt. Dadurch hat die Produktentwicklung nicht mit den Bedürfnissen und Gefahren der Branche Schritt gehalten.“
Statt
also das Problem an der Wurzel anzugreifen, sprich: die gefährlichen
Tailing ganz aus der Welt zu schaffen, setzt die Münchener Rück auf ein
graduell verschobenes Geschäftsfeld, mit neuen und höheren Umsätzen,
denn Ihre Umsatz- und Profitgier kennt wahrlich kaum Grenzen!, ohne
dabei das eigentliche zugrundeliegenden Problem anzugehen.
Die
Münchener Rück darf solche „Upstream“-Dämme explizit nicht mehr
versichern. Und die Münchener Rück hätte die Verantwortung,
firmenübergreifend in der Industrieversicherungsbranche dafür zu sorgen,
dass alle Versicherer „Upstream“-Dämme ablehnen, um so die Praxis
dieser enorm bruchgefährdeten Dämme schnellstmöglich auszuphasieren. Das
wäre ein erster Schritt. Weitere Schritte wie grundlegend neue Regeln
und Gesetze für den Bergbau vor allem in den Ländern des Globalen Südens
müssten schnellstmöglich folgen. Grundsätzlich müssen Sie als
Versicherer endlich anfangen, sich konkrete menschenrechtliche und
umweltbezogene Kriterien geben, die es wert sind, als solche bezeichnet
zu werden. Ihnen bei der Münchener Rück fehlt noch immer ein umfassender
Ansatz zur menschenrechtlichen Sorgfalt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.