Trotz Ultimatum internationale Standards nicht erreicht. Kulturschätze dem Untergang preisgegeben

Berlin 28.05.2009 Vierzig Tage vor Ablauf eines sechsmonatigen Ultimatums zeichnet sich ab, dass die Türkei wesentliche Auflagen für das Ilisu-Staudammprojekt nicht erfüllen kann. So soll etwa die antike Stadt Hasankeyf dem Untergang preisgegeben werden. Laut Weltbankexperte Robert Goodland erfüllt das gesamte Projekt nicht die Standards der Weltbank. Er empfiehlt den Europäern den Ausstieg. Im Vorfeld einer internationalen Ilisu-Konferenz in Berlin erklärte Robert Goodland, der die Sozial- und Umweltstandards für die Weltbank entwickelte, das Ilisu-Projekt werde niemals die versprochenen internationalen Standards der Weltbank erfüllen: “Die Weltbank müsste und würde das Projekt ablehnen. Die Folgen wären zu fatal, die Vorbereitung der Türkei ist zu mangelhaft. Die Auflagen der Europäer sind nicht geeignet, die 60.000 betroffenen Menschen, die einzigartigen Kulturgüter und die Umwelt zu schützen.“

Deutschland, Österreich und die Schweiz hatten wiederholt argumentiert, das Projekt mit seinen 153 Auflagen, die die drei Staaten an ihre Bürgschaften geknüpft hatten, erfülle die Standards der Weltbank. Dies ist de facto nicht der Fall. „Sollten die europäischen Staaten dieses Projekt weiterhin unterstützen, untergraben sie auch die Standards der Weltbank und setzen international ein negatives Zeichen“, so Goodland weiter. 

„Am 6. Juli müssen Deutschland, Österreich und die Schweiz aus dem Projekt aussteigen, wenn sie international nicht ihr Gesicht verlieren wollen. In Zeiten wie diesen ist es besonders wichtig, Rückgrat zu zeigen statt kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen Vorrang zu geben“,  so Ulrich Eichelmann von der Kampagne „Stop Ilisu“. 

Hinter den Kulissen laufen derzeit intensive Verhandlungen. Die Türkei hat vor kurzem neue umfassende Berichte geliefert, die scheinbar einige Auflagen erfüllen. Doch die Realität vor Ort ist ernüchternd. Heike Drillisch und Christine Eberlein, Kampagne „Stop Ilisu“, besuchten die Region vergangene Woche. Wie sich herausstellte, gibt es keinerlei Konzepte zur Rettung der antiken Stadt Hasankeyf. Die versprochene Umsiedlung einzelner Bauwerke ist nicht möglich. „Selbst die türkischen Fachleute sehen keine Möglichkeit, die wichtigsten Denkmäler zu retten. Damit wird den Menschen von Hasankeyf, die hauptsächlich vom Tourismus leben, jegliche Existenzgrundlage ersatzlos entzogen“, so Heike Drillisch. Nur für sechs Ortschaften liege ein detaillierter Umsiedlungsplan vor, für 190 Orte fehle er nach wie vor. 

Hasan Janabi, ehemaliger Berater des irakischen Wasserministeriums, macht auf die verheerenden Folgen für den Irak aufmerksam. Durch den Damm würde im Irak weniger Wasser ankommen als bisher. Es wäre zudem von schlechter Qualität. Millionen Menschen lebten im Irak am und vom Tigris. Sie seien von dem Staudamm ebenso betroffen wie eines der bedeutendsten Naturgebiete der Welt, das Mesopotamische Delta. Diese Sümpfe würden austrocknen, sollte der Staudamm gebaut werden. „ Der Ilisudamm würde großen Schaden im Irak anrichten, er könnte die Stabilität und den Frieden im Mittleren Osten gefährden,“ so Hasan Janabi. „Leider blieben die Proteste irakischer Politiker auch bei den Europäern bis jetzt ungehört. Das ist inakzetabel.“

Auch Nejdet Atalay, Bürgermeister der 300.000 Einwohnerstadt Batman, ist nach Berlin gekommen, um die Menschen der betroffenen Region zu vertreten: „Wir wollen dieses Projekt nicht. Hasankeyf ist mehr als nur eine antike Stadt. Sie ist zentraler Teil unserer Identität und die wirtschaftliche Zukunft für unsere gesamte Region. Es gibt viele Alternativen zu Ilisu“, so Atalay, der sich für die Errichtung einer UNESCO Welterbestätte in und um Hasankeyf einsetzt. Er betonte weiterhin, dass die türkische Regierung bis heute nicht mit seiner Stadt in Kontakt getreten sei, obwohl zehntausende Menschen dorthin zögen und die soziale Lage verschärfen würden.

Auf die drohende ökologische Katastrophe machte Güven Eken, Präsident der türkischen Naturschutzorganisation Doga Dernegi, aufmerksam. Es gebe keine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), wie sie in Europa bei jedem kleineren Kraftwerk vorgeschrieben wird. „Wir können nicht verstehen, dass sich die deutsche Regierung an einem Projekt beteiligen will, dass sie ihren eigenen Bewohnern und ihrer Natur niemals antun würde. Wenn die europäischen Staaten sich aus dem Projekt zurückziehen, haben wir eine große Chance Ilisu ganz zu verhindern. Aber auch wenn sie weiterhin dabei bleiben, werden wir Ilisu verhindern. Die Unterstützung der türkischen Bevölkerung für unsere Kampagne wird von Tag zu Tag größer.“

Heute Abend findet im Auditorium Friedrichstraße der Ilisu-Gipfel statt. Mit dabei sind auch ein Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums sowie Tarkan, türkischer Popstar und Unterstützer der Kampagne „Stop Ilisu“.

Pressekontakte:
Ulrich Eichelmann (ECA Watch Österreich), ulrich.eichelmann@eca-watch.at, Mobil: 0043 676 662 1512
Heike Drillisch (GegenStrömung, Deutschland), heike.drillisch@gegenstroemung.org, Mobil: 0049 177 345 2611
Christine Eberlein (Erklärung von Bern, Schweiz) ceberlein@evb.ch, www.evb.ch/ilisu, Mobil: 0041 794 263 056
Ercan Ayboga (Initiative zur Rettung von Hasankeyf), e.ayboga@gmx.net, Mobil: 0049 163 757 7847