„Offensichtlich unzureichende ESG-Kriterien bei Vale-Dammbrüchen“
GegenStrömung dokumentiert die Rede von Christian Russau auf der Allianz-HV 8. Mai 2019 in München.
[Quelle: Kritische Aktionäre]
Sehr geehrte Damen und Herren,
mein Name ist Christian Russau, ich bin vom Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre.
Gehen wir gleich in medias res. Im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais ist am 25. Januar dieses Jahres in der Nähe der Kleinstadt Brumadinho, rund 25 Kilometer südwestlich des Landeshauptstadt Belo Horizonte, ein Damm eines Rückhaltebeckens für die Erzschlammreste der Mine Córrego do Feijão gebrochen. Rund 300 Menschen starben, so genau weiß das niemand bis heute, denn noch immer werden Menschen vermisst. Die Betreiberfirma von Mine und Rückhaltebecken, die brasilianische Bergbaufirma Vale, erklärte, in dem gebrochenen Becken hätten sich 11,7 Millionen Kubikmeter Erzschlammreste befunden. Nachdem der Damm des ersten Rückhaltebeckens gebrochen war, flutete der Erzschlamm das nächstgelegene Rückhaltebecken und überflutete dieses. Der sich ins Tal ergießende Schlammtsunami hatte unter anderem eine Betriebskantine mit sich gerissen, in der gerade viele Arbeiter*innen zu Mittag aßen, Busse, in denen Arbeiter saßen, die von oder zur Betriebsschicht fuhren, wurden mitgerissen, mindestens ein Dorf wurde zerstört und auf hunderten Kilometern ist der vom Schlamm geflutete Fluss Paraopeba biologisch tot. Nun dringt der Klärschlamm weiter fort in die Lebensader des trockenen brasilianischen Nordostens, in den Rio São Francisco, so dass mittelfristig die Wasserversorgung von Millionen Menschen in Gefahr gerät.
Die Allianz führt laut Meldungen ein Konsortium an, das den brasilianischen Bergbaukonzern Vale gegen Haftpflichtschäden rückversichert. Der Münchner Versicherer ist deshalb an den Schäden bei Brumadinho beteiligt. Über die Höhe der Haftpflichtversicherung gibt es widersprüchliche Angaben. Schätzungen am Versicherungsmarkt oszillieren zwischen 500 Millionen und zwei Milliarden Dollar.
Und die Allianz? Sie schweigen, wie immer. Wie immer berufen Sie sich gegenüber der Presse auf „Verschwiegenheitsklauseln“ mit ihren Kunden. Ich werde gleich darauf eingehen, warum wir Kritischen Aktionäre das für inakzeptabel erachten.
Zunächst einmal das Risikopanorama, in dem Sie sich mit Ihrer Versicherungspolicy in Brasilien bewegen:
Der im Januar gebrochene Damm bei Brumadinho galt zuvor als ein Damm der Risikoklasse 6, nach brasilianischer Einstufung also ein Damm, der unter besonderer Beobachtung stand und an dem daher alle vom Bergwerksbetreiber vorgesehenen Ausbauarbeiten jeweils dem dreistufigen behördlichem Genehmigungsverfahren unterliegen müssten. Also Einholen der vorläufigen Baugenehmigung, nach deren Bewilligung dann die Baugenehmigung, indem wieder neue Prüfungen und Sicherheitstest hätten durchgeführt werden müssen, bevor dann erst – nach erneuter Sicherheitsprüfung – die endgültige, erneuerte Betriebsgenehmigung erteilt worden wäre. Die Betreiberfirma Vale wollte die Mine und somit auch die Rückfangbecken für die Erzschlammreste bis 2032 um 88 Prozent ausbauen. Auf der entscheidenden Sitzung der zuständigen Umweltbehörde des Landes Minas Gerais, im Dezember 2018, wurde aber behördlich, gleichsam mit einem Kugelschreiberstrich, wie Beobachter der Sitzung monierten, die Risikoklasse des Damms von 6 auf 4 reduziert – damit entfiel das vorgeschriebene dreistufige Genehmigungsverfahren. Alles wurde im Sinne der Firmen vereinfacht – und einen Monat später ist der Damm gebrochen. Die Gerichte untersuchen derzeit, ob da kriminelle Energie am Walten war. Es sieht sehr stark danach aus.
Vale und TÜV SÜD schieben sich derzeit bei den gerichtlichen
Anhörungen über die juristische Verantwortung für den Bruch dieselbe
gegenseitig in die Schuhe. Vale sagt, TÜV SÜD habe nicht richtig
geprüft, TÜV SÜD sagt, Vale habe Druck auf die TÜV SÜD Mitarbeiter
ausgeübt, damit die wider besseren Wissens die Sicherheit des Dammes
attestieren. TÜV SÜD hat unlängst nach internen Ermittlungen, weitere
achte Dämme gefunden, die von den eigenen TÜV SÜD-Mitarbeitern nicht
angemessen geprüft wurden und die laut TÜV SÜD nun ein stark erhöhtes
Bruchrisiko aufweisen.
Das Alles erinnert leider viel zu sehr
an den Dammbruch von Mariana, des Rückhaltebeckens Fundão, als dort bei
der Mine Germano der Firma Samarco (im gleichanteiligen Besitz von
Vale und BHP Billiton) am 5. November 2015 der Damm brach. Millionen
Kubikmeter an Bergwerksschlamm aus der Eisenerz-Mine der Firma Samarco
und ein Tsunami aus Schlamm zerstörte mehrere Dörfer, 349 Häuser,
Schulen und Kirchen. Die Flüsse Rio Gualaxo do Norte, Rio do Carmo und
Rio Doce wurden verseucht – Fischfang ist entlang der 680 Kilometer
Flusslauf ist bis heute nicht möglich, ein Desaster für Tausende von
Kleinfischern, die damit ihren Lebensunterhalt bestreiten. Insgesamt
starben 19 Menschen. Laut Erhebung der US-amerikanischen Beraterfirma
Bowker Associates stellte die Katastrophe von Mariana einen
Dreifach-Negativ-Rekord in der Geschichte des Bergbaus dar: 1. Die
Menge an ausgetretenem Schlamm: 32 bis 62 Millionen Kubikmeter, 2. Die
Größe des betroffenen Gebiets: 680 Kilometern Flusslauf, 3. Die
Schadenshöhe: 5 bis 55 Milliarden USD.
Sie werden sich nicht weiter wundern, wenn ich Ihnen sage, dass die Allianz damals auch an der Versicherung des Dammbruchs von Mariana beteiligt war. Zwei Milliarden Reais (damals umgerechnet rund 500 Millionen Euro) haben laut Erhebung der brasilianischen Rückversicherung Terra Brasis Resseguros die Versicherer und Rückversicherer der Firma Samarco damals gezahlt – oder hätten zahlen müssen, auch hier mangelt es bis heute an Transparenz. Denn die Firma Samarco hatte eine Versicherung gegen Schäden an eigenen Einrichtungen und Betriebsunterbrechungen, also eine Versicherung gegen sogenannte „entgangene Gewinne“. Bestätigt wurde auf meine Nachfragen – sowohl von Allianz, als auch von Münchener Rück und der Hannover Rück –, dass der Versicherungsschutz von Samarco zu 90% auf die entgangenen Gewinne bezieht. Das muss man sich mal vor Augen halten: Hunderte Kilometer Flusslauf tot, zeitweise eine für zwei Millionen Menschen unterbrochene Trinkwasserversorgung, Tausende von darbenden Kleinfischern – und die Versicherer und Rückversicherer zahlen der Firma einen fetten Millionenbetrag für „entgangene Gewinne“, damit deren Aktionäre nicht leer ausgehen. Erkennen Sie das strukturell Ihren Versicherungspolicen inhärente Problem?
Und jetzt haben wir wieder einen Megabruch, mit Hunderten von Toten, – aber in Ihrer Versicherungspolitik bewegt sich immer noch zu wenig.
Ich frage Sie:
In welcher Höhe ist die Allianz an dem Schaden von Brumadinho per Deckung in irgendeiner Form beteiligt? Wenn ja, in welcher Höhe und welche Schäden werden abgedeckt?
Bitte erklären Sie mir Folgendes: Sie bieten Versicherungsdeckungen an den Konzern Vale in Form von Industrieversicherung im Paket an. Vor Kurzem konnten wir in der Financial Times lesen: „Allianz Global Investors, Germany’s second largest asset manager, told the Financial Times that it cut its exposure to Vale after the 2015 dam disaster and had stopped being a Vale shareholder long before January.“ Komisch, wieso lassen Sie dann aber gleichzeitig Ihre bei Vale gezeichneten Anleihen einfach so weiterlaufen? Schließlich hielt die Allianz inklusive Tochterfirmen zum Stichtag 02. April 2019 Anleihen und Papiere von Vale in Höhe von 147.740 US-Dollar. Außerdem würde mich interessieren, ob Sie Vale bei Pimco als Assetverwaltung für Dritte weiter betreiben? Meinen Sie nicht, es wäre langsam an der Zeit, den gleichen radikalen Schritt wie Union Investment zu betreiben, und diesen Konzern Vale endlich komplett rauszukanten? Aus selbstgehaltenen und für Dritte gehaltenen Aktien ebenso wie aus selbstgehaltenen oder für Dritte gehaltenen Anleihen?
Noch eine Frage zurück zur Industrieversicherung bei Bergbaukonzernen: im Hinblick auf den 2015er-Dammbruch von Mariana: Wieviel hat die Allianz wegen der Schäden beim Dammbruch von Mariana nun letztlich gezahlt?
Letzter Punkt in dieser Angelegenheit: Sie werden sich erinnern, dass wir Sie auf der Aktionärsversammlung von 2016 wegen des Dammbruchs von „Mariana“ befragt haben, und Sie werden sich sicherlich auch daran erinnern, dass wir Ihnen die grundlegenden Risiken von Dämmen bei Bergbau-Rückhaltenbecken, die nach der „Upstream“-Methode gebaut wurden, dargelegt haben und Sie aufgefordert haben, solche „Upstream“-Dämme schnellstens auszuphasieren, da sie für Mensch und Umwelt ein untragbares Risiko darstellen.
Der bei Brumadinho (2019) gebrochene Damm war wie der bei Mariana (2015) ein sogenannter „Upstream“-Damm. Die meisten Dämme (tailings) von Bergwerksdeponien werden gebaut nach dem Upstream-Verfahren, dann gibt es noch das Centerline-Verfahren und das Downstream-Verfahren. Beim „Upstream“-Damm kann der Damm eines Rückhaltebeckens im Laufe von Jahrzehnten bis zu 10 Mal aufgeschüttet werden und so Hunderte von Meter an Höhe gewinnen, sofern die unten abgelagerten Bergbaureste entsprechend ausgetrocknet sind. „Upstream“-Dämme sind deutlich billiger als „Centerline-“ oder „Downstream“-Dämme, deswegen sind sie bei den Bergbaufirmen so beliebt – sie brechen aber auch viel häufiger. Um den Faktor zehn übrigens, im Vergleich zu Wasserkraftstaudämmen.
Nach dem Dammbruch von Mariana haben wir Sie auf der Hauptversammlung 2016 also aufgefordert, für die Zukunft festzulegen, dass das Upstream-Verfahren bei Tailings (also Bergwerksdeponien) in Zukunft als klares Ausschlusskriterium bewertet werden müsse. Dies ist trotz unserer klaren Warnung, dass weitere Dämme brechen würden, unseres Wissens nach bei Ihnen in der Firma noch nicht geschehen. Es gibt zwar Debatten: Das International Council on Mining and Metals, ein Zusammenschluss der weltweit 23 größten Bergbau- und Metallunternehmen, hatte im Dezember 2015 angekündigt, die Standards für die Lagerung von Abraumschlamm zu überprüfen. Solche Ankündigungen sind wohlfeil, wenn Sie ihren werbetechnischen Hochdruckglanz ausstrahlen, sind aber zynisch, wenn sie hohle Phrasen und somit alles beim Alten bleibt – und dann der nächste, noch größere Dammbruch – wie jetzt bei Brumadinho geschehen, kommt.
Die Allianz darf solche „Upstream“-Dämme explizit nicht mehr versichern! Und die Allianz hätte die Verantwortung, firmenübergreifend in der Industrieversicherungsbranche dafür zu sorgen, dass alle Versicherer „Upstream“-Dämme ablehnen, um so die Praxis dieser enorm bruchgefährdeten Dämme schnellstmöglich auszuphasieren. Das wäre ein erster Schritt. Weitere Schritte wie grundlegend neue Regeln und Gesetze für den Bergbau vor allem in den Ländern des Globalen Südens müssten schnellstmöglich folgen. Ihre Aufgabe als Versicherer aber wäre, endlich anzufangen, sich konkrete menschenrechtliche und umweltbezogene Kriterien zu geben, die es wert sind, als solche bezeichnet zu werden. Robuste Kriterien, die eine Industrieversicherung für Dämme wie der Vale kategorisch ausschließt.
Sie werden vielleicht sagen, aber wir haben doch 2016, 2017 uns grundlegend neue ESG-Kriterien gegeben, in dem wir in dem neuen Allianz ESG Framework 13 sensible Sektoren (einschließlich Wasserkraft und Bergbau) mit Ausschlusskriterien festgelegt haben. Nun, schön!, aber hier haben wir schon wieder einen Bruch mit Hunderten von Toten, und die Allianz bietet munter weiter Industrieversicherungen an Firmen wie Vale an.
Ihnen bei der Allianz fehlt offensichtlich noch immer ein umfassender Ansatz zur menschenrechtlichen Sorgfalt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.